Diskussion über das Sterben:Blackbox Tod

"Es geht um die Angst": Im Münchner Justizpalast diskutiert Palliativmediziner Gian Domenico Borasio mit einem Soziologen, einer Bischöfin und einer Ministerin über gutes Sterben - und was es am Lebensende braucht.

Anna Fischhaber

Wenn sich in München jemand mit dem Sterben auskennt, dann ist das wohl Gian Domenico Borasio. Am Lebensende brauchen sterbenskranke Menschen nicht nur medizinische, sondern auch psychosoziale und spirituelle Hilfe, sagt er. Borasio ist der führende Palliativmediziner in Deutschland, er unterrichtet an der TU München die Medizin am Lebensende und hat nun ein Buch über das Sterben vorgelegt. Über das, was wir darüber wissen sollten, und über das, was wir tun können. "Über das Sterben" ist kein emotionales Werk, der Mediziner geht pragmatisch an das Thema heran - und wirft einen eher nüchternen, gelassenen Blick auf die Endlichkeit.

Erste bundesweite Pflegenoten fuer Altersheime offenbaren Defizite

Gian Domenico Borasio wirft in seinem neuen Buch einen eher nüchternen, gelassenen Blick auf die Endlichkeit.

(Foto: ddp)

"Es geht um die Angst", sagt Borasio, als er an diesem Montagabend sein Werk im Münchner Justizpalast vorstellt. "Und wenn ich das Angstniveau nur um ein paar Millimeter senke, habe ich etwas erreicht." Mit einem einfachen empirischen Experiment macht er den rund 150 Besuchern klar, dass auch sie dem Tod irrational begegnen. Einen Menschen, der in einer Notsituation über die Verlängerung des eigenen Lebens entscheiden könnte, kennt fast jeder. Eine Vorsorgevollmacht hat dennoch kaum jemand unterschrieben. Dabei wisse doch niemand wirklich, was in den nächsten 24 Stunden passiert, warnt Borasio. Viele nicken, die meisten im Saal sind weit über 50 Jahre alt - und einige erzählen nach der Lesung vom Tod der eigenen Angehörigen.

Die Erfahrungen mit Sterbenskranken, die der Autor an diesem Abend erzählt, stimmen nachdenklich. Etwa die von dem erfolgreichen Geschäftsmann, der mit noch nicht einmal 50 Jahren die gefährliche Nervenerkrankung amyotrophe Lateralsklerose bekommt - und trotz der unheilbaren Krankheit und der voranschreitenden Lähmung von mehr Lebensqualität spricht. Nicht wegen der schmerzlindernden Medikamente, sondern weil er nun lernt, bewusst zu leben. Und zu meditieren.

Oder von den Eheleuten, die beide wissen, dass er sterben muss. Und die doch nicht darüber sprechen können, weil sie Angst haben, dem Partner die letzte Hoffnung zu nehmen. "Kommunikation ist unabdingbare Vorraussetzung jeder Patientenbegleitung", sagt Borasio. Zwischen dem Betroffenen, seinen Angehörigen und den Ärzten. Und doch scheint es am Lebensende oft genau daran zu fehlen.

Mit Borasio auf der Bühne sitzen die oberbayerische Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler, der Münchner Soziologe Armin Nassehi und Justizministerin Beate Merk. Auch sie haben bereits Erfahrungen mit dem Tod gemacht. Breit-Keßler etwa war 29 Jahre alt, als bei ihr ein Tumor festgestellt wurde. Die Ärzte gaben ihr eine Chance von zwei Prozent. Sie überlebt trotzdem. Doch als sie die Diagnose bekam, lag ihre krebskranke Mutter gerade im Sterben. Oder Nassehi, der selbst schon einige Bücher über den Tod geschrieben hat, und nun interessante Vergleiche zwischen der Finanzkrise, den Bänkern und der Medizin am Lebensende anstellt.

Angesichts der hochkarätigen Gäste hätte es also ein spannender Abend werden können. Doch eine Diskussion will nicht recht zu Stande kommen. Vielleicht weil sich alle einig sind, dass ein Umdenken in der Beziehung Patient-Arzt notwendig ist und dass Mediziner besser ausgebildet werden müssen, damit sie lernen, den Sterbenden mit Empathie zu begegnen.

"Es ist ignorant, Menschen nur mit Medikamenten vollzustopfen", sagt etwa Breit-Keßler. "Und wer das nicht inzwischen begriffen hat, ist völlig daneben." Nur: Im Publikum findet sich kein Arzt, der dem widersprechen will. Dabei wird die Palliativmedizin von vielen Kollegen immer noch misstrauisch beäugt. Borasio musste das unlängst erleben, als er an der LMU Deutschlands erste Professur für Spiritualität in der Medizin initiiert hat.

Selbst das wütende Plädoyer, das Ministerin Merk gegen aktive Sterbehilfe hält, die statt persönlicher Zuwendung nur ein Mittel zum Tod liefere, verhallt im Saal. Dabei hat auch Borasio über die Tötung auf Verlangen und den assistierten Suizid ein paar durchaus informative Gedanken in seinem Buch notiert.

Vielleicht ist es wirklich die Angst vor dem Sterben, die diesen Abend so still macht. Das Buch von Borasio lohnt sich trotzdem. Nicht, weil es sonderlich provokante Thesen enthält. Sondern einfach, weil es unsere immer älter werdende Gesellschaft auf das Sterben vorbereitet. Die, die sterben müssen, und die, die die Sterbenden begleiten.

Gian Domenico Borasio "Über das Sterben. Was wir wissen. Was wir tun können. Wie wir uns darauf einstellen." C.H. Beck, ISBN 978-3-406-61708-9, 17,95 Euro.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: