Die Riederinger Hirtabuam:Wirbelwind im Tannenwald

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Überall ist Riedering: Wie aus den jungen Darsteller einer Dorfbühne ein Tatort-Kommissar und mehrere Kinostars wurden. Eine original bayerische Erfolgsgeschichte.

Birgit Lutz-Temsch

Zum ersten Mal an diesem Abend wird geklatscht, gelacht, Zuschauer stehen auf, und einer ruft sogar ,,Bravo!''. Das ist sehr viel Begeisterung für den ausverkauften Berchtesgadener Kurhaussaal, in den am vergangenen Samstag zum besinnlichen Adventsingen geladen wurde. Auf der Bühne stehen die Riederinger Hirten, junge Schauspieler zwischen acht und 16 Jahren. Der Kleinste hat soeben von seinem großen Bruder eine Watschn bekommen, weil er dem Engel, der ihnen erschienen ist, gar zu freche Fragen gestellt hat.

Eine original bayerische Erfolgsgeschichte: Die Riederinger Hirtabuam. (Foto: Foto: oh)

Und dann holen sie ihre Instrumente heraus und üben ein Lied ein, für den neu geborenen Heiland. Die Hirten sind frech, sie sind jung, mit ihnen wird die Weihnachtsgeschichte auf der Bühne so lebhaft, wie man sie selten gesehen hat. Wo eben noch andächtig stubenmusiziert wurde, fegen die Kinder durch die Tannenwald-Kulisse, mit sehr viel schauspielerischem und musikalischem Können und noch viel mehr Energie und Spaß am Spiel.

Die ,,Riederinger Hirtabuam'' sind der Renner eines jeden Adventsingens. 21 Auftritte legen die jungen Mimen in der staden Zeit in ganz Oberbayern hin, kommenden Freitag und Samstag stehen sie zusammen mit Kindern aus Oberammergau, der Kirchleiten Saitenmusi und den Riederinger Bläsern im Volkstheater auf der Bühne, im Krippenspiel ,,Ein Stern ist aufgegangen''.

Lebendig wird bei ihrem Auftritt nicht nur die Weihnachtsgeschichte, sondern auch das bayerische Brauchtum, auch wenn die, die es leben, den Begriff eigentlich nie verwenden. ,,Warum auch?'', fragt der Riederinger Josef Staber, der für alle nur der Huagl-Sepp ist und der das Hirtenstück vor 17 Jahren wiederentdeckt hat. ,,Brauchtum, was heißt das schon - wir wollen ja keine Asche anbeten, Brauchtum muss jung sein, Spaß machen, muss erlebt werden.'' Kein Wunder, dass aus der Schar der Riederinger mittlerweile mehrere Film- und Fernsehschauspieler hervorgegangen sind, unter ihnen der Boandlkramer im ,,Brandner Kaspar'' und jüngste ,,Tatort''-Kommissar der Republik, Maximilian Brückner.

Die Geschichte des Riederinger Hirtenstücks allerdings bietet für sich schon Stoff genug für einen Film. Sie beginnt in Salzburg: Dort erfindet 1946 Tobias Reiser der Ältere das Salzburger Adventsingen, als er zum ersten Mal in das zugige Gemeinschafterheim zum vorweihnachtlichen Musizieren einlädt. 40 Zuhörer kommen, und eine Tradition ist geboren, die seitdem im gesamten Alpenraum praktiziert wird.

In Salzburg sieht der Huagl- Sepp als kleiner Junge das Hirtenstück zum ersten Mal. Als er Jahre später Jugendleiter des Riederinger Trachtenvereins ist, erinnert er sich wieder daran. Und studiert das Stück 1989 für die Weihnachtsfeier ein. Die Schauspieler: vier seiner Kinder, fünf Kinder der Riederinger Familie Brückner und ein Nachbar der Stabers. Das Stück kommt so gut an, dass es bald in der Rosenheimer Stadthalle aufgeführt wird.

Von dort erzählt der Staber Sepp eine lustige Anekdote: Die Kinder, schon in ihrer Bühnenkleidung, einer einfachen Werktracht, wie sie Hirtenkinder früher trugen, wollten vor der Aufführung noch ein bisschen durch die Fußgängerzone gehen. Dabei stießen sie auf ein paar Obdachlose. Und die gaben ihnen 20 Mark - ,,weil sie sie wegen ihrer ungewöhnlichen Kleidung für arme Bettelkinder gehalten haben!''. Der Bart des Staber Sepp wackelt vor Lachen.

In der Rosenheimer Stadthalle fällt dem bayerischen Komponisten und Musiker Karl Edelmann auf, was in dem Stück und den kleinen Schauspielern steckt, als er sie hinter der Bühne beim Proben beobachtet. Er bringt das Riederinger Hirtenstück in alle großen Säle Münchens: In das Prinzregententheater, den Herkulessaal, das Gärtnerplatztheater. Überall werden die kleinen Hirten gefeiert.

Als sich Maximilian Brückner im Jahr 2000 an der Falckenberg-Schauspielschule bewirbt, macht er das mit dem Prolog des Hirtenspiels. Die Konkurrenten lachen ihn aus - die Jury nimmt ihn. An der Schule lernt Brückner den Volkstheater-Intendanten Christian Stückl kennen, als einen der Dozenten bei der Sommerakademie für Bairisches Volksschauspiel. Brückner lädt ihn zur Premiere eines in Riedering inszenierten Stücks ein. Hinterher wird gefeiert, die Riederinger Musikanten spielen, Stückl schuhplattelt. ,,Wir haben ja gar nicht gewusst, wer das ist'', sagt Agnes Staber, ehemalige Hirtin und Junge Riederinger Musikantin, ,,wir haben halt zusammen musiziert und gefeiert.''

Und dann geht alles ziemlich schnell: Stückl braucht Kinder, für den ,,Jedermann''-Prolog bei den Salzburger Festspielen - und engagiert die Hirten. In mehreren Inszenierungen am Volkstheater, vom ,,Räuber Kneißl'' bis zum ,,Brandner Kaspar'' stehen die Riederinger Musikanten auf der Bühne - und die Eröffnungsfeier der Fußball-WM wäre ohne die Riederinger und die beiden neunjährigen Hirten Bella und Xaver nicht zu denken gewesen.

,,Der Christian is a ganz a Liaba'', sagt Bella über die Proben mit Stückl. Mittlerweile leitet der 26-jährige Staber Seppi junior mit Dominikus Brückner das Spiel, Bella und Xaver gehören zur dritten Hirtengeneration. Aus der ersten hat nicht nur Maximilian Brückner Erfolg. Sein Bruder Franz Xaver war in Marcus H. Rosenmüllers Film ,,Wer früher stirbt ist länger tot'' zu sehen, Florian Brückner spielte in mehreren Film- und Fernsehproduktionen und jüngst zusammen mit einem der jetzigen Hirten, Xaver Riepertinger, in Rosenmüllers ,,Beste Zeit''. Und auch der Kinderfilm ,,Toni Goldwascher'', gedreht im Sommer, kommt nicht ohne Riederinger Hirten aus: Lorenz Strasser spielt die Hauptrolle.

Dem Staber Seppi ist neben dem Erfolg der Hirten noch etwas anderes wichtig: Dass die Kinder ihr Gespür für altbairische Musik weiterentwickeln, dass sie Menschen begegnen, die ihnen etwas weitergeben können, so wie er in seiner eigenen Hirtenzeit noch den Volksschauspieler Fritz Straßner kennengelernt hat. Dass sie Brauchtum leben, auch wenn dieser Begriff nicht fällt. Den Hirten selbst fällt die Zusage zu anderen Projekten eher schwer: Denn dann müssten sie auf das Hirtenspiel verzichten. Und das, sagt der 16-jährige Maxi Strasser, der seinem Bruder auf der Bühne die Watschn gibt, sei doch die schönste Zeit im ganzen Jahr.

(Freitag und Samstag, 16.30 und 19 Uhr im Münchner Volkstheater)

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