Dieter Hildebrandt ist 80 (Teil II):"Merkel ist ein bisschen thatcherig"

Eine politische Bestandsaufnahme vom Kabarett-Urgestein: Dieter Hildebrandt lobt Strauß, meckert über Schröder, vergleicht Lafontaine mit tschechischen Kickern. Und schimpft über Kohl - weil der sich auf die blühenden Landschaften setzte.

Johannes Honsell und Oliver Das Gupta

SZ.de: Wir befinden uns auf der Bühne der Lach- und Schießgesellschaft. Und wir glauben, dies ist der beste Ort, um mit einem der Gründer, Ihrem Freund Sammy Drechsel, Kontakt aufzunehmen. Erzählen Sie ihm doch mal einen Witz.

Dieter Hildebrandt: Witze kann ich überhaupt nicht erzählen. Aber wenn der Sammy zuhört, dann sitzt er dort oben vermutlich nicht alleine, sondern dann sitzt er mit dem Wolfgang Neuss da. Der hat mir kurz vor seinem Tode versprochen: Sein Geist würde eines Tages in mich fahren. Das ist jetzt schon fast 20 Jahre her. Sammy soll ihn mal fragen, wann es denn nun so weit ist.

SZ.de: Sie spüren den Geist von Wolfgang Neuss noch nicht in sich?

Hildebrandt: Nein, ich bin immer noch zu ruhig. Ich spüre den Neuss'schen Impetus noch nicht. Ich habe meinen Zorn, aber ich bräuchte seinen noch obendrein.

SZ.de: Sagen wir, Sammy Drechsel ist dort oben auf der Wolke von den Nachrichten abgeschnitten, was würden Sie ihm erzählen über den Zustand der SPD?

Hildebrandt: Erst mal: Warum soll Sammy Drechsel da oben von den Nachrichten abgeschnitten sein?

SZ.de: Es ist unser Bild, da bestimmen wir die Regeln, also: Dort oben gibt es keine Nachrichten.

Hildebrandt: (lacht) Das akzeptiere ich nicht, dass Sie die Regeln bestimmen. Vielleicht gibt es einen Nachrichtenhimmel? Oder es dringen nur gute Nachrichten durch? Vielleicht gibt es ein Referat für gute und schlechte Nachrichten, vielleicht Zensur. Schließlich sind ja auch die Zensoren von früher alle im Himmel.

SZ.de: Okay, wir geben auf. Er bekommt Nachrichten. Und was, glauben Sie, denkt er über die SPD?

Hildebrandt: Er würde wahrscheinlich zu Willy Brandt gehen, der auf irgendeiner Wolke nebenan sitzt, und würde ihn fragen: "Du, Willy, kannst du mir sagen, was da unten los ist?" Und der würde antworten (imitiert Brandt): "Es ergibt nicht immer einen Sinn, was da unten passiert." Wahrscheinlich hat er schon ein wenig "Stopp!" gerufen, als Gerhard Schröder Bundeskanzler wurde.

SZ.de: Warum?

Hildebrandt: Weil Schröder seinen politischen Beruf sehr auf sich bezieht. Ich glaube, dass er damals, als er am Gitter des Kanzleramts gerüttelt hat und gesagt hat "Ich will da rein", vor allem sich selbst gemeint hat, und nicht die SPD. Ich glaube, er wollte rein, das Gitter zumachen, und die SPD sollte draußen bleiben.

SZ.de: Also ist Gerhard Schröder kein echter Sozialdemokrat?

Hildebrandt: Er ist ein Selbstvermarkter von hohen Graden. Schröder wollte seinen Frieden machen mit denen, die die Arbeitsplätze vergeben. Das hat Willy Brandt schon versucht, und auch dem ist es nicht gelungen. Es ist ein falsches Bündnis. Politik war damals wie heute der Spielraum, den die Wirtschaft ihr lässt. Diese Anlehnung der SPD an die Arbeitgeber hat nur dazu geführt, dass die Gewerkschaften geschwächt wurden. Heute sind sie weitgehend machtlos, überflüssig. Die Arbeitgeber verbünden sich mit Privatgesellschaften, die dann auch mal 1000 Leute entlassen dürfen. Ich glaube, die Sozialdemokraten haben den Kopf in einen Rachen gesteckt, und die Frage ist nur, wer zubeißt und wann. Sie haben das, was sie gefürchtet gemacht hat, einfach aufgegeben, sie haben es verkauft.

SZ.de: Man würde ihnen wahrscheinlich entgegenhalten, dass man die 1000 entließe, weil sonst die ganze Firma pleite ginge.

Hildebrandt: Ein Totschlagargument. Es geht nicht. Heute sind die Firmenchefs keine Firmenväter mehr, so wie es vielleicht Max Grundig war. Sie kennen ihre Mitarbeiter nicht, sind irgendwo weit oben. Die berührt das nicht, wenn 10.000 Leute gehen müssen, denn jeder Entlassene erhöht den Börsenkurs. Eine allzu simple Rechnung. Die Wirtschaftsteile der Zeitungen nehmen diese vielen, vielen weisen Dinge, die zur Entlastung der Arbeitgeber geschrieben wurden, langsam zurück. Hartz IV hat sich als Irrtum herausgestellt. Vermutlich ist es für die Wirtschaftsredakteure ganz schwer, das zuzugeben.

"Bin nicht sonderlich beglückt über das, was nach Willy Brandt entstanden ist"

SZ.de: Nun würden Ihnen manche sagen, dass die Reformen der alten Bundesregierung unter Schröder Wirkung zeigten - dass Wirtschaftswachstum zunähme und die Zahl der Arbeitslosen sinke.

Hildebrandt: Das wird behauptet. Aber auch der Michael Glos hat als Wirtschaftsminister behauptet, der Aufschwung sei seiner. Wahrscheinlich ist er auch überall hingegangen und hat "ich, ich" gerufen. Wobei Müntefering schon eine Stunde vorher da war und dasselbe behauptet hat. Ich glaube nicht, dass irgendjemand dafür verantwortlich ist, dass der Aufschwung kommt. Der hat ganz andere Gründe. Als jemand, der sich für Wirtschaft interessiert, bin ich völlig verwirrt. Man erklärt mir, dass der Aufschwung da ist und es mehr Arbeitsplätze gibt, und am nächsten Tag, dass 10.000 Leute entlassen werden mussten. Innerhalb von zwei Tagen. Im Moment wird der Bürger absolut im Dunkeln gelassen über das, was wirklich passiert. Ich wage nicht zu begründen, warum ich misstrauisch bin. Aber ich glaube, ich werde einfach verarscht.

Dieter Hildebrandt ist 80 (Teil II): Der "Selbstvermarkter" und die "kalte" Kanzlerin: Dieter Hildebrandt ist kein Freund Angela Merkels und ihres Amtsvorgängers Gerhard Schröder

Der "Selbstvermarkter" und die "kalte" Kanzlerin: Dieter Hildebrandt ist kein Freund Angela Merkels und ihres Amtsvorgängers Gerhard Schröder

(Foto: Foto: ddp)

SZ.de: Ist das der Grund für Ihren Zorn?

Hildebrandt: Auch.

SZ.de: Worauf sind Sie noch zornig?

Hildebrandt: Das fällt mir jetzt nicht alles ein. Wenn man so alt wird, hat man eine richtige Basis an Zorn gesammelt, an Misstrauen gegenüber Institutionen und den Leuten, die in ihnen Posten bekleiden. Misstrauen gegen die SPD und ihren Vorsitzenden, aber natürlich auch gegen die CSU. Da bleibt viel Zorn übrig, ich möchte das nicht spezifizieren. Weil sie mich dann festnageln und sagen: Sie sind ja gar nicht zornig. Und das möchte ich vermeiden.

SZ.de: Dennoch ein Versuch: Die Führungsriege der SPD, also Beck, Müntefering, Struck ...

Hildebrandt: Ich bin nicht sonderlich beglückt über das, was nach Willy Brandt entstanden ist. Ich habe mir vorgenommen, auf die nächste Generation zu warten. Denn ich weiß nicht, ob die aktuelle noch Entwicklungsmöglichkeiten hat.

SZ.de: Nach Brandt kam nichts mehr?

Hildebrandt: Naja, Helmut Schmidt hat einen wunderbaren Job gemacht, aber einen guten Job hat Schröder auch gemacht, er war intelligent genug, um den Job zu verwalten. Die aktuelle Kanzlerin macht offenbar auch einen guten Job, sie verreist gut und gern, und sie ist beliebt und sie macht nichts falsch. Und sie war die erste Kanzlerin, die ohne Peinlichkeiten einen Israel-Besuch absolviert hat, im Gegensatz zu Kohl. Von dem stehen heute noch peinliche Sätze in Tel Aviv herum. Also zumindest hier liegt mein Zentrum des Zorns nicht. Was die Erben Brandts betrifft, ist es schade, dass ein Mann wie Erhard Eppler nie eine Chance in dieser Partei gehabt hat. Das macht mich doch sehr misstrauisch, dass solche Menschen, die vorausschauend sind, und die Politik von morgen machen, keinen Platz finden in dieser Partei. Zumindest wird er nie ernst genommen, Helmut Schmidt hat ihn nicht einmal gelesen.

SZ.de: Nach Jahrzehnten der Hassliebe, welche Sätze, welches Vermächtnis würden Sie der SPD ins Stammbuch schreiben?

Hildebrandt: Da erwischen Sie mich auf einem ganz falschen Fuß, denn diese Sätze habe ich nie vorbereitet. Ich will ihr auch nichts ins Stammbuch schreiben, und ich mochte ihr auch nie sagen, was ich von ihr verlange. Ich verlange von ihr, dass sie wieder die Partei wird, die sie einmal war, nämlich die Partei der Arbeitnehmer. Das ist der einzige Satz, den ich ihr wirklich vorwerfen kann.

SZ.de: Und Kurt Beck?

Hildebrandt: Kurt Beck ist ein gemütlicher Mann, und er wird immer sehr fähig wirken und er wird immer gewählt werden. Er kann auch gut Witze erzählen. Er hat neulich einen erzählt, aber ich habe ihn vergessen.

SZ.de: Worum ging es in dem Witz?

Hildebrandt: Um nichts.

SZ.de: Um Rasieren und Haarewaschen, damit man einen Job kriegt?

Hildebrandt: Ach das, nein das war kein Witz, das war seine Meinung. In der Zeit schien er mir doch sehr alt. Das muss noch aus der Zeit der Siebziger gewesen sein, aus der Zeit der Panik, als man Menschen mit langen Haaren noch für Terroristen hielt. Aber eigentlich ist der Kurt Beck doch noch gar nicht so alt, oder?

SZ.de: Das sollte jeder für sich entscheiden.

Hildebrandt: Kurt Beck ist für mich keine politische Figur an der ich mich aufrichten, an die ich mich erinnern kann. Er gehörte für mich immer zum Fußvolk der SPD. Er hat sich gut und tapfer verhalten, er ist vermutlich ein sehr integrer und ehrlicher Mann, ich habe an ihm nichts auszusetzen. Ich kann mich aber auch nicht erinnern, dass ich jemals besonderen Zorn gegen ihn gehegt hätte.

SZ.de: Wie schrecklich!

Hildebrandt: Ja, nicht? Kanzler wird er nicht, in der nächsten Zeit sehe ich da keine Chancen. Die Merkel wird wiedergewählt.

SZ.de: Vor der Bundestagswahl 2005 haben Sie uns über Angela Merkel gesagt, sie säge Menschen eiskalt ab, sie sei "ganz Kohls Mädchen". Sehen Sie das immer noch so?

Hildebrandt: Naja, das ist doch nicht ungeschehen. Menschen, die ihr nicht guttun, wird sie wahrscheinlich immer noch vergessen. So wie den Professor Kirchhof. Den hat sie eine Woche lang für einen wichtigen Teil ihrer politischen Zukunft gehalten, bis jemand kam und ihr sagte, dass dem nicht so sei. Und da hat sie ihn einfach vergessen. Ein kluger Mann, er hat gute Vorschläge gemacht, die hätte man zumindest überlegen können. Vielleicht wäre man bei genauerer Untersuchung auch drauf gekommen, dass es doch Unsinn ist. Kirchhof hat vor allem einen Fehler gemacht: Er hat gesagt: "Höchststeuern 25 Prozent ...", und die Leute sind ihm sofort ins Wort gefallen, sodass er nicht mehr hinzufügen konnte: "... in einem Zeitraum von acht Jahren."

SZ.de: Kirchhof wollte die gleiche Einheitssteuer für alle, eine "flat tax". Die Linke kritisierte, das begünstige die Reichen. Diese Ansicht müssten Sie doch eigentlich teilen.

Hildebrandt: Ich habe ja gesagt, man hätte es vielleicht noch genauer diskutieren müssen, aber das hat Merkel unterbrochen. Sie ist kalt in ihren Entschlüssen, ein bisschen thatcherig. Von der Innenpolitik soll sie angeblich besonders viel wissen, nur eben nicht das, was uns besonders interessiert. Ich meine, irgendwann kommt sie ja mal von ihren Reisen wieder und wird dann wieder in diesem Kanzleramt da oben sitzen.

SZ.de: Vor zwei Jahren sagten Sie noch: Die Merkel macht es zwei Jahre, und dann kommt die Große Koalition.

Hildebrandt: Und nun ist sie früher gekommen, und Merkel wird wiedergewählt. Ich habe auch 2002 nicht geglaubt, dass Schröder wiedergewählt werden würde. Ich war noch nie geeignet als Prophet. Ich habe immer falsch gelegen.

"Strauß wäre auch ein sehr guter Kabarettist geworden"

SZ.de: Wir würden Ihnen nun gerne ein paar Namen vor die Füße werfen, die in Ihrem langen Leben eine besondere Rolle gespielt haben. Als Erstes: Heinrich Lübke.

Hildebrandt: Ein armer Mann, aber mit einer starken Frau. Ein armer Mann insofern, als er von Konrad Adenauer missbraucht wurde. Der wusste genau, dass ein Mann wie Lübke als Bundespräsident nicht sehr geeignet war. Man kann als Bundespräsident nur jemanden nominieren, der sprachgewandt ist, aber nicht jemanden wie Lübke, der, sagen wir, ein wenig ungelenk formuliert hat. Der Mann wurde dem Spott ausgeliefert. In der ersten Zeit habe ich mitgespottet, nach vier Jahren habe ich aufgehört.

SZ.de: Aus Mitleid?

Dieter Hildebrandt ist 80 (Teil II): Dieter Hildebrandt mit seiner Ehefrau Renate

Dieter Hildebrandt mit seiner Ehefrau Renate

(Foto: Foto: AP)

Hildebrandt: Ein bisschen ja. Außerdem hat mir Carlo Schmid einmal gesagt, es wäre unfair, einen Mann wie Lübke, einen Bundespräsidenten überhaupt, anzugreifen. Weil der sich nicht wehren kann.

SZ.de: Franz Josef Strauß konnte sich wehren.

Hildebrandt: Das war der beste Gegner, den man sich vorstellen konnte. Ein Mann von großer Sprachgewalt, der mit Sicherheit auch jeden anderen Beruf ergreifen hätte können. Er wäre auch ein sehr guter Kabarettist geworden. Dann wäre er als Comedian durch Deutschland getourt, und Zehntausende wären gekommen. Bei dem politischen Hintergrundwissen. Auch Wirtschaft. Er hat immerhin mal ein paar Semester Wirtschaft in Innsbruck studiert.

SZ.de: Dieter Stolte.

Hildebrandt: Der Intendant eines großen, zentral gelenkten, mächtigen Fernsehsenders, der Posten schien mir mit ihm doch ein wenig unterbesetzt. Aber er war ein sehr guter Programmdirektor.

SZ.de: Unter ihm wurde Ende der Siebziger Ihre Sendung "Notizen aus der Provinz" abgesetzt, nach Druck seitens konservativer Politiker. Keine Ranküne?

Hildebrandt: Nein, das ist zu lange her.

SZ.de: Helmut Kohl.

Hildebrandt: Für mich eine der negativsten Figuren im deutschen politischen Leben. Ein Mann, der es tatsächlich geschafft hat, die Wiedergeburt des sesshaften Demokraten zu werden. Wo er sich hinsetzte, war er nicht wieder hochzukriegen. Ein Mann, der sich mit einem unglaublichen Übergewicht auf alles gesetzt hat, was hätte blühen können, auch auf die blühenden Landschaften. Eine Figur, die mir zur Abschreckung dient. Ich würde meinen Kindern immer sagen: Wenn du Bundeskanzler werden willst, schau dir das Leben von Helmut Kohl an, schau dir an, was er mit uns gemacht hat, schau dir an, wie er mit seinem Ehrenwort umgeht. Und schau dir an, wie er demnächst den Friedensnobelpreis bekommen wird.

SZ.de: Oskar Lafontaine.

Hildebrandt: Er ist ein Phänomen. Er kann aus dem Stand mindestens so hoch springen wie der tschechische Fußballspieler Jan Koller. Er kann plötzlich explodieren, auf eine Weise, die man nicht für möglich hält. Ich habe mit ihm einen Abend erlebt in Neuperlach, ein Abend der SPD zu Zeiten der Regierung Kohl. Es dräute mal wieder irgendwo ein Wahlkampf, glaube ich. Ich hatte den Auftrag, zum Jubiläum des Stadtteils Neuperlach einen Text zu verfassen. Das habe ich auch pflichtschuldigst gemacht, und auch ein paar politische Dinge in den Text eingestreut. Während ich redete, saß er unten am Tisch und ich sah, wie er bei jedem Lacher hochguckte. Ich wusste, er ist nach mir dran, und ich wusste auch, was gleich passieren würde. Er legte sein Manuskript beiseite und ließ eine Schimpfkanonade ab. Die Dinge, die er da über Kohl gesagt hat, die hätte ich nie in meinem Leben gesagt. Aber das Volk tobte. Er ist, wie man immer sagt, hoch talentiert. Und damit hört es auf.

SZ.de: Nun ein paar Begriffe und Slogans. "Freiheit statt Sozialismus", Kohls Wahlkampfmotto 1976.

Hildebrandt: Es hat sich herausgestellt, dass sich das durchgesetzt hat, denn die Freiheit wird ja jetzt anders definiert: Und zwar im Sinne der Neokonservativen als Freiheit von den Bindungen der Nationalwirtschaft an die Menschen. Also Freiheit von Menschen, für die große Entwicklung des Geldes. Also Freiheit zu Geld. Das Geld hat ja eine eigene tsunamiartige Kraft. Nachts arbeitet es, gegen alle Vorschriften, vermehrt sich. Geld hat Freiheit.

SZ.de: Der Begriff "Aussitzen".

Hildebrandt: Das führt uns wieder zu Kohl. Seine Azubi Merkel, die inzwischen ausgebildet ist, hat das übernommen, und macht das sehr geschickt. Wenn irgendwo ein Problem ist, wartet sie so lange, bis es sich irgendwie zerlabert hat. Das Entproblematisieren passiert in einem großen Sprechraum. Wir bewegen uns ja im Moment in einer Epoche der Laberlustigkeit, wir zerreden ja alle Probleme, und sie muss nur noch darauf warten. In zehn, zwanzig Talk-Runden ist es dann kein Problem mehr, und Merkel bleibt einfach darauf sitzen.

SZ.de: Kann dies der Außenminister Frank-Walter Steinmeier von der SPD nicht auch gut, so wie im Fall Murat Kurnaz?

Hildebrandt: Der Außenminister ist für mich ein interessantes Studienobjekt. Der Mann hat unter Schröder praktisch alles gemacht. Er war die linke und die rechte Hand, auch ein Teil des Kopfes von Schröder, und hat offensichtlich dort große Arbeit geleistet. Jetzt ist er Außenminister, vermutlich völlig unvermutet, für uns auch. Jetzt muss er uns mitteilen, dass Schröder von Herrn Kurnaz nichts gewusst hat. Er muss jetzt als Außenminister eine ganze Zeit aufarbeiten, denn er war nicht im Kabinett, er hat nichts entschieden. Ich sehe mit Vergnügen, wie er versucht, mit Hilfe von Dialektik und eines großen Areals von Ausreden die ganze Zeit ein bisschen wegzuschwindeln. Vermutlich hat er Glück, weil die eigentlich Verantwortlichen für das Schicksal von Kurnaz sitzen vermutlich in Bremen. Und die wichtigen Akten sind ja sowieso weg. Das ist das Entscheidende: Ein Außenminister kann sich eigentlich immer darauf verlassen, dass, wenn irgendwas passiert, die Akten weg sind.

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