Alpiner Sport:Jäger des Augenblicks

Dem Grafinger Thorsten Schüller gelang, woran andere in den vergangenen drei Jahren scheiterten: Er und sein Partner bestiegen den über 7000 Meter hohen Spantik im Karakorum-Gebirge

Von Viktoria Spinrad

In der Dunkelheit über Gletscherspalten kraxeln, Blankeis unter den Schuhen, die Luft immer dünner, Leere im Kopf. Einfach einen Fuß vor den anderen setzen, irgendwie hinaufkommen, nur das Licht der Stirnlampe gibt Orientierung. Das irgendwo im Karakorum, in Pakistan, also im Norden eines Landes, das viele eher als Krisenherd denn als Urlaubsdomizil ausmachen würden. Nicht so der Grafinger Thorsten Schüller: Der 52-Jährige hat zusammen mit seinem Ottenhofener Kameraden Sebastian Lippacher, 37, den 7027 Meter hohen Spantik bestiegen - "als erste in drei Jahren", sagt er, zuletzt waren im Sommer wieder zwei Gruppen gescheitert.

Thorsten Schüller, seitlich gerahmte Brille im schmalen Gesicht, dunkelblaues Sportshirt, 1,90 Meter groß, nimmt in einem Café in Ebersberg Platz. Zwei Stunden lang wird der gebürtige Kieler von seiner Reise zum Berg und dem Aufstieg auf über 7000 Meter Höhe erzählen. Was auffällt: Er strahlt viel Klarheit und Besonnenheit aus - und vielleicht sind es gerade diese Eigenschaften, die es ihm möglich machten, den "Golden Peak", also die goldene Spitze im Gebirge zu erklimmen.

Der Spantik. 100 Kilometer zur chinesischen Grenze, 115 Kilometer nach Afghanistan, 170 Kilometer zur nördlichen Spitze Indiens. Ein Ort, wo der Trockengürtel Zentralasiens auf das monsungeprägte Flachland von Südasien trifft, eine klimatische Übergangszone aus schwarzem Schotter in den Niederungen, dann Schnee, dann Eis. Das Wetter launisch, der Berg könnte kaum abgelegener sein. Auf schnelle Hilfe kann man dort nicht hoffen. Jetzt sitzt Schüller entspannt vor Wasser und Kaffee und erzählt von herzlichen Einheimischen, der Finsternis bei Nacht, dem tollen Panorama - und der langwierigen Organisation, die der Expedition vorausging.

Alpiner Sport: Thorsten Schüller auf dem Gipfel des Spantik. Der Lohn für den mühevollen Aufstieg im Morgengrauen ist ein Panorama mit mehr als hundert Siebentausendern in Sichtweite.

Thorsten Schüller auf dem Gipfel des Spantik. Der Lohn für den mühevollen Aufstieg im Morgengrauen ist ein Panorama mit mehr als hundert Siebentausendern in Sichtweite.

(Foto: oh)

Eine Genehmigung beantragen, die Agentur auswählen, die einen auf dem Weg zum Basislager unterstützt. Mitte Juli der Flug nach Islamabad, dann per Inlandsflug auf das 2500 Meter hoch gelegene Plateau von Skardu, einem grünen 30 000-Einwohner-Ort. Skardu ist von grau-braunen Bergen umgeben, was allein schon den Anflug zu einem Abenteuer macht, "die fliegen nur auf Sicht". Dann auf einer "üblen Piste" mit dem Jeep 800 Kilometer zum Startpunkt nach Arandu, gleich im Grenzgebiet zu Afghanistan.

18 Hochträger und drei Tage brauchte es, um die Utensilien über 40 Kilometer zum Basislager zu schleppen - Kochtöpfe, Essen, Zelte. Oben auf 4300 Metern ist die Luft bereits dünn, wer nicht schnell genügend rote Blutkörperchen bildet, dem droht die Höhenkrankheit. Schüller und sein Begleiter bauten in Etappen drei Höhenlager auf; das gibt dem Körper auch die Impulse, sich zu akklimatisieren.

Ab dem Basislager ging es dann alleine weiter, 16 Tage in Schnee und Eis, ohne Träger, auch ohne Sauerstoffmasken. "Wir wollen uns nicht irgendwo einkaufen, sonst wird man da mehr oder weniger hochgezerrt", sagt er. Das Ziel sei, die Berge aus eigener Kraft zu erreichen. Dass die beiden in völliger Finsternis bei minus zehn Grad wandeln würden, während tagsüber die Sonne mit bis zu 40 Grad knallte, das gehörte zu einer der Herausforderungen, die die Natur für das Duo bereit hielt.

"Es gab viele Momente, wo wir dachten: Jetzt brechen wir ab", schildert Schüller. Ständig seien die beiden in von der Dunkelheit versteckte Spalten eingebrochen. Schreckensmomente, die er von vergangenen Besteigungen kennt. Was es braucht, um einen solchen Ausnahmezustand auszuhalten? Seine Augen verengen sich. "Erfahrung, mentale Stärke. Den unbedingten Willen, ein Projekt auch gegen Widerstände durchzuziehen." Und die Fähigkeit, Situationen laufend neu einzuschätzen. "Trifft man eine falsche Entscheidung, dann kann das die letzte gewesen sein", sagt Schüller. Als besonders fit will er sich nicht bezeichnen, sehr höhenverträglich sei er schon. Entscheidend sei im Fall des Duos das flotte Grundtempo des Duos gewesen, 180 Höhenmeter in der Stunde, dem schmelzenden Schnee davonlaufen.

Alpiner Sport: Ein guter Grund zum Feiern: Thorsten Schüller (rechts) mit seinem Kameraden Sebastian Lippacher nach der Besteigung.

Ein guter Grund zum Feiern: Thorsten Schüller (rechts) mit seinem Kameraden Sebastian Lippacher nach der Besteigung.

(Foto: oh)

Zu den Herausforderungen gehörte auch eine, die nichts mit den unvorhersehbaren Launen der Natur zu tun hat: Man muss auch die Enge mit dem Partner ertragen - an Privatsphäre ist in einem Zwei-Mann-Zelt schließlich nicht zu denken. "Es braucht schon eine gewisse Ergebenheit und Lässigkeit", sagt Schüller, im Rhythmus aus Warten auf die Nacht und dem Konsum von Erbsen, Nudeln, Kartoffeln. Umso wichtiger sei es, einen Partner zu wählen, der das gleiche Ziel verfolgt, einen in den entscheidenden Momenten mitreißt.

Was vor allem nach Kälte, Entbehrung und kettenweise Nervenzusammenbrüchen klingt, sieht der Grafinger als Kur. "Man schläft viel, verzichtet auf Alkohol, ernährt sich relativ gesund und bewegt sich." Und: Man hat Zeit ohne Ende. "Stundenlang in die Umgebung gucken, wann hat man diesen Luxus."

Die Gipfeletappe. Faulschnee, bei jedem Schritt brachen die Alpinisten ein. "Das bringt einen schon an die Grenzen", sagt Schüller. Über 16 Tage immer wieder Risiken abwägen, Situationen einschätzen, passt das Wetter, wie breit sind die Gletscherspalten, ins Unbekannte hineinlaufen. Dann gab es auf einmal Rumser im Schnee - mögliche Anzeichen für eine Lawine. Sollte man da nicht aufgeben? "Wenn man so weit gekommen ist, muss schon etwas Großes passieren, dass man aufgibt", sagt Schüller. Also weiter, Schritt für Schritt in den Sonnenaufgang, einfach vor sich hinstapfen, der Kopf weitgehend leer. Er lächelt. "Wir haben den Gipfel nur gefunden, weil da keine Sterne waren." Morgens um halb sieben stehen beide auf dem goldenen Gipfel. Dort: ein gigantisches Panorama, das er selbst in Nepal nicht erlebt habe. Mehr als hundert Siebentausender in alle Richtungen, auch der K2 in Sichtweite. "Das hat schon etwas", sagt Schüller schmunzelnd. Die Anspannung aber bleibe zunächst: "Auch auf dem Weg runter kann viel passieren."

Die Initialzündung für Trips wie diesen sei eine Reise mit seinem Vater nach Peru 1986 gewesen, erzählt er lächelnd. Dieser hatte ihn schon als kleinen Bub mit ihn die Berge genommen, aber diese eine Reise war anders: Die beiden bestiegen den Nevado Huascarán, den mit über 6700 Metern höchsten Berg Perus. "Wir hatten damals keine Ahnung vom Höhenbergsteigen", sagt Schüller, geklappt hat es trotzdem. Später bestieg er noch mehrere Siebentausender, auch einen Achttausender in Tadschikistan. Ein paarmal musste er frühzeitig umkehren, zu viele Gletscherspalten, zu viel Tiefschnee. "Das wurmt mich dann schon", sagt er, dann habe er zwei Wochen lang schlechte Laune.

Was das Bergsteigen trotz des Risikos für ihn so besonders mache? Er guckt er kurz zur Seite. "Es ist ein temporäres Ausbrechen aus dem Alltag in eine ganz andere Welt", sagt er schließlich. Ob solche Erfahrungen süchtig machen? "Wenn zwei, drei Jahre rum sind, dann kitzelt es einen schon wieder", sagt er lächelnd.

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