Achter und letzter Teil der SZ-Serie: Wohnen für alle:Die Vertreibung der Mittelschicht

Achter und letzter Teil der SZ-Serie: Wohnen für alle: Der Kurt-Rhode-Platz in Ebersberg wurde vor einem Jahr eröffent. Hier finden Familien mit Kindern ein bezahlbares Zuhause. Noch.

Der Kurt-Rhode-Platz in Ebersberg wurde vor einem Jahr eröffent. Hier finden Familien mit Kindern ein bezahlbares Zuhause. Noch.

Ebersberg wächst schneller als jeder andere Landkreis in Bayern, prozentual sogar stärker als München. Politiker befürchten, dass die Bevölkerung ihre gesunde Mischung verliert. Es gibt bereits erste Anzeichen.

Von Korbinian Eisenberger, Ebersberg

Die SZ hat diese Artikelreihe "Wohnen für alle" genannt - und natürlich schwingt im Serientitel ein Wunsch nach einem menschlichen Grundbedürfnis mit. Nach einem Rückzugsort, der einem Sicherheit gibt. Ein Obdach, auf das jeder einen Anspruch hat. Oder wie man in Bayern sagt: ein Daheim.

In Ebersberg, das zeigen die neuesten Zahlen, wollen besonders viele Menschen daheim sein. Das Kuratorium der Arbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe München und Oberbayern schreibt Ebersberg von allen Landkreisen Bayerns den stärksten Zuwachs zu. Prozentual gesehen ist der Anstieg demnach sogar höher als in der Landeshauptstadt.

Wenn eine Region so beliebt ist, dann hat das seine Vorteile, allerdings eher für jene, denen Häuser und Grund gehören. Wer neu dazukommt, hat es dafür umso schwerer. Und wer auf Hilfe angewiesen ist, findet kaum mehr eine Bleibe. In Ebersberg fehlt es an sozialem Wohnraum, das Landratsamt steht bei der Vermittlung oft vor Aufgaben, die kaum zu lösen sind.

Meist chancenlos: Polizisten, Erzieher, Krankenschwestern

Die Ebersberger Wohnungsgenossenschaft gibt sich in ihrem 70. Gründungsjahr redlich Mühe, macht aber kein Geheimnis daraus, dass auch sie nicht den Kern des Problems lösen kann: In Ebersberg gibt es zu wenig Wohnraum für jene, die hier wohnen wollen. Und zu wenige, die sich Gedanken über Lösungsansätze machen.

In der umliegenden Region ist seit Jahren Ähnliches zu vernehmen. Erdings Oberbürgermeister Max Gotz sieht seinen Landkreis angesichts der Zuwachsprognosen "vor einer immensen Herausforderung". In Freising appelliert das Landratsamt seit längerem vergeblich an die Gemeinden, Grundstücke nicht nur gewinnbringend zu verkaufen, sondern auch für soziale Zwecke zur Verfügung zu stellen. Und in Dachau sind die Wartelisten für eine Sozialwohnung mittlerweile so lang, dass sich viele gar nicht erst anmelden.

Im Münchner Speckgürtel ist die Suche für einen Teil der Gesellschaft schier aussichtslos geworden. Das hat Rudolf Stummvoll, Leiter des Amtes für Wohnen und Migration in München, festgestellt. Die Wohnungsnot geht seiner Beobachtung nach weit in die Mittelschicht hinein: Nicht nur Randgruppen, etwa Flüchtlinge, suchen vergeblich, sondern auch Polizisten, Krankenschwestern und Erzieher. Die Mieten steigen, in Dachau, Erding und Freising.

Der Prozess hat längst begonnen

Und am gravierendsten ist es in Ebersberg. Wo führt das hin? Kreisrätin Doris Rauscher (SPD), die stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Soziales und Integration im Bayerischen Landtag, sieht Ebersberg zwar besser aufgestellt als viele andere Landkreise. "Das reicht aber nicht", sagt sie. Rauscher befürchtet nicht nur, dass sich die Zusammensetzung in der Gesellschaft verändert, ihrer Beobachtung nach hat der Prozess bereits begonnen.

"Die Kreisklinik findet oft keine Pfleger mehr", sagt sie, Kindergärten würden vergeblich Stellen ausschreiben, eben weil der Lohn der Erzieher nicht mehr ausreiche, um die Mietpreise zu bezahlen. Wenn dieser Prozess fortdauert, sei zu befürchten, dass die Mischung aus jung, alt, kreativ und wohlhabend dadurch aus den Gemeinden verschwinden könnte, so Rauscher. Dass im Speckgürtel nur noch Manager aber keine Metzger mehr fündig werden, ähnlich wie es sich in den exklusivsten Vierteln Münchens bereits entwickelt hat.

Und doch gibt es Hoffnung für jene, die sich freuen, wenn Kinder schreiend über den Marktplatz laufen, und gerne warten, wenn eine Greisin ihr Wagerl über die Straße schiebt. Nicht nur in Erding und Dachau - auch in Ebersberg werden neue Wohnungen für Migranten, Familien und Rentner geschaffen.

Es gibt Positivbeispiele - aber zu wenige

Die SZ-Serie berichtete über die Positiv-Beispiele von sozialem Wohnungsbau, etwa in Vaterstetten oder in Grafing. Und davon, dass im Landratsamt Mitarbeiter sitzen, die sich für jene einsetzen, die am Wohnungsmarkt chancenlos sind. Der Landkreis hat Mehrgenerationenhäuser und innovative Wohnkonzepte.

Es gibt sie, aber es sind eben viel zu wenige. Auf der anderen Seite finden sich im Landkreis Ebersberg kleinere Kommunen wie etwa Hohenlinden, Baiern oder Egmating, in denen keine einzige Sozialwohnung existiert, wie die Ebersberger Wohnbaugenossenschaft mitteilt. Für Rauscher ist das ein Hinweis darauf, dass Gemeinden mehr Eigeninitiative ergreifen müssen. Und dass die Staatsregierung Gegenden mit angespanntem Wohnungsmarkt zu wenig fördert. "Der Freistaat muss seine Anstrengungen deutlich verstärken, um ausreichend bezahlbaren Wohnraum in Bayern zu schaffen", sagt Rauscher.

Im Münchner Speckgürtel leben derzeit etwa drei Millionen Menschen. Prognosen zufolge soll sich diese Zahl bis 2030 um 300 000 erhöhen, also um zehn Prozent. Im Landkreis Ebersberg (140 000 Einwohner) dürfte der Zuwachs prozentual noch deutlich darüber liegen, vieles spricht dafür. Es gibt Politiker, denen sind die Folgen bewusst. Dazu zählt auch Ebersbergs Landrat Robert Niedergesäß (CSU), der ebenfalls die Mittelschicht in Gefahr sieht. Eine Lösung, die hat bisher niemand gefunden.

Die gesammelten Serienteile finden Sie online unter sz.de/thema/wohnen_für_alle

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