Ärger um Abkürzung:Die Hilfssheriffs vom Kapser Berg

Stillgelegte Ortsverbindung zwischen Grafing und Ebersberg wird weiter genutzt - Anwohner zeigen Hunderte Autofahrer an

Wieland Bögel

Aus zahllosen Wildwestfilmen ist die Situation bekannt: Brave Bürger, von ruchlosen Gesetzesbrechern schikaniert, nehmen Recht und Ordnung in die eigene Hand. Dieses Phänomen ist mit dem Ende der amerikanischen Pionierzeit keineswegs verschwunden, es existiert bis heute - mitten in Ebersberg. Die Waffen der modernen Rächer sind keine Revolver oder Winchester mehr, sondern Zettel, Stift und Computer. In den vergangenen Wochen haben Anwohner an der Rosenheimer Straße Hunderte Autofahrer angezeigt, die angeblich das Durchfahrtsverbot missachtet hatten.

Die selbst ernannten Hilfssheriffs waren fleißig: Jeden Monat gingen zwischen 800 und 1000 Anzeigen per E-Mail bei der Ebersberger Polizei ein, wie deren Verkehrssachbearbeiter, der Ebersberger CSU-Stadtrat Martin Schedo, berichtet. Die Folge war, dass viele Autofahrer unerfreuliche Post aus Straubing erhielten. Das Polizeiverwaltungsamt teilte ihnen mit, sie hätten verbotenerweise eine gesperrte Straße befahren und müssten 15 Euro Verwarnungsgeld bezahlen.

Josef Albrecht wohnt an der Rosenheimer Straße. Um die Durchfahrt unattraktiver zu machen, hat er vor einiger Zeit Unterschriften für ein Tempolimit gesammelt. Mit Erfolg: Inzwischen gilt dort Tempo 30. Albrecht hat den Eindruck, dass der Verkehr dadurch ein wenig abgenommen hat. Trotzdem komme es weiterhin vor, dass die Anliegerstraße als Abkürzung zwischen Grafing und Ebersberg genutzt werde. Er selbst zeige zwar niemanden an, sagt Albrecht, er könne die Nachbarn, die das tun, aber verstehen.

Anders als eine betroffene Autofahrerin: Sie hält das Vorgehen von Polizei und Anwohnern für fraglich. Niemand habe überprüft, ob sie wirklich nur eine Abkürzung genommen oder ein legitimes Anliegen gehabt habe. Sie vermutet, die Anwohner hätten lediglich ihr auswärtiges Kennzeichen gesehen und sie deshalb angezeigt. Die Polizei sei dennoch verpflichtet, den Anzeigen nachzugehen, erklärt Schedo, und sie an die zuständige Stelle weiterzugeben. Mit dem Ergebnis, dass zunächst jeder Angezeigte eine Verwarnung über 15 Euro erhalte. Allerdings könne jeder Autofahrer gegen den Bescheid vorgehen und bei der Polizei Gründe angeben, warum er die gesperrte Straße doch habe befahren dürfen.

Meist gelingt das, weiß der Verkehrsexperte der Ebersberger Polizei, Dirk Anders; er bezweifelt den Nutzen der Anzeigeaktion. "Jeder, den man fragt, hat ein berechtigtes Anliegen", berichtet Anders seine Erfahrung aus Verkehrskontrollen. Er hat dennoch Verständnis für die Anwohner, die es als Ärgernis empfinden, wenn sich Autofahrer nicht an die Sperrung halten. Mit den Anzeigen nähmen sie "ihr gutes Recht" wahr.

Allerdings hätten auch einige der Angezeigten das Recht gehabt, die Kapser Allee zu nutzen. Viele seien Handwerker, die in der Gegend arbeiteten. Zudem gebe es an der Rosenheimer Straße öffentliche Parkplätze, und auch ein Besuch bei Freunden, in der Gaststätte in Gsprait oder auf dem Friedhof berechtige zur Durchfahrt. Anders vermutet, dass nur ein kleiner Teil der Angezeigten am Ende das Verwarnungsgeld bezahlen muss.

Von derzeit 724 Angezeigten hätten bislang nur 165 die 15 Euro bezahlt, sagt der Dienststellenleiter der Ebersberger Polizei, Hendrik Polte. Ob alle anderen den Bescheid anfechten, kann Polte noch nicht bestätigen, aber auch er ist der Meinung, dass der Nachweis einer widerrechtlichen Straßennutzung schwer zu führen ist. Lasse es ein Autofahrer auf einen Prozess ankommen, könne dies sogar dazu führen, dass die Anzeigerstatter als Zeugen vor Gericht erscheinen müssen, warnt Polte. Darauf habe er die Anlieger an der Rosenheimer Straße hingewiesen, offenbar mit Erfolg: "Neue Anzeigen gab es in den letzten Tage kaum noch."

Was die Anzeigewelle auf jeden Fall gebracht hat, seien zusätzliche Kosten für die Staatskasse und mehr Arbeit, sagt Anders, für Polizisten ebenso wie für die Autofahrer. Denn zunächst beschwerten sich viele der in ihren Augen zu Unrecht Verwarnten bei der Ebersberger Polizei. Von dort wurden sie ans Polizeiverwaltungsamt verwiesen. "Die einzigen, die bisher daran verdienen, sind Post und Telekom", sagt Anders. (Kommentar)

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