Dreidimensionale Simulationen:Fast so schön wie echt

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Eine 3-D-Brille auf dem Kopf, jede Bewegung wird registriert: So sieht es aus in der sogenannten Cave. (Foto: Stephan Rumpf)

Am Leibniz-Rechenzentrum können Studenten Virtual-Reality-Anwendungen programmieren und vorführen. Das ist weit mehr als nur Computerspielerei: In die künstlichen Welten setzen Forscher große Hoffnungen

Von Jakob Wetzel

Der Alltag eines Superhelden ist erstaunlich mühsam. Im Film sieht es ganz einfach aus, wenn sich Spider-Man an Seilen durch Manhattan schwingt. Doch wer das einmal selbst versucht, und sei es in einer Computersimulation, der merkt: Es gehört einiges an Kraft und Geschick dazu. Erst einmal müssen die Seile die Fassaden treffen, und dann muss sich Spider-Man auch noch mühsam an ihnen emporziehen. Das wiederum heißt an diesem Abend im Leibniz-Rechenzentrum (LRZ) in Garching vor allem: Der Spieler in der sogenannten Cave muss immer wieder heftig die Arme mit den Sensoren nach unten reißen. Und wenn er nachlässt, wenn er nicht aufpasst oder wenn ihm schwindlig wird, landet er rasch wieder auf dem Boden.

Es ist Dimitri Schwarz zu verdanken, dass man nun Verständnis haben kann für die Mühsal eines Daseins als Superheld. Der Student an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) hat das Spider-Man-Programm in den vergangenen Monaten entwickelt, es ist das Ergebnis einer Vorlesung über Virtual Reality, also über dreidimensionale Computersimulationen, die von ihren Nutzern als real erlebt werden. Am Montag hat er seine Arbeit in Garching vorgestellt - ebenso wie 16 weitere Studenten und zwei Praktikanten. Dabei ging es nicht nur ihnen ums Herzeigen: Auch das LRZ demonstriert gerne, über welche Technik es verfügt.

Die Illusion hat nur zwei Grenzen: Man kann nicht weit gehen und darf sich nicht umdrehen

Präsentiert wurden die Programme der Studierenden in dessen Cave: Das ist ein begehbarer, hinten offener Würfel. Auf die fünf geschlossenen Flächen, also die drei Wände, den Boden und die Decke, wird jeweils von hinten eine 3-D-Simulation projiziert. Wer die Cave mit einer 3-D-Brille betritt, der sieht sich daher nicht nur einem dreidimensionalen Bild gegenüber wie im 3-D-Kino, sondern er steht mittendrin. Neben der Brille kann er ein oder zwei Handgeräte verwenden. Die gesamte Ausstattung ist mit Sensoren versehen, damit der Rechner ihre Position erfassen kann. Und so lässt sich durch Bewegungen nicht nur das jeweilige Programm bedienen, sondern der Computer stellt die Grafik auch so dar, dass sie genau zur Position des Kopfes und zur Blickrichtung passt. Die Illusion ist nahezu perfekt. Grundsätzlich begrenzt ist sie nur durch zweierlei: Der Boden misst innen 2,7 mal 2,7 Meter, man kann sich also in dieser Cave nicht weit fortbewegen, sonst stößt man an eine Bildschirmwand. Und: Wer sich umdreht, der blickt ins Freie, und die Illusion ist zerstört.

Virtual Reality gehöre die Zukunft, sagt Dieter Kranzlmüller, Informatikprofessor an der LMU und Direktoriumsmitglied des LRZ - und man merkt ihm an, dass er sehr oft erklären muss, dass es dabei um mehr geht als um eine technische Spielerei. Mit virtuellen Räumen könne man große Datenmengen anschaulich machen und besser verstehen lernen, sagt er. Man könne Dinge darstellen, die sehr klein sind, sehr komplex, sehr teuer oder auch sehr gefährlich. Und man könne Orte simulieren, die es gar nicht gibt, etwa um den Brandschutz von Gebäuden zu testen, bevor diese errichtet werden. Schon heute simulierten Autofirmen ihre Prototypen zunächst. Und man sei dabei auch nicht auf große Anlagen wie eine Cave angewiesen, sagt Kranzlmüller. Jeder, der ein Smartphone besitzt, könne es mit ein paar Hilfsmitteln in eine Virtual-Reality-Brille verwandeln.

"Die Anwendungen der Cave reichen von der Archäologie bis zur Zoologie", sagt Christoph Anthes, der Projektleiter im Virtual Reality and Visualisation Centre des LRZ. Einmal habe man etwa eine Grabkammer aus dem fünften Jahrhundert vor Christus rekonstruiert, ein andermal das Skelett eines in der Realität nur fingernagelgroßen Chamäleons.

Anthes ist es auch, der die Virtual-Reality-Vorlesung an der LMU seit drei Jahren anbietet und die Arbeiten der Studenten betreut. Das Interesse ist groß, Kranzlmüller spricht von 100 Anmeldungen; heuer nahmen erstmals auch Studenten der Technischen Universität teil. Erste Erfahrungen im Programmieren und in Computergrafik setze er voraus, sagt Anthes. Ansonsten sei die Technik für alle neu. Die Vorlesung sei seine erste Konfrontation mit Virtual Reality überhaupt gewesen, erzählt einer der Studenten: Anthes habe in der Cave des LRZ eine virtuelle Palme vorgeführt. "Das hat mich umgehauen."

Wie vielseitig die Technik sein kann, zeigen die am Montag präsentierten Projekte. Da sind Flug- und Rennsimulatoren. Ein LMU-Student hat ein dreidimensionales Malprogramm geschrieben. Und eine Kommilitonin hat eine Seifenblase programmiert. Sie lässt sich mit einem Mikrofon aufblasen, danach kann man sie im Raum bewegen - oder man lässt sie platzen.

© SZ vom 16.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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