Drehbuchautorin "Sommer in Orange":Kommune statt Kindergarten

Yoga nackt im Garten, freie Liebe in der Wohngemeinschaft und misstrauische Blicke der Nachbarn: Ursula Gruber hat für das Drehbuch des neuen Rosenmüller-Films "Sommer in Orange" ihre eigene Lebensgeschichte verarbeitet.

Lisa Sonnabend

Die kleine Lili steht am Fenster und blickt traurig hinaus. Im Garten tanzen Menschen in orangen Kleidern in Trance - es sind ihre Mutter und die anderen Erwachsenen, mit denen das Mädchen in eine Bhagwan-Kommune aufs Land gezogen ist. Im Haus nebenan isst ein Junge mit seiner Familie auf der Terrasse zu Mittag. Eine ganz normale Familie. Wie gerne würde Lilly mit dem Jungen tauschen!

Drehbuchautorin "Sommer in Orange": Der einzige orangefarbene Gegenstand in der Wohnung von Ursula Gruber ist das Filmplakat, das in ihrem Arbeitszimmer hängt. Hier wohnt eine Familie, keine Kommune - das wird schnell deutlich.

Der einzige orangefarbene Gegenstand in der Wohnung von Ursula Gruber ist das Filmplakat, das in ihrem Arbeitszimmer hängt. Hier wohnt eine Familie, keine Kommune - das wird schnell deutlich.

(Foto: Robert Haas)

Diese Szene stammt aus "Sommer in Orange", dem neuen Film von Marcus H. Rosenmüller. Doch ersetzt man den Namen Lili durch Ursel wird diese Szene zu einer Episode aus dem Leben der Münchnerin Ursula Gruber. Die 39-Jährige sitzt am Küchentisch ihrer Wohnung in Untergiesing, trinkt Tee, streicht sich die langen dunkelbraunen Haare zurück und beginnt zu erzählen, wie es dazu kam, dass ihr Leben von kommender Woche an im Kino zu sehen ist.

Vor etwa fünf Jahren fragte ihr Bruder Georg sie, ein Filmproduzent aus Berlin, ob sie nicht Lust hätte, ein Drehbuch über ihre Kindheit zu schreiben. Über ihr Leben in der Kommune. Über Bhagwan, den umstrittenen spirituellen Lehrer aus Indien, dem in den achtziger Jahren auch zahlreiche Deutsche folgten. Über die orangen Gewänder, die seine Anhänger trugen. Über das Meditieren, über den Fleischverzicht, über die gelebte sexuelle Freiheit. Aber auch über sie beide, Bruder und Schwester. Über ihre Gefühle, ihre Zerrissenheit, ihren Wunsch, so zu sein wie die anderen in ihrem Alter, über das Bedürfnis, in der Klasse akzeptiert zu werden und ein ganz normales Leben zu führen.

Ursula Gruber, die noch nie ein Drehbuch geschrieben hatte, hörte sich die Idee ihres Bruders an, dachte lange nach und sagte dann: "Das könnte ich ja einfach mal probieren." Und tatsächlich: Es funktionierte. Acht Jahre lang hatte Gruber nach ihrem Ethnologie-Studium als Dokumentarfilmerin in München gearbeitet. Das ließ sie von nun an sein und wühlte stattdessen zwei Jahre lang in Erinnerungen, trug Anekdote um Anekdote zusammen und schrieb die Geschichte auf. Sie war überrascht, wie leicht ihr dies fiel. "Drehbuchschreiben für einen fiktionalen Film ist ähnlich wie die Arbeit im Schnitt bei einer Dokumentation", meint Gruber. Das Drehbuch ist weitgehend autobiographisch, aber an vielen Stellen zugespitzt und übertrieben - der Dramaturgie zuliebe.

Ursula Gruber spricht überlegt und ruhig. Die Küchentür ist geschlossen, denn im Nebenzimmer halten ihr Freund Peter und ihre beiden Kinder Mittagsschlaf: die fünfjährige Anna und der erst zwei Monate alte Luis. Die geräumige Wohnung ist schlicht, aber stilvoll eingerichtet: ein großes Ecksofa, ein Küchentisch aus Massivholz. An der Pinnwand im Flur hängen die Telefonnummern der Kinder aus Annas Kindergarten, auf dem Kühlschrank ist ein Zeitungsfoto von Elefantenbaby Ludwig aus dem Tierpark Hellabrunn geklebt. Hier wohnt eine Familie, keine Kommune - das wird schnell deutlich. Der einzige orangefarbene Gegenstand ist das Filmplakat, das in Grubers Arbeitszimmer hängt: Ihre Mutter, gespielt von Petra Schmidt-Schaller, tanzt in sich gekehrt auf einer Wiese, dahinter ragen die bayerischen Berge empor.

Die nächtliche SMS von Rosenmüller

Schon während des Schreibens dachte ich, den Film müsste eigentlich der Rosi machen", sagt Gruber, während sie noch einen Schluck Tee nimmt. Das Anderssein in der bayerische Provinz - das ist der Stoff, von dem viele Filme von Rosenmüller handeln; auch "Wer früher stirbt ist länger tot", mit dem der Regisseur 2006 berühmt wurde.

Gruber schickte Rosenmüller, den sie damals nur flüchtig kannte, das Drehbuch. Nachts um 1 Uhr traf seine Antwort ein, per SMS: "Ich bin total ergriffen, ich möchte den Film unbedingt machen", stand darin. Das war Ende 2008. Problematisch war allerdings: Rosenmüller hatte schon zahlreiche Projekte in Planung, erst in ein paar Jahren würde er Zeit haben, das Drehbuch zu verfilmen.

So lange wollten Ursula und Georg Gruber nicht warten, sie fürchteten, jemand anderes würde ihnen zuvor kommen, einen Film über Bhagwan-Anhänger in Deutschland zu drehen. Die Geschwister fragten zahlreiche Filmemacher, die Gespräche zogen sich über Monate. Doch dann kam plötzlich im Winter 2009 bei einem Projekt von Rosenmüller etwas dazwischen, der Regisseur hatte jetzt Zeit für Ursula Gruber. Im Mai 2010 begann endlich der Dreh. Das Filmteam machte sich auf zu einem leer stehenden Bauernhof im Ort Oberbiberg, wo auch schon Rosenmüllers "Wer früher stirbt ist länger tot", "Der Alte" oder "Es geschah am hellichten Tag" mit Heinz Rühmann gefilmt wurden.

Die Handlung: Die Bhagwan-Anhänger nisten sich in dem geerbten Bauernhof im oberbayerischen Talbichl ein und wollen dort ein Therapiezentrum errichten. Viele Bewohner des Ortes sind entsetzt, und auch die Neuankömmlinge haben Anpassungsprobleme. Zwei Welten prallen aufeinander - und mittendrin Lili und ihr Bruder Fabian.

So ähnlich hat es sich auch bei Ursula Gruber vor 30 Jahren im echten Leben abgespielt. Als sie neun Jahre alt war, zog ihre Mutter mit ihr, Bruder Georg und sieben Erwachsenen aus München in eine Kommune in Hohenschäftlarn. Kein riesiges Bauernhaus wie im Film, aber in ein großes Einfamilienhaus aus Holz. Sie trugen orangefarbene Kleidung, machten Yoga im Garten, meditierten und wurden von den Nachbarn misstrauisch beäugt.

"Ich hätte gerne eine normale Familie gehabt"

"Ich hätte gerne eine normale Familie gehabt", sagt Gruber noch heute. Sie hatte Probleme, zwischen dem liberalen Kommunenleben und dem traditionellem Dorfalltag zurechtzukommen: Freunde fand sie anfangs keine, in der Schule fiel sie aus der Reihe - auch wenn sie im wirklichen Leben anders als im Film keine orange Kleidung trug. Wie Lili begann Ursula, sich in Vereinen zu engagieren, um dazuzugehören: Die kleine Ursel machte Sport, trommelte in der Blaskapelle und besuchte später die Firmgruppe. Nach und nach fühlte sie sich immer wohler.

Neun Jahre lang lebte Ursula Gruber in der Kommune in Hohenschäftlarn. Doch seit Mitte der achtziger Jahre trug in der Wohngemeinschaft niemand mehr Orange, die Bewohner warfen die Gebetsketten, Malas, weg und distanzierten sich von Bhagwan, der immer umstrittener und schließlich sogar verhaftet wurde. 1990 starb der Sektenführer. Noch immer gibt es Anhänger von ihm, auch in Deutschland, allerdings bei weitem nicht so viele wie in den Achtzigern. Grubers Mutter hat sich inzwischen von der Lehre Bhagwans distanziert. Sie lebt bei Starnberg und ist verheiratet.

Gruber, die inzwischen bereits ein zweites Drehbuch - die Verfilmung der Kinderbuchreihe "Die Vampirschwestern" - fertig hat, sagt: "Die Figuren sind extremer, als wir es damals waren." So hätte ihre Mutter niemals ihre beiden Kinder in ein Internat in England geschickt, um sich selbst in den USA verwirklichen zu können.

Dennoch ist es für Gruber nicht einfach, dass nun Teile ihres Lebens öffentlich zu sehen sein werden. "Plötzlich wollen viele alles wissen", sagt Gruber. Bei Medienanfragen betont die Drehbuchautorin deswegen immer wieder, dass ja nicht alles so gewesen sei wie im Film. Und manches durchaus auch positiv. So hätten ihre Eltern sie nie in Frage gestellt, sagt Gruber. "Sie haben mich immer machen lassen, was ich für richtig hielt." Den eigenen Weg muss jeder selber finden - das hat sie geprägt bis heute und das ist die zentrale Botschaft des Films.

Was ihr weniger gefallen hat, ist, dass sie auf keine "normale" Schule gehen durfte, sondern erst eine Montessori-Schule besuchte und später ein privates Ganztagsgymnasium. "Ich dachte mir immer, wenn ich einmal Kinder habe, mache ich das ganz anders", sagt Gruber. Ihre Tochter Anna geht nun in einen Kindergarten, die Erziehung folgt dem Montessori-Prinzip.

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