Diebstähle:Trojanische Taschen und andere Tricks

Diebstähle: Passanten laufen mit Plastiktaschen durch die Münchner Fußgängerzone: Eine geheime Klappe ist da sicher nicht versteckt.

Passanten laufen mit Plastiktaschen durch die Münchner Fußgängerzone: Eine geheime Klappe ist da sicher nicht versteckt.

(Foto: Alessandra Schellnegger)
  • Die Zahl der Ladendiebstähle ist in München im vergangenen Jahr erneut gestiegen. Für die Einzelhändler bedeutet das Millioneneinbußen.
  • Wie hoch der finanzielle Schaden durch Kriminalität ist, kann nur geschätzt werden - von etwa 50 Millionen Euro ist die Rede.
  • Die Branche hat deshalb im vergangenen Jahr bayernweit 165 Millionen Euro für Sicherheitsmaßnahmen ausgegeben.

Von Thomas Schmidt

Die "trojanische Tasche" ist einer dieser Tricks. Sie sieht gewöhnlich aus, wie eine harmlose Tasche, doch im Boden ist eine Klappe verborgen. "Die Tasche stellt der Dieb auf einen Ladentisch, die Klappe öffnet sich, und schon verschwindet ein Designerpulli", erzählt Bernd Ohlmann, Geschäftsführer des bayerischen Handelsverbands HBE. In Sekundenschnelle richten Ladendiebe einen finanziellen Schaden von Hunderten, wenn nicht Tausenden Euro an. Und es wird immer mehr. Die Zahl der Diebstähle ist in München im vergangenen Jahr erneut gestiegen. Für die Einzelhändler bedeutet das Millioneneinbußen.

Der Handelsexperte Ohlmann hat gerade die Inventur-Zahlen für das vergangene Jahr auf den Tisch bekommen. Doch wie hoch der finanzielle Schaden durch Kriminalität ist, kann er nur schätzen. Über das Thema spricht man nicht gern in der Branche. Ohlmann berichtet, dass in der jährlichen Inventur des Münchner Einzelhandels - zusammengerechnet - ein gewaltiger Posten auftaucht: Eine 100-Millionen-Euro-Lücke klafft in der Buchführung. Ohlmann schätzt, dass etwa die Hälfte davon in die Verantwortung der Geschäfte selbst fällt. Waren gehen zu Bruch, verschwinden durch Schlamperei oder unehrliche Mitarbeiter stecken Produkte ein. Die andere Hälfte, etwa 50 Millionen Euro, schreibt Ohlmann den Ladendieben zu. "Eine Menge Holz", ärgert sich der Geschäftsmann. Fast 166 000 Euro pro Werktag.

Neu ist das Problem nicht. Ja, die Zahl der angezeigten Ladendiebstähle in Bayern ist im vergangenen Jahr gestiegen, aber nur leicht, um 0,9 Prozent auf 37 148 Anzeigen. Auch in München gebe es nur einen "leichten Anstieg", sagt Ohlmann. Außerdem: 50 Millionen Euro erscheinen gewaltig, machen aber gerade mal ein halbes Prozent des Jahresumsatzes aus. Und in Einzelfällen kann Ladendiebstahl zwar für Geschäfte existenzgefährdend sein, für die Branche insgesamt aber kann ein warmer Winter oder ein mieser Sommer deutlich größeren Schaden anrichten.

Zu den Millionenverlusten durch Diebstahl kommen jedoch weitere Kosten hinzu, denn der Einzelhandel rüstet auf: Artikel werden elektronisch gesichert, Sicherheitspersonal wacht an den Türen, Ladendetektive streifen umher, Videokameras blicken in jede Ecke. 165 Millionen Euro gab die Branche im vergangenen Jahr bayernweit für Sicherheitsmaßnahmen aus. Kosten, die letztlich an die Kundschaft weitergereicht werden.

Videoüberwachung oder Artikelsicherung sollen vor allem Gelegenheitsdiebe abschrecken, denn die stellen nach wie vor die größte Gruppe unter den Gaunern, sagt Ohlmann. Einen "typischen Dieb" gebe es dabei nicht. "Das reicht vom siebenjährigen Jungen, der eine Packung Kaugummi als Mutprobe stiehlt, bis zum Rentner oder sogar Manager." Und: "Geklaut wird alles." Wirklich alles. Sogar Dekorationen hätten Diebe schon mitgehen lassen. Beliebt ist, was klein und teuer ist. Elektronikartikel, Handys, Kameras, Kosmetika, hochpreisiger Alkohol. Alles, was schnell unter dem Mantel verschwinden kann. Oder in einer trojanischen Tasche. Es kursieren aber auch Geschichten von Dieben, die mit einem riesigen Flachbild-Fernseher unter dem Arm seelenruhig an der Kasse vorbeimarschiert und verschwunden sind.

Diebstahl gehört zum Alltag. Aber weil 90 Prozent der Diebe nicht gefasst würden, steige der Frust bei den Münchner Geschäftsleuten, stellt Ohlmann fest. Eine "Anzeigenmüdigkeit" mache sich breit. Der Aufwand sei groß, der Ertrag gering. In Mittelfranken wird nun erstmals eine "E-Anzeige" getestet, eine elektronische Anzeige. Sie soll den lästigen Papierkram reduzieren und damit auch die Anzeigenmüdigkeit. Ohlmann fordert zudem mehr Abschreckung, er plädiert dafür, Ladendieben den Führerschein zu entziehen, doch diese Idee kursiert bereits seit Jahren.

All das hilft nichts, wenn organisierte Banden zuschlagen. Vergangene Woche erst schleuderten Einbrecher einen Verkehrspoller gegen die gläserne Ladentür eines Porsche-Ladens und stahlen 35 Uhren im Wert von 230 000 Euro. "Den größten Schaden richten Banden an", sagt auch Ohlmann. Das seien Profis, die oft aus Osteuropa kämen und quer durch Bayern zögen. Wo das Diebesgut anschließend landet? "Der Gang zum Hehler ist Schnee von gestern. Heutzutage wird das bequem mit hohen Margen online verhökert."

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