Jugendkriminalität:Betrug aus Überforderung

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Eine junge Frau fälscht Gehaltsabrechnungen um als kreditwürdig zu gelten (Foto: dpa)

Um einen Kredit zu bekommen, fälscht eine junge Mutter Gehaltsabrechnungen

Von Anselm Schindler, Ebersberg

"Der Staatsanwalt hat schon ein dickes Minus notiert", scherzt Richterin Vera Hörauf. Adressat ist der Anwalt einer 19-jährigen Frau, die angeblich "noch im Stau steht", wie der Verteidiger erklärt. Es ist halb zehn Uhr morgens und die Verhandlung wegen Betruges müsste eigentlich schon seit einer halben Stunde laufen. Als die Angeklagte dann kommt, kann trotzdem nicht prozessiert werden, ihr Bewährungshelfer wird noch vermisst. Richterin Hörauf steckt den Kopf aus dem Besprechungszimmer in den Verhandlungsraum. "Und, was ist jetzt?", fragt sie in die Runde. Dann, endlich sitzt auch der Bewährungshelfer im Gerichtssaal.

Acht Straftaten hat die angeklagte junge Frau aus dem nördlichen Landkreis bereits begangen. Darunter, neben Körperverletzung, auch einschlägige, das bedeutet in ihrem Fall: Betrugs- und Diebstahldelikte. Auch dieses Mal sitzt die Angeklagte wegen Betrug vor Gericht. Um an Geld zu gelangen, soll die Frau bei einer Bank eine Autoversicherung beantragt haben. Dabei wollte sie gar kein Auto. Die Unterlagen, die sie der Bank schickte, waren gefälscht. Akribisch hatten die Frau und ihr damaliger Freund Lohnnachweise gedruckt. Gehaltsabrechnungen, die eigentlich gar nicht existierten, denn einen Arbeitsplatz hat die junge Frau nicht.

Einige Wochen zuvor wurde sie von ihrer Mutter rausgeworfen, schlief in einem Auto. Und dann hat ihr Freund die Idee mit dem Kredit. "Wir haben sonst nirgends einen Kredit bekommen", berichtet die Angeklagte, den Blick starr auf den Boden gerichtet. "Und wir mussten die Kaution und die Miete für unsere neue Wohnung bezahlen".

Geboren ist die Angeklagte in Erding, aufgewachsen in Markt Schwaben. In jungen Jahren kam sie in ein Kinderheim. Die Mutter war überfordert - mit ihrem eigenen Leben, der finanziellen Situation und den vielen Kindern. Aus dem Kinderheim wurde die Angeklagte rausgeworfen, "wegen hoher Auffälligkeit", wie Jugendgerichtshelfer Bernhard Wacht berichtet. Dann wurde ihre Mutter in einer therapeutischen Einrichtung untergebracht, ihre Tochter kam in ein geschlossenes Mädchenheim in München. Doch auch dort blieb sie nicht lange.

Die Entwicklung der Angeklagten sei vor allem durch ein "ambivalentes Verhältnis zu ihrer Mutter geprägt", von "Höhen und Tiefen", erklärt Wacht. Das klingt fast schon euphemistisch.

Nachdem sie große Teile ihrer Jugend bei ihrer Mutter gewohnt hatte, wurde die Angeklagte von ihr rausgeworfen, war obdachlos. Sie tauchte bei Freunden unter. Auch mit dem Bildungssystem kam sie nicht klar. In der Schule war sie nie gut, fing an zu schwänzen. Ein Gerichtsverfahren folgte dem nächsten. Es war weniger jugendlicher Leichtsinn als existenzielle Not, die sie dazu trieb, einen Safe von Bekannten zu knacken, um Geld und Schmuck zu stehlen. Die sie dazu trieb, mitzunehmen was sie sich nicht leisten konnte.

Rund 10.000 Euro Schulden hat die Angeklagte inzwischen angesammelt. Doch inhaftiert wurde sie nie, wenigstens das. Eigentlich hätte sie vor einigen Monaten in den Jugendarrest müssen, doch dazu war sie nicht in der Lage. Denn die Angeklagte erwartete ein Kind.

Im Juni ist das Kind zur Welt gekommen, hineingeboren in komplizierte Verhältnisse. Doch seit sie ein Baby habe, sei die Angeklagte auf dem richtigen Weg, betont ihr Bewährungshelfer. Sie wolle wieder eine Ausbildung anfangen, nach zwei verpatzten Anläufen als Zahnarzthelferin. "Ich will, dass mein Kind was sagen kann, wenn es gefragt wird, wo seine Mama arbeitet", sagt sie dazu. Und auch der Antrag auf Privatinsolvenz liege schon vor, so der Bewährungshelfer. Um endlich reinen Tisch zu machen. Es ist ihre letzte Chance, das lässt Richterin Hörauf sie spüren, bei aller Milde. Die Angeklagte kommt noch mal mit einer Bewährungsstrafe davon. Es ist nicht ihre erste. Drei Jahre darf sich die 19-jährige nun nichts zu Schulden kommen lassen, sonst drohen ein Jahr und neun Monate Haft.

"Schädliche Neigungen" werden ihr von Staatsanwaltschaft und Richterin einmündig attestiert. Ein Begriff, der für Straftäter verwendet wird, die immer und immer wieder ähnliche oder gleiche Straftaten begehen. Im Falle der Angeklagten ist es ein Teufelskreis, eine Tat folgt der nächsten. "Sie wohnt bei ihrer Mutter, wir finden einfach keine Wohnung für sie", erklärt der Bewährungshelfer. "Auch keine Sozialwohnung." Mit einem Kleinkind sei es noch schwieriger, auf dem ohnehin schon extrem angespannten Wohnungsmarkt etwas zu finden.

© SZ vom 23.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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