Dominik-Brunner-Stiftung hilft Russen:Wenn Zivilcourage zur Falle wird

Das Martyrium des Daniil S.

Daniil und seine Mutter bei einem Ausflug in Barcelona.

(Foto: BR)

Ein junger Russe hilft bedrängten Frauen und wird zusammengeschlagen. Daniils Schädeldecke zerbricht in 80 Stücke, er fällt ins Wachkoma. Weil ihm die Ärzte in der Heimat nicht helfen können, holt ihn die Dominik-Brunner-Stiftung nach Deutschland. Ein Film zeigt Daniils langen Weg.

Von Karoline Meta Beisel

An der Wand über Daniils Bett hängt ein Zettel mit Vokabeln. Links stehen sie auf Deutsch oder Englisch, daneben zweimal auf Russisch. In kyrillischen Buchstaben und die Umschrift in lateinischen Buchstaben: "Hello - privét; goodbye - poká, rechts - napravo, links - nalevo". Es ist das fünfte Wort auf der Liste, bei dem klar wird, dass es in diesem deutschen Krankenhauszimmer um viel mehr geht als nur darum, dass die Pfleger ein paar Brocken Russisch lernen. "Ertragen" steht da, "terpi". Terpi ist Imperativ, darum müsste da eigentlich sogar "Ertrag es!" stehen. Dabei könnte sich Daniil sowieso nicht wehren. Das ist der Preis, den der 26-jährige Russe für seine Zivilcourage gezahlt hat.

Eine Fernseh-Dokumentation, die an diesem Samstag in der ARD zu sehen ist und am Donnerstag in Schwabing erstmals aufgeführt wurde, erzählt Daniils Geschichte. Am 15. Oktober 2011 hilft er in seiner Heimatstadt Beresniki am Westrand des Urals drei jungen Frauen, die auf dem Heimweg aus der Disco von fünf Männern bedrängt werden. Die Frauen können fliehen, aber die Täter lassen ihre Wut und ihren Frust an Daniil aus, treten und schlagen immer wieder auf ihn ein.

Sein Gehirn, so erklärt das ein Arzt später, fliegt dabei im Kopf hin- und her, unzählige Nervenverbindungen reißen einfach ab. Daniils Schädeldecke zerbricht in 80 Stücke, er fällt ins Wachkoma. Die Ärzte in Russland sagen, sie können nichts mehr für ihn tun. Sie geben Daniil auf.

Aus Verzweiflung bringt Daniils Mutter ihren Sohn Anfang 2012 nach Deutschland. Da wiegt er gerade noch 27 Kilo - bei einer Körpergröße von 1,82 Metern. In einer Bonner Spezialklinik können die Ärzte Daniil helfen, aber die Behandlung ist teuer, und Daniiels Mutter keine reiche Frau. Eine Studentin wird auf Daniils Geschichte aufmerksam, und ist so berührt, dass sie seitdem für ihn kämpft.

Vor allem wirbt sie um Spenden, um die Behandlung zu finanzieren. Auch die Dominik-Brunner-Stiftung bittet sie um Hilfe. Der Münchner Brunner starb 2009 am S-Bahnhof in Solln, auch er wurde geschlagen und getreten, weil er Schwächeren zur Hilfe kam. Die Stiftung wurde nach dem Tod des Managers gegründet wurde, um für Zivilcourage zu werben und Menschen zu helfen, die durch einen selbstlosen Einsatz in Not geraten sind.

"Ein Wert, der über Grenzen hinausgeht"

Dass Daniil aus dem fernen Ural kommt, habe keine Rolle gespielt, sagt Andreas Voelme von der Brunner-Stiftung: "Zivilcourage ist ein Wert, der über Grenzen hinausgeht." Die Stiftung ruft zu Spenden auf, knapp 100.000 Euro kommen so zusammen. Mit dem Geld kann Daniil weiterbehandelt werden.

Zehn Monate nach seiner Ankunft in Deutschland verändert sich Daniils Zustand. Er folgt seiner Mutter oder Laura mit den Augen, bewegt einen Finger. Am Anfang fürchten die Ärzte, es könnte einfach Zufall sein. Aber am 5. Dezember 2012 sind sie sich sicher: Daniil ist wach.

Die Dokumentation von Susanne Fiedler und Birgit Meißner zeigt Daniils Weg, begleitet ihn von Bonn erst in eine Einrichtung für Wachkoma-Patienten, dann ins Sauerland zu einer Wassertherapie, schließlich nach Barcelona, wo er weitere Fortschritte macht.

Entschädigungszahlungen bleiben aus

Der Film erzählt aber auch von der Schwierigkeit, in Russland Gerechtigkeit zu finden. Die Täter wurden zwar zu langen Haftstrafen und hohen Entschädigungszahlungen verurteilt, 180.000 Euro insgesamt. Daniils Mutter sagt, im Dezember hätten die Männer das erste Mal Geld überwiesen: jeweils 100 Rubel, das sind umgerechnet etwa 2,20 Euro pro Kopf. Den Rest einzutreiben, sei aussichtslos, heißt es in dem Film: Die Täter kommen aus einflussreichen Familien. Und die Mädchen, denen Daniil damals geholfen hat? Haben ihn seitdem nie besucht.

Mehr als zwei Jahre nach dem Überfall sind die Filmemacher auch am 15. September des vergangenen Jahres dabei, als Daniil zurückkehrt nach Beresniki, wo seine Geschichte begann. Wie es für ihn weitergeht, ist ungewiss. Das Geld der Dominik-Brunner-Stiftung ist fast aufgebraucht, Daniils Mutter kümmert sich eigenständig um die Behandlung ihres Sohnes.

Immer noch muss Daniil jeden Tag seine Übungen absolvieren. Manchmal hat er so starke Schmerzen dabei, dass er schreit oder anfängt zu weinen. Den Arm heben, die verkrampften Finger strecken, den Kopf drehen, all das muss er erst wieder lernen Aber er kann leise einzelne Worte sprechen, kauen und schlucken und neuerdings sogar auf eigenen Beinen stehen, ohne dass ihn jemand festhält. Wenn seine kleine Nichte auf seinem Schoß sitzt, dann lacht er.

Das Martyrium des Daniil S. - Wenn Zivilcourage zur Falle wird: Samstag, 11.1., 15.30 Uhr, ARD

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