Displaced-Persons-Lager Föhrenwald:Zwei verbogene Löffel und viele Erinnerungen

Es ist eines der unbekannten Kapitel der deutschen Geschichte: die Displaced-Persons-Lager. Wer den Holocaust überlebt hatte und zu schwach, arm oder krank war, das Land der Täter zu verlassen, fand hier eine neue Heimat. Jetzt berichten Bewohner aus Föhrenwald bei Wolfratshausen über ihre Zeit dort.

Lisa Sonnabend

Beno Salamander erinnert sich noch genau. An den Friseur, der während der WM 1954 einen Fernseher vor seinem Laden aufstellte, an das Badehaus, in dem donnerstags die Frauen und freitags die Männer duschten, und an den Kiosk, der Süßigkeiten, Zigaretten und Zeitungen in jiddischer Sprache anbot. "Hier traf man sich, um das Neueste zu erfahren, von hier aus konnte man sehen, wer ins Lager kam oder wer es verließ." Der Hauptplatz in Föhrenwald, dem Lager für Displaced Persons, kurz DP, bei Wolfratshausen, in dem Salamander, heute Arzt in München, seine Kindheit verbrachte.

Föhrenwald Waldram

Vorübergehende Heimat für Displaced Persons - Föhrenwald um 1955.

(Foto: Stadtarchiv Geretsried)

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde das ehemalige Zwangsarbeiterlager Föhrenwald von den Amerikanern in ein DP-Lager umgewandelt. Diejenigen, die den Holocaust überlebt hatten und zu schwach, zu krank oder zu arm waren, um Deutschland, das Land der Täter, sofort zu verlassen, fanden hier eine Unterkunft. Föhrenwald wurde erst 1957 geschlossen, später als die anderen DP-Lager in Bayern.

Von den Kuratorinnen des Jüdischen Museums am St.-Jakobs-Platz ist Salamander ermuntert worden, die Geschichte seiner Kindheit weiterzutragen. Sie planten gerade die Ausstellung "Juden 45/90", die sich der Geschichte der Displaced Persons in der Nachkriegszeit widmet und noch bis Juni zu sehen ist. Dabei forschten sie auch bei Salamander nach. Ob er Gegenstände hat, die er beisteuern könne?

Kratzer, die von Schrecken zeugen

Salamander gab unter anderem zwei verbogene Löffel - die einzigen Gegenstände, die seinen Eltern aus der Vorkriegszeit übrig geblieben waren und deren Kratzer symbolisch von der schicksalhaften Geschichte erzählen. Und er gab seine Erinnerungen. An seine erste Brille, die ihm bei einem Fußballspiel im Lager schnell zu Bruch ging. An seinen guten Freund Buma, mit dem er seinen ersten Kaugummi kaute und die erste Zigarette rauchte. Und natürlich an seine Mutter, die an einer Herzkrankheit litt und 1953 in einem Münchner Krankenhaus starb.

Beno Salamander, 1944 in Turkmenistan geboren, wanderte mit seiner Familie nach dem Krieg von Osteuropa nach Bayern, da sie in ihrer Heimat Polen nicht mehr willkommen waren. Sechs Jahre war Beno alt, als er schließlich nach Föhrenwald kam; zwölf Jahre, als er das Lager verließ. Er kann sich somit noch gut erinnern an die Zeit.

Eigentlich hat Salamander die Geschichte für seine Kinder aufgeschrieben, doch nun ist das Büchlein "Kinderjahre im Diplaced-Persons-Lager Föhrenwald" erschienen und kann für einen Unkostenbeitrag bei der Landeszentrale für politische Bildung oder im Jüdischen Museum erstanden werden. Am 16. April liest Salamander dort während der Ausstellung daraus. Es ist kein literarisches Meisterwerk geworden, aber das Büchlein gibt aus sehr persönlicher Sicht Einblick in einen Teil der deutschen Geschichte, der bislang nur wenig erforscht wurde.

Auch Eva Greif versucht die Erinnerung an Föhrenwald aufrecht zu erhalten. Die Gymnasiallehrerin lebt in Waldram, wie Föhrenwald heute heißt. Die Siedlung sieht noch aus wie damals, die typischen Häuschen mit den langgezogenen Dächern stehen fast alle noch. Nur die Straßen sind umbenannt worden, nachdem die Amerikaner Bayern verlassen hatten. Greifs Haus steht in der Korbinianstraße, die früher New-Jersey-Straße hieß. Nur wenige Meter entfernt von dem Ort, an dem Beno Salamander aufwuchs.

Lange wusste Greif, wie viele Waldramer, nichts von der bewegten Vergangenheit ihrer Siedlung. Erst als sie eines Tages das Wohnzimmer weißelte und über dem Klavier ein Davidstern zum Vorschein kam, begann sie nachzuforschen. Mittlerweile hat die Lehrerin alle Bücher zu dem Thema gelesen und einiges über Föhrenwald herausgefunden. Dort, wo nun in ihrer Küche die Eckbank steht, lernten vor sechzig Jahren jüdische Kinder Lesen und Schreiben. In ihrem Haus war eine Schule untergebracht.

Vom Abriss bedroht

Greif gründete 2007 mit vier Bekannten den Arbeitskreis Föhrenwald. Am Eingang zur Siedlung haben sie eine Informationstafel aufgestellt, immer wieder organisieren sie Veranstaltungen über die Geschichte des Ortes, die meist sehr gut besucht sind. Nun soll bald ein historischer Pfad durch Waldram führen, den eine von Greifs Schülerinnen in ihrer Facharbeit entwickelt hat.

2009 hat der Arbeitskreis Föhrenwald ein Treffen für ehemalige Bewohner des DP-Lagers auf die Beine gestellt. Aus der ganzen Welt sind sie angereist, um noch einmal ihre Wohnungen zu betreten und den heutigen Bewohnern von ihrer Geschichte zu erzählen. Auch Beno Salamander kam. "Die Leute von damals wiederzusehen - das ist ein Gefühl zwischen Klassen- und Veteranentreffen", sagt er und lacht. In der Ausstellung im Jüdischen Museum sind Video-Ausschnitte von dem Besuch in Waldram zu sehen. Die ehemaligen DPs scherzen, unterhalten sich mit den Waldramern, manchmal wirken beide Seiten auch ein wenig verunsichert.

Beno Salamander, Eva Greif und die Kuratorinnen des jüdischen Museum haben Versatzteile zusammengetragen - die ganz unterschiedlich sind und gemeinsam endlich die Geschichte eines Ortes greifbar machen. Beno Salamander sitzt in seiner Praxis am Odeonsplatz, Mittagspause, den weißen Arztkittel hat er nicht abgelegt. "Wir Kinder mussten damals unsere Identität finden", sagt er. "Wir wussten, wir müssen uns im Leben bewähren. Auf Erbe oder gar Heimat konnten wir nicht bauen."

Reden über die Geschichte des Ortes

Föhrenwald ist der Ort, an dem Salamander trotz der belastenden Umstände eine recht unbeschwerte Kindheit erlebte. Zu einer Heimat ist ihm die Siedlung nicht geworden. Deswegen findet er zwar gut, dass das Jüdische Museum sich des Themas annimmt - da "man so wenig weiß über die damalige Zeit". Doch er sagt auch: "Ich fühle mich nicht als Heimatvertriebener aus Föhrenwald. Wie die Waldramer es in Erinnerung halten, ist ihre Sache."

Eva Greif und ihre Freundin Sissy Mayrhofer aus dem Arbeitskreis bleiben auf dem Kolpingplatz stehen, dem Hauptplatz, den Beno Salamander in seinen Erinnerungen genau beschrieben hat. Die Fensterläden des langen Gebäudes des ehemaligen Badehauses sind zugezogen, die Bausubstanz bröckelt ein wenig. Doch es steht. Noch.

Es gibt konkrete Pläne, es abzureißen und stattdessen einen Neubaukomplex zu errichten. Greif hofft, dass es nicht so weit kommt. Der Platz sei identifikationsstiftend für die Siedlung und geschichtsträchtig. Ein Teil der Seele Waldrams würde verloren gehen. Der Arbeitskreis Föhrenwald will das Gebäude stattdessen in ein Dokumentationszentrum umwandeln, am liebsten mit einem Café darin, in dem sich die Bewohner treffen und austauschen können - auch über die Geschichte ihrer Siedlung. Greif hat viel Unterstützung aus der Bevölkerung und von Politikern bekommen. Für diese Woche ist nun ein Treffen wegen des Neubaus geplant mit dem Bürgermeister. Es geht um die Zukunft Waldrams - und damit auch um die Vergangenheit.

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