Dritte Start- und Landebahn:"Durch Lärm steigt das Herzinfarktrisiko"

Macht Lärm krank? Um diese Frage ist vor dem Bau einer dritten Start- und Landebahn im Erdinger Moos ein heftiger Streit entbrannt. Wissenschaftler René Weinandy hat eine klare Meinung: Wer dauerhaft Lärm erdulden muss, bekommt eher einen Herzinfarkt oder Schlaganfall.

Kassian Stroh

"Lärmminderung im Verkehr" heißt das Fachgebiet im Umweltbundesamt, das René Weinandy, 49, leitet. Der Biologe hat sich lange wissenschaftlich mit Stressphysiologie beschäftigt.

Dritte Start- und Landebahn: Macht Fluglärm krank? Wissenschaftler René Weinandy ist davon überzeugt, das das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall steigt.

Macht Fluglärm krank? Wissenschaftler René Weinandy ist davon überzeugt, das das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall steigt.

(Foto: Marco Einfeldt)

Herr Weinandy, Fluglärm ist lästig, klar. Aber was sagt die Wissenschaft zur Streitfrage, ob er auch krank macht?

Man muss nach Tag und Nacht differenzieren, weil Lärm da unterschiedlich wirkt. Nach dem, was an Studien vorliegt, müssen wir davon ausgehen: Wer nachts langfristig einen Dauerschallpegel von mehr als 40 Dezibel erdulden muss, bei dem steigt das Risiko für bestimmte gravierende Krankheiten wie Herzinfarkt oder Schlaganfall. Auch die Weltgesundheitsorganisation setzt 40 Dezibel als Schwelle an. Wir sprechen wohlgemerkt von Außenlärm. Fenster dämpfen den Lärm unterschiedlich stark, ein gekipptes etwa um 15 Dezibel.

Warum ist der Lärm am Tag so viel weniger ein Problem?

Nicht weniger, sondern anders. In der Nacht stört er Ihren Schlaf, auch wenn Sie sich am Morgen nicht immer daran erinnern. Tagsüber stört er die Kommunikation und - das wird bei einer großen Studie in Frankfurt gerade näher untersucht - die Konzentrationsfähigkeit insbesondere von Kindern und damit auch deren Lernvermögen. Tagsüber könnte man eher von einer Lärmbelästigung sprechen, nachts von gesundheitlicher Belastung. In der Schweiz wurde jetzt eine Studie veröffentlicht, bei der man die Daten von 4,6 Millionen Menschen verglichen hat. Das Ergebnis: Wenn man über 15 Jahre einem Lärmpegel von 65 Dezibel und mehr ausgesetzt ist, steigt das Risiko, an Herz und Kreislauf zu erkranken und daran zu sterben, um 50 Prozent.

Im Fluglärmgesetz von 2007 wird Schallschutz ab einem Wert von 50 Dezibel in der Nacht vorgeschrieben.

Die Schwellenwerte dort wurden intensiv debattiert, und in einem Gesetz steht am Ende natürlich immer ein Kompromiss, in den auch medizinische Erkenntnisse eingeflossen sind. Wir vom Umweltbundesamt plädieren für niedrigere Werte. Außerdem finden Sie im Fluglärmgesetz keine echten Grenzwerte, sondern nur Werte, ab denen ein Anspruch auf Schallschutz besteht.

Es geht hier ja immer um Dauerschallpegel, also um Mittelwerte über sechs Monate. Viele Gegner der dritten Startbahn am Flughafen hier halten die Berechnung für unbrauchbar. Weil man auch gestört werde, wenn nur ein paar Mal in der Nacht ein Flieger übers Haus zieht.

Dieses sogenannte Maximalpegelkriterium ist auch entlang von Eisenbahnstrecken immer wieder ein Thema. Wir halten aber am Dauerschallpegel fest, da er sich in der Praxis bewährt hat und in Lärmwirkungsstudien Eingang gefunden hat. Dass man nur drei sehr laute Flieger hat und sonst nichts, das gibt es ja nicht. Ein hoher Dauerschallpegel kommt von vielen lauten Einzelereignissen und umgekehrt. Da insbesondere die Nacht sensibel ist, sagen wir: Wir brauchen ein Nachtflugverbot von 22 bis 6 Uhr. Das zusammen mit einem niedrigen Dauerschallpegel von 40 Dezibel - damit hätten wir das Problem Fluglärm recht gut im Griff.

Hamburg als Vorbild

In München gibt es aktuell pro Nacht gut 60 Flüge zwischen 22 und 6 Uhr, einige wenige davon zwischen 0 bis 5 Uhr.

Eine ähnliche Regelung ist auch für den neuen Flughafen in Berlin vorgesehen.

Und das ist gesundheitsschädlich?

Natürlich, auf jeden Fall. Im Sinne eines präventiven Gesundheitsschutzes müssen wir ein Nachtflugverbot empfehlen. Die Experten streiten nicht darüber, ob Lärm ein Gesundheitsrisiko ist, sondern nur darüber, ab welcher Schwelle.

Flughafenbetreiber und Firmen sagen, Nachtflüge seien unverzichtbar.

Was sagen Sie einer Chemiefabrik, die argumentiert, dass es wirtschaftlich nötig sei, das Trinkwasser zu verschmutzen? Wir können gerne übers Geld reden, nur muss man das gesamtwirtschaftlich betrachten. Es gibt Schätzungen, dass Lärm in Europa pro Jahr Kosten von 40 Milliarden Euro verursacht, wegen der Gesundheitsschäden. Das niederländische Umweltinstitut CE Delft hat mal Kosten und Nutzen überprüft, wenn man am Flughafen London-Heathrow ein Nachtflugverbot einführen würde. Da haben die alles eingerechnet, die Verluste für Firmen, den gesundheitlichen Nutzen. Das Ergebnis war ein Gewinn von einer Milliarde Euro in zehn Jahren.

Nur Schallschutzfenster reichen Ihrer Meinung nach also nicht aus?

Man muss alle möglichen Maßnahmen miteinander kombinieren, aber wichtiger als passiver Schallschutz wie diese Fenster ist der aktive. Der umfasst nicht nur Betriebsbeschränkungen, sondern auch den Einsatz leiserer Maschinen. Sinnvoll sind zum Beispiel Start- und Landeentgelte, die für laute Flieger teurer sind. Wenn die in der Nacht sehr hoch sind, überlegt sich die Firma, ob sie wirklich nachts fliegen will oder ob sie das vielleicht auf den Tag verlagern oder leisere Maschinen einsetzen kann.

Gibt es so etwas wie einen Vorbildflughafen, der da relativ weit ist?

Es lässt sich keiner als leuchtendes Beispiel nennen, es gibt aber welche mit teils ganz guten Maßnahmen. Der Flughafen Hamburg ist relativ ambitioniert, der hat auch schon früh die lärmabhängigen Entgelte eingeführt. Auch in Frankfurt gibt es positive Aktivitäten, das Problem ist dort, dass der Airport praktisch mitten in der Stadt liegt. München ist auch nicht schlecht. Die Lage zum Beispiel ist clever gewählt, weil der Lärm eher wenige Menschen betrifft, auch wenn das die Bevölkerung von Freising und Erding vollkommen berechtigterweise sicher anders sieht. Bei der Frage des Ausbaus muss man sehr genau abschätzen, ob er wirklich erforderlich ist oder ob ein Bedarf herbeigeredet wird. Dafür bräuchten wir in Deutschland eine nationale Flugverkehrsplanung. Es hilft nichts, wenn jeder Flughafen sagt: Wir bauen aus.

So oder so gibt es Menschen, für die Fluglärm Alltag ist. Gibt es für die wenigstens den Trost, dass sich ihr Körper irgendwann daran gewöhnen kann?

Das geht nicht. Es gibt Menschen die sagen: Ich höre die Flieger gar nicht mehr. Das mag schon so sein tagsüber, aber nachts nicht. Da ist das autonome Nervensystem betroffen, das können Sie gar nicht bewusst steuern. Das hat mit der Evolution zu tun. Als wir noch in der Savanne schliefen, war es lebensnotwendig, bei Geräuschen aufzuwachen. Vom Wecker werden Sie ja auch jeden Morgen wach - auch wenn Sie ihn längst kennen.

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