Diskussion:Manifest fürs Ministerium

Schmidbauer Immhoff

Stadtschulsprecherin Hannah Imhoff hielt eine beeindruckende Rede.

(Foto: Günther Reger)

Bildungsinteressierte Bürger wollen eine bessere Schule

Von Gerhard Fischer

Das bayerische Kultusministerium wird vermutlich Ende dieser Woche Post bekommen. Ihr Inhalt trägt einen wuchtigen Titel: "Münchner Manifest - Lernen im 21. Jahrhundert." Thomas Becker, Vorsitzender der "Aktion gute Schule", sagte am Montag, dass das Manifest von "bildungsinteressierten Bürgern" verfasst würde. Diese Bürger hätten sich in vier Vereinen organisiert - dazu gehören neben Beckers Initiative das "K.I.T.Z", der "Glockenbach Malort München" und "nlpaed". Sie fordern unter anderem, dass die Wissensvermittlung an den Schulen "an den Bedürfnissen der Kinder" ausgerichtet werde. Kein Kind dürfe in der Schule "beschämt werden", sagte Becker; dazu gehöre auch das Ausfragen vor der Klasse.

Die vier Vereine veranstalteten auch bei den Münchner Bildungstagen eine Podiumsdiskussion, und es war eine kluge Entscheidung, Hannah Imhoff als Erste reden zu lassen. Imhoff ist Stadtschulsprecherin, sie macht gerade Abitur - und sie ist humorvoll, geradlinig und charmant; ihre Rede war beeindruckend und bedrückend. "Jeder 20. Gymnasiast leidet unter dem Burnout-Syndrom", sagte sie. Es müsse Schluss sein mit dem Druck und mit der herrschenden Art der Wissensvermittlung, die aus "Reproduzieren" bestehe. Applaus im Publikum. Mehr als 300 Zuhörer waren gekommen, die meisten waren im Eltern-von-Schüler-Alter, einige Kinder und Teenager waren mit dabei und - wie sich im Laufe des Abends herausstellte - auch etwa 30 Lehrer.

"Grundschule, Gymnasium, Abitur, Studium, Bachelor, Arbeit", sagte Imhoff im Stakkato-Stil, "darf ich eine Pause machen?" - "Nein, mein Kind, du wirst zu alt." Das sei zwar ein Dialog aus einem Theaterprojekt, sagte Hannah Imhoff, aber er sei so wahr. Sie beklagte vor allem die mangelnde Demokratie und die "oft nur stumpfe Wissenswiedergabe" an den Schulen, die Schüler zu dieser Haltung zwinge: "Klappe halten und gute Noten schreiben, Hauptsache Abschluss." Sie wünsche sich auch eine Feedback-Kultur für Lehrer. "Schüler sind Potenzial-Entfalter für Lehrer", sagte sie. Imhoff trug alles eloquent und mit viel Enthusiasmus vor, aber richtig neu war es nicht - was nicht der jungen Frau angelastet werden darf, sondern den Politikern, die seit Jahrzehnten kaum etwas gegen die Missstände unternehmen.

"Bereits 1976", sagte Thomas Sattelberger, der neben Imhoff auf dem Podium saß, habe er - übrigens zusammen mit Joschka Fischer - die "Unabhängige Schülergruppe Stuttgart" gegründet, um mehr Demokratie in den Schulen zu erreichen. Seither habe sich herzlich wenig getan.

Sattelberger war später unter anderem im Vorstand der Telekom und der Lufthansa. "Die Wirtschaft ist den Schulen 10 oder 15 Jahre voraus", sagte er. Dort wolle man gar keine "industrialisierte Bildung" mehr, in der es aufs Wiederkäuen von Wissen ankomme. "Die Schüler befinden sich ja im Maschinenraum und nicht in einer Kreativwerkstatt." Die Firmen wollten aber Mitarbeiter, die eigenverantwortlich denken und handeln würden. Sattelberger schlug unter anderem vor, dass es direkt neben den Schulen Theaterräume geben solle oder Räume für Bildende Kunst. Damit man sich austauschen könne.

Margret Rasfeld, Gründungsdirektorin der preisgekrönten Evangelischen Schule Berlin Zentrum, sagte auf dem Podium, "eine Reform des Alten" bringe gar nichts mehr; da habe auch keiner mehr Lust drauf. Etwas ganz Neues müsse her, und das Ausland mache es vor. "In Finnland gehen alle Kinder in eine Schule", sagte sie, "wie sollen die Menschen in der Welt miteinander zurecht kommen, wenn wir schon Angst haben, Kinder in einer Schule zusammen zu lassen?" Oder Österreich. Das Land gebe jährlich 50 Millionen Euro für Bildungs-Innovationen aus, sagte Rasfeld. "Da kann sich Deutschland eine Scheibe abschneiden." Beifall.

In Arbeitsgruppen wurde anschließend über 20 Thesen für das Manifest geredet. Am Ende des Abends waren sie noch nicht spruchreif, die Mitglieder der vier Vereine feilen in diesen Tagen weiter daran. "Wir wollen die Thesen noch griffiger formulieren und mit Fakten hinterlegen", sagte Thomas Becker am Montag, "ich hoffe, wir schaffen es noch diese Woche, aber sicher ist es nicht - wir sind ja alle ehrenamtlich." Und dann soll das Manifest den Parteien und dem Kultusministerium übergeben werden. Ob's hilft? Thomas Sattelberger hat wohl keine große Hoffnung. In seinem Redebeitrag hatte er gesagt, "manchmal sei der Vatikan geschwinder als Bildungsreformen".

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