Italienisches Lebensgefühl:"Und außerdem heißt es 'Cappuccini' und nicht 'Cappuccinos', Depp!"

Italienisches Lebensgefühl: Richtige Italiener trinken keinen Cappuccino, das ist nur so eine deutsche Unart - das weiß Giovanni, der früher mal Hansi hieß und jetzt alles über Italien weiß.

Richtige Italiener trinken keinen Cappuccino, das ist nur so eine deutsche Unart - das weiß Giovanni, der früher mal Hansi hieß und jetzt alles über Italien weiß.

(Foto: Stephan Rumpf)

Selbst der Cappuccino sollte inzwischen stilvoll und richtig italienisch konsumiert werden - zumindest, wenn man zum kultivierten Teil der Menschheit gehören will.

Kolumne von Wolfgang Görl

Es war später Nachmittag, eine gute Zeit, eine jener gehobenen italienischen Kaffeebars aufzusuchen, in denen der Barista seinen Job mit der Herrschaftsgewalt eines toskanischen Renaissance-Fürsten ausübt, weshalb es von seiner Gnade abhängt, ob und wann man seine Bestellung aufgeben kann. Das ist selbstverständlich völlig in Ordnung, nur so kommt das richtige Italien-Gefühl auf, ohne das der Münchner in eine schwere Identitätskrise geriete.

Und überhaupt: Diesmal durfte man sich der Gnadensonne des Barista sicher sein, denn Giovanni war dabei, ein Stammgast, der hier jedes Mal mit einem Trara begrüßt wird, als wäre er soeben von den Toten auferstanden. Giovanni hieß früher mal Hansi, einige Jahre war er auch als Joe unterwegs, ehe er nach einem Wochenendausflug an den Gardasee seinen Namen italienisierte. Seither gilt er als Kenner italienischer Lebensart sowie als unerbittlicher Wächter derselben.

Angesichts dessen war es unklug, ja geradezu leichtsinnig, in Giovannis Gegenwart einen Cappuccino zu bestellen. Giovanni erbleichte zuerst, dann aber, sein Gesicht war mittlerweile in Zornesröte erglüht, knurrte er mit unheilvoll gedämpfter Stimme: "Cappuccino! Am Nachmittag! Spinnst du? Der Italiener trinkt nie Cappuccino am Nachmittag." Und im Bußpredigerton eines Savonarola fügte er hinzu, der richtige Italiener trinke überhaupt keinen Cappuccino, das sei nur so eine deutsche Unart. Espresso, ausschließlich Espresso trinke der richtige Italiener, wobei er aber nicht "Espresso" sage, sondern "Caffè".

Der Einwand, unsereins genieße gern am Nachmittag mal ein, zwei Cappuccinos brachte Giovanni endgültig aus der Fassung. "Genießen! Was für ein egoistischer Quatsch!" Hier gehe es um die Pflege der Italianità, gerade als Bürger der nördlichsten Stadt Italiens dürfe man sich da keine Schwachheiten erlauben, er müsse sich ja schämen, so einen Freund zu haben. "Und außerdem heißt es 'Cappuccini' und nicht 'Cappuccinos', Depp!" Dann pfefferte er einen Zehner auf die Theke, rief "va bene così" und stürmte davon.

Merkwürdig, wie viele Kenner und Lifestyle-Savonarolas es gibt, die ihre Mitmenschen mit einer unendlichen Fülle an Vorschriften piesacken. Wehe, man streut sich zu viel Parmesan auf die Pasta! Wehe, man trinkt den falschen Wein zum Fisch! Und wehe, man schneidet Baguette mit dem Messer! Wer dabei erwischt wird, hat seine Zugehörigkeit zur kultivierten Menschheit verspielt.

Gleichsam als lokalpatriotische Variante des Italo-Wächterrats treiben in München die Weißwurst-Taliban ihr Unwesen, eine Fundamentalisten-Gruppe, die sich dem Auszuzeln verschrieben hat und jeden an den Pranger stellt, der Weißwürste mit Messer und Gabel isst. Dass die Würste das Zwölf-Uhr-Läuten nicht hören dürfen, gehört ebenfalls zu ihren unumstößlichen Glaubenssätzen. Vor einigen Jahren ist ein Münchner dabei erwischt worden, wie er abends Weißwürste mit dem Besteck verzehrte und danach einen Cappuccino trank. Er lebt jetzt mit neuem Namen und neuer Identität in Bielefeld.

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