Die Schläger von Solln:Eine Welt aus Drogen und Gewalt

Die beiden Schläger Sebastian L. und Markus Sch. waren den Behörden wohl bekannt - doch alle Betreuungsversuche scheiterten.

M. Maier-Albang und B. Kastner

Es gibt ein Bild von Sebastian L., das ihn im Kreis seiner Konfirmanden-Gruppe zeigt. Zwei Jahre ist es alt, L. war 15 damals. Er hat sich nach hinten gestellt fürs Foto, obwohl er nicht zu den Großen gehört und sich die Kapuze seines T-Shirts über den Kopf gezogen. Vermutlich sollte das cool aussehen. Vielleicht war er nur schüchtern in dieser Zeit, bevor sein Leben aus der Bahn geriet.

Sebastian L. ist der jüngere der beiden mutmaßlichen Täter, die am Samstag den Geschäftsmann Dominik Brunner in Solln zu Tode geprügelt und getreten haben. Eine regelrechte Gewaltorgie muss es gewesen sein. 22 schwere Verletzungen wies der Körper von Dominik Brunner bei der Obduktion auf - vor allem am Oberkörper und am Kopf fanden sich Blutergüsse.

Dies bestätigt nach Angaben des Staatsanwaltes Laurent Lafleur Zeugenaussagen, wonach die beiden Jugendlichen Sebastian L. und Markus Sch. gezielt gegen den Kopf ihres Opfers getreten haben sollen. Eine schwere Verletzung hatte der Leichnam am Hinterkopf - es ist möglich, dass der 50-Jährige gegen ein Metallgeländer stieß, als er bei einer der Schlägerattacken auf dem Gleis am Bahnhof Solln zu Boden ging.

Sebastian L., der Konfirmand mit der Kapuze, stammt nach SZ-Informationen aus zerrütteten Familienverhältnissen. Er wuchs auf in einer Welt aus Alkohol und Gewalt, stand in einem Dreiecksverhältnis aus Mutter, Vater und Stiefvater und geriet offenbar immer wieder zwischen die Fronten. Wenn er sich bei Streit unter den Erwachsenen auf eine Seite stellte, setzte es von der anderen Seite Schläge. Er verließ die Hauptschule ohne Abschluss, konsumierte Drogen, klaute. Im November 2008 schritt das Jugendamt ein und nahm ihn in Obhut.

Zunächst kam er nach Birkeneck, eine Jugendhilfeeinrichtung in Hallbergmoos, doch als er dort abgängig war, brachte ihn die Polizei in die Jugendpension am Nockherberg, im Februar 2009 war das. Sebastian machte dort, erzählt Helmut Berger, Chef des Vereins Wohnhilfe, der die Jugendpension betreibt, einen "zurückhaltenden, fast schüchternen Eindruck".

Die Betreuer lernen ihn als netten jungen Mann kennen, er hat zwischendurch eine Freundin, um die er sich kümmert. Aber er kommt trotzdem nicht auf die Beine.

"Er war eine verlorene Seele"

Sein Vater ist gestorben, und seine Mutter psychisch so schwer krank, dass eine Mitarbeiterin des Münchner Jugendamts die Vormundschaft übernommen hat. Sebastian wirkt depressiv, lehnt Hilfsangebote ab, trinkt Alkohol, konsumiert Cannabis, bleibt viele Nächte weg, so dass ihn die Betreuer als vermisst melden. "Sebastian war eine verlorene Seele", sagt Helmut Berger.

Maria Kurz-Adam, Chefin des Jugendamtes, berichtet, dass man über die Jahre eine "aggressive Tendenz" bei Sebastian festgestellt habe, aber nichts habe darauf hingedeutet, dass es zu einer solchen Eskalation kommen könnte, erst recht nicht gegen Erwachsene.

"Er ist ein Grenzgänger", sagt Kurz-Adam und meint damit, dass Sebastian einer jener Jugendlichen sei, die man kaum in einer Einrichtung halten könne. Zwischendurch , so erinnert sich Berger, diskutieren Betreuer und Behörden wohl auch, ob der junge Mann geschlossen untergebracht werden sollte.

Doch dazu kommt es nicht, und Sebastian lässt sich von dieser Aussicht auch nicht einbremsen. Im Mai zieht der jetzt 17-Jährige in das "Easy-Contact Haus" des Suchthilfevereins Condrobs in Obersendling.

"Besorgt es denen richtig!"

Auch der dritte Jugendliche, der zwar nicht an den Schlägen auf Dominik B. beteiligt war, seine Kumpane aber am S-Bahnhof Donnersberger Brücke aufgehetzt hatte, wohnt in dem Condrobs-Haus. Christoph T. ist 17 Jahre alt - er war derjenige, der von den vier Kindern Geld forderte, der schon an der Donnersberger Brücke auf die beiden Jungen einschlug und der, als seine Freunde in die S-Bahn einstiegen, sie noch angefeuert haben soll mit den Worten: "Ciao! Besorgt es denen richtig!"

Nachdem seine Freunde verhaftet worden waren, setzte er sich an seinen PC, loggte sich bei den Lokalisten, einem sozialen Netzwerk, ein und schimpfte auf die Polizei. "Schießt alle Bullen tod und holt den Basti und Markus raus." Auch Christoph T. hat Vorstrafen, zweimal wurde er verurteilt wegen vorsätzlicher Körperverletzung und Diebstahl. Im Internet beschreibt er sich als Fan des Germanen-Gottes Odin und wo er wohnt, erfährt der Leser auch: "In einer WG."

Staatsanwalt Lafleur zufolge bestreitet Christoph T., dass er seine Freunde aufgehetzt habe, zumindest einen Schlag gegen eines der Kinder räumt er ein. Allerdings will er nicht mit der Faust, sondern mit der flachen Hand zugelangt haben. Auch gegen Christoph T. hat die Staatsanwalt Haftbefehl beantragt, wegen gefährlicher Körperverletzung und räuberischer Erpressung.

Posieren mit Pistole in der Hand

Hans-Ulrich Pfaffmann, der nicht nur SPD-Chef in München ist, sondern auch Vize-Vorsitzender von Condrobs, bestätigt zwar keine Details zu den beiden Jugendlichen, die im Easycontact-Haus wohnten, bestätigt aber, dass Sebastian L. ein "höchst schwieriger Jugendlicher" sei, "auch in unserer Einrichtung." Die Therapeuten bei Easycontact seien gerade dabei gewesen, ein Vertrauensverhältnis zu Sebastian L. aufzubauen.

In Einrichtungen wie Easycontact, die sich um die schwierigsten Fälle kümmerten, gebe es "niemals eine hundertprozentige Sicherheit", dass die Klienten nicht gewalttätig würden. "Aber es muss Einrichtungen geben, die sich auch um solche Jugendliche kümmern."

Auch der 18-jährige Markus Sch. hat Vorstrafen wegen Diebstahl und Körperverletzung, er saß bereits einen Monat lang im Jugendarrest. Wegen schwerer räuberischer Erpressung war er zu einem Monat Dauerarrest verurteilt worden, die Strafe wurde angerechnet auf die vierwöchige U-Haft. Nach der Haftentlassung stellte ihm das Gericht einen Betreuer zur Seite, mit dessen Hilfe Markus Sch. sein Leben neu organisierten sollte, berichtet Maria Kurz-Adam, Chefin des Jugendamtes.

Bei Sch. sei die Justiz eigentlich vorbildlich verfahren, sagt Staatsanwalt Lafleur: eine rasche Verurteilung nach der Tat, ein Warnschuss, der Markus Sch. dennoch nicht wirklich beeindruckt zu haben scheint. Im Internet schreibt er zur Frage nach seinem letzten Urlaub: "Stadlheim Ostbau".

"Er heult nur noch"

Markus Sch., der sich als Hip-Hopper kleidet und auf Fotos schon mal mit Pistole in der Hand postiert, wohnt noch bei seinen Eltern in Johanneskirchen. Bürgerlich wirkt die Gegend, bieder und unauffällig. Auch Sch. stammt nach SZ-Informationen aus einer schwierigen Familie, auch um sie kümmern sich seit längerem die Behörden, Markus' älterer Bruder sitzt im Gefängnis wegen eines Drogendelikts.

Auf die Frage nach seinem Lebensmotto schreibt er im Internet: "Ich leb jeden Tag so als wärs mein erster ich scheiß drauf was ich gestern gelernt hab." Inzwischen ist Markus offenbar bewusst geworden, was er getan hat: "Er sitzt im Gefängnis und heult nur noch", sagt sein Anwalt Gregor Rose.

Es tue Markus zutiefst leid, was geschehen sei, er könne es sich selbst nicht erklären, wie es zu diesem Blackout kommen konnte. "Ich wollte nicht, dass der Mann stirbt", zitiert der Verteidiger seinen Mandanten weiter. Auf Anraten ihrer Anwälte äußern sich die mutmaßlichen Täter nicht.

Am Tatort, auf dem Bahnsteig in Solln, hat ein junger Mann einen weiteren Zettel abgelegt, zu Ehren des Getöteten Dominik Brunner: "Ich möchte Ihnen hiermit meine Ehre erweisen und Ihnen danken, dass Sie auf meine Schwester aufgepasst haben. Danke."

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