Dreimühlenviertel:Zwischen aufwerten und vertreiben

Vom Arbeiter- zum In-Viertel: Die Gentrifizierung ist derzeit wohl nirgendwo so deutlich zu sehen wie im Dreimühlenviertel. Ein Rundgang.

Bernd Kastner

7 Bilder

Dreimühlenviertel

Quelle: SZ

1 / 7

Vom Arbeiter- zum In-Viertel: Die Gentrifizierung ist derzeit wohl nirgendwo so deutlich zu sehen wie im Dreimühlenviertel. Ein Rundgang.

Es sind nur ein paar Meter Straße und ein rundes Blechschild, aber in ihnen lässt sich die jüngste Geschichte eines kleinen Stadtviertels lesen, ja, vielleicht die der halben Stadt. Die Geschichte bedeutet für die einen Aufwertung, für die anderen Vertreibung. Vor ein paar Jahren war es, da sorgten sich Mütter und Väter im Dreimühlenviertel um die Sicherheit ihrer Kinder, die am Roecklplatz schaukelten und im Sand tobten. Dort liegt ein schöner Spielplatz unter alten Bäumen, aber die Autos fuhren zu schnell. Also forderten die Eltern, 100 Meter der Ehrengutstraße als Spielstraße auszuweisen. Geht nicht, antwortete die Verwaltung. Wie groß war da die Empörung unter den Eltern, und am Ende gelang es der Stadt gerade noch, sich einen Kompromiss anzubieten: Seither gilt Tempo 10 am Roecklplatz.

Foto: Rumpf

Text: Bernd Kastner

Dreimühlenviertel

Quelle: SZ

2 / 7

Es gibt in der ganzen Stadt nicht viele solcher Schilder, die Autos so sehr ausbremsen. Dass eines im Dreimühlenviertel steht, dürfte kein Zufall sein. Es sind drei, vier Straßenzüge zwischen Schlachthof, Großmarkthalle und Isar, die sich in den vergangenen Jahren zum In-Viertel gewandelt haben. Viele Familien leben inzwischen dort, die nun ihr Umfeld noch kinderfreundlicher machen wollen. Wer wollte es ihnen verdenken.

Foto: Haas

Dreimühlenviertel

Quelle: SZ

3 / 7

Man kann den Wandel beim Spaziergang zwischen Thalkirchner und Isartalstraße sehen. Es reiht sich eine Gründerzeitfassade an die andere. Man kommt an einem Laden für erlesene italienische Weine vorbei, an einem Gürtelladen, der sich Jet Belt nennt, und an Lokalitäten, die sich in Szene-Führern finden. In einem Schaufenster hängen Angebote eines Immobilienmaklers. Da wird eine Altbaudachterrassenwohnung für 870000 Euro angeboten, und auf dem Bildschirm leuchtet: "Luxus am Gärtnerplatz".

Foto: Haas

Dreimühlenviertel

Quelle: SZ

4 / 7

Das nahe Gärtnerplatzviertel ist, zusammen mit dem Quartier am Glockenbach, der große Bruder des Dreimühlenviertels. Und es ist einer der best erforschten Stadtteile Deutschlands. Dort lässt sich ein Phänomen beobachten, das Stadtforscher Gentryfizierung nennen. Der Begriff kommt vom englischen Landadel und beschreibt den Einfluss von Mittelschicht-Milieus auf Arbeiterquartiere: Am Anfang sind Altbauquartiere, in denen Alte, Arbeitslose und Migranten leben. Nach und nach ziehen Studenten und Künstler zu, die "Pioniere" der Gentryfizierung, die den Stadtteil bunt machen. Es öffnen schicke Geschäfte und trendige Kneipen, und es zieht die nächste Generation zu, die sich die gestiegenen Preise leisten kann. Verlierer sind die Alt-Bewohner, sie werden verdrängt.

Foto: Haas

des alten Heizkraftwerks

Quelle: SZ

5 / 7

Dass oben im Turm des alten Heizkraftwerks an der Müllerstraße (Foto) eine Wohnung für gut zehn Millionen Euro zu haben ist, überrascht da nicht mehr. Es ist nur die Spitze dessen, was Planer die Renaissance der Stadt nennen. In München sind es Sanierer und Immobilienspekulanten, die diesen Prozess maßgeblich ankurbeln. Sie wissen genau, was die zahlungskräftige Klientel lockt. Um Platz für sie zu schaffen, schreckt mancher auch nicht vor fieser Entmietung zurück.

Foto: Sonnabend

Untergiesing Sanierung

Quelle: SZ

6 / 7

Zwischen Viktualienmarkt und Isar ist die Aufwertung fast abgeschlossen, im Lehel, in Schwabing oder Haidhausen ist dies schon vor langer Zeit passiert. Derzeit zieht sich noch eine Art Halbmond südlich um die Innenstadt, in dem über Nacht Gerüste auf den Fußwegen auftauchen und Monate später den Blick auf schöne Häuser freigeben. Das Band der Aufwertung zieht sich vom Westend über das Schlachthofviertel, Untersendling und Thalkirchen hinüber nach Untergiesing (Foto) bis in die Au. In diesen einstigen Arbeitervierteln ist noch Luft nach oben. Jedes Haus mit einem noch nicht ausgebauten Dachgeschoss ist ein Leckerbissen für Sanierer, denn Dachwohnungen bringen Höchstpreise. Dass so die einst bunten Viertel langsam eintönig werden, scheint kaum zu stören.

Foto: Sonnabend

Roecklplatz

Quelle: SZ

7 / 7

Zu diesem Sanierungsband gehört auch das Dreimühlenviertel. Dort gibt es allenfalls noch Reste von einst. Gleich neben dem Schlecker-Laden etwa findet sich ein Firma, die so unsexy Produkte wie Waagen vertreibt. Daneben steht ein Gerüst auf dem Fußweg, und davor, auf der Fahrbahn, Wasser in den Schlaglöchern. Man kann darauf warten, bis auch diese Straße neu asphaltiert wird. Jede hergerichtete Straße steigert den Wohlfühlwert eines Viertels, treibt ungewollt die Preisspirale weiter. So, wie es vielleicht auch der Spielplatz am Roecklplatz (Foto) tut, der seit ein paar Jahren noch schöner und sicherer ist. Weil dort ein Tempo-10-Schild steht.

Text: Bernd Kastner

Foto: Sonnabend

(sueddeutsche.de/sonn)

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: