Die Münchner Polizei:Vom Schandi zum SEK

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Ein bayerischer Gendarm reitet über den Stachus (im Hintergrund die 1833 erbaute und 1938 abgerissene alte Matthäuskirche). (Foto: N/A)

Aktive und ehemalige Beamte haben eine Chronik der Polizei geschrieben - auch die dunklen Kapitel fehlen nicht.

Von Martin Bernstein

Die Polizei garantiert Recht und Ordnung und sieht sich als "Freund und Helfer". Das war nicht immer so - und es ist ein großes Verdienst der Münchner Polizei, dass sie die dunklen Kapitel ihrer Geschichte nicht nur nicht verschweigt, sondern akribisch aufarbeitet. Besonders stolz ist Hubertus Andrä, der Münchner Polizeipräsident, auf die Ausstellung "Die Münchner Polizei und der Nationalsozialismus", die vor mehr als zwei Jahren gezeigt wurde. Rund 6000 Interessierte besuchten seinerzeit das Polizeipräsidium. Dass es bis dahin keine kritische Gesamtschau der Geschichte der Münchner Polizei in der NS-Zeit gegeben habe, ist für Andrä "ein erhebliches Defizit, das mit der Ausstellung ausgeglichen wurde". Jetzt wird diese Aufarbeitung der eigenen Geschichte fortgeführt - in der im Hirschkäfer-Verlag erschienen "Chronik der Münchner Polizei".

Dabei wird deutlich, dass an der Ettstraße schon kurz nach dem Ersten Weltkrieg auch Politik gemacht wurde. Eine Politik, durch die Bayern zur rechtsradikalen "Ordnungszelle" wurde. Es war das Projekt des Polizeipräsidenten Ernst Pöhner - eines Mannes, der nachweislich seit 1920 auch persönlichen Kontakt zu Adolf Hitler hatte. Pöhner und seine Handlanger im Präsidium, unter ihnen der Leiter der Politischen Abteilung und spätere NS-Innenminister Wilhelm Frick, förderten die "Organisation Consul", die Morde an demokratischen Politikern verübte, unterstützten Fememörder und beschafften Rechtsterroristen falsche Pässe. Hitler und seine Mitputschisten revanchierten sich, indem sie Pöhner für das Amt des bayerischen Ministerpräsidenten vorsahen.

Hitlers Marsch zur Feldherrnhalle stoppte die Polizei mit Waffengewalt

Pöhners Nachfolger Karl Mantel war laut Polizeihauptkommissar Walter Nickmann, einem der Autoren der Chronik, ein erklärter Gegner Hitlers und der Nazis. Er brachte seine Behörde wieder auf einigermaßen politisch neutralen Kurs. Am Abend des 8. November 1923 nahmen ihn die Putschisten als Geisel. Nachfolger sollte der Hitler-Sympathisant Frick werden. Doch weder Reichswehr noch Landespolizei unterstützten den Putsch. Pöhner und Frick wurden festgenommen, der Marsch zur Feldherrnhalle wurde durch die Polizei mit Waffengewalt gestoppt.

Verkehr in den Roaring Twenties

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"Erscheint vor dir die Farbe rot, dann wirst du von Gefahr bedroht. Musst warten, wenn's auch sehr pressiert, bis wieder frei die Fahrbahn wird. Solange flammt das gelbe Licht, ist die Geschichte sauber nicht. Doch wenn es leuchtet hoffnungsgrün, dann überschreit die Straße schön, weil vorschriftsmäßig keiner dann dich überfahren darf und kann." So erklärten die Münchner Neuesten Nachrichten im Sommer 1927 das neue Wunderding, das vor dem Bahnhof hing - die erste elektrische Ampel der Stadt. Im selben Jahr ging es an anderen Stellen noch wesentlich weniger fortschrittlich zu: Der "Eiserne Schutzmann" musste von einem Verkehrspolizisten per Hand bedient werden. Eine Verkehrsschutzmannschaft gab es bereits seit 1914 - zehn Jahre später waren 70 Mann im Einsatz, 25 von ihnen waren erstmals PS-unterstützt auf Motorrädern unterwegs. Dass "die Geschichte sauber nicht" ist, unterstellte die Münchner Polizeidirektion übrigens auch 1929 einem geplanten Auftritt der international berühmten Tänzerin Josephine Baker im Deutschen Theater - und verbot ihn kurzerhand. Man befürchtete eine gravierende Verletzung der öffentlichen Ordnung sowie des Anstandes. Die Baker hatte angekündigt, eine Tanznummer nur im Bananenröckchen zu absolvieren.

Beteiligung an Kriegsverbrechen

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Auf der Liste der Münchner Polizeipräsidenten findet sich auch der Name Heinrich Himmler. Der 1900 in München geborene "Reichsführer SS" übte dieses Amt nur wenige Wochen aus. Das genügte jedoch, um die Polizeidirektion im Sinne der Machthaber umzukrempeln. Kriminalhauptmeister Marcus Schreiner-Bozic, der Autor des entsprechenden Kapitels in der Chronik, urteilt: "Man stellte die Weichen in personeller Hinsicht so, dass die Münchner Polizei bis zum Ende der nationalsozialistischen Herrschaft für die Machthaber ein zuverlässiges Herrschaftsinstrument blieb." Himmler machte Reinhard Heydrich zum Leiter der Politischen Abteilung, dem Vorläufer der Gestapo, und ernannte SA, SS und "Stahlhelm" zur Hilfspolizei. Landespolizisten stellten die erste Wachmannschaft im 1933 eingerichteten Konzentrationslager Dachau. Die Militarisierung der Polizei wurde mit Nachdruck betrieben. Mit Kriegsbeginn wurden Münchner Polizisten zum "Auswärtigen Einsatz" abkommandiert. Schreiner-Bozic: "Münchner Polizisten beteiligten sich an Massenverbrechen wie Morden an Juden und der Zivilbevölkerung" - etwa an der Niederschlagung des Aufstands im Warschauer Ghetto 1943. Die Ausstellung zur Geschichte der Münchner Polizei in der NS-Zeit ist in der Polizeifachhochschule in Kloster Fürstenfeld zu sehen.

Gendarm auf dem Stachus

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Ein bayerischer Gendarm reitet über den Stachus (im Hintergrund die 1833 erbaute und 1938 abgerissene alte Matthäuskirche). Das Bild aus dem 19. Jahrhundert ist im Besitz des Münchner Stadtmuseums und führt in die Frühzeit der Münchner Polizei. Seit 1797 gab es eine zunächst kurfürstliche, später dann königlich-bayerische Polizeidirektion in der Stadt. Zuvor hatte es alle möglichen städtischen Institutionen und Ämter gegeben, die sich seit dem Mittelalter um die "gute Policzey" in München kümmerten - um eine ordentliche Verwaltung der Kommune. Der neuen Polizeidirektion stand seit 1824 eine Gendarmerie-Kompanie zur Verfügung. Die zum Teil berittenen Ordnungshüter gerieten im Jahr 1844 in einen regelrechten Krieg - den Münchner Bierkrieg. Eine Bierpreiserhöhung von 6 auf 6,5 Kreuzer für die Mass löste Unruhen aus, einen Sturm der aufgebrachten Münchner auf Bierhäuser und auf die Polizeidirektion. Es gab Tote und Schwerverletzte. Die Bierpreiserhöhung wurde daraufhin zurückgenommen. Erst der "Kini" gliederte die Gendarmerie aus dem Heer aus und unterstellte sie dem Innenminister.

"Isar 12, bitte kommen!"

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Der Neuaufbau der Münchner Polizei nach dem Krieg ist untrennbar verbunden mit der Einführung der legendären Funkstreife. Am 1. Juni 1949 fiel der Startschuss - mit einem legendären Dialog über Funk. Polizeipräsident Franz Xaver Pitzer: "Herr Oberbürgermeister, hier spricht der Polizeipräsident aus einem fahrenden Funkwagen. Wie können Sie mich hören?" Oberbürgermeister Thomas Wimmer: "Wennst ned so schrein dadst, kannt i di besser versteh!" Zum Ruhm der Funkstreife trug nicht zuletzt die von 1961 bis 1963 in 35 Folgen ausgestrahlte Fernsehserie "Isar 12" bei. Karl Tischlinger spielte den Polizeimeister Alois Huber, Wilmut Borell seinen Kollegen Karl Dambrowski. Unterwegs waren die beiden im berühmten "Barockengel" der Münchner Polizei, einem BMW 501. Die Fälle der beiden TV-Polizisten unterschieden sich nicht so sehr von der polizeilichen Wirklichkeit der Sechzigerjahre. Chronik-Autor Peter Reichl, selbst Kriminalrat, schreibt jedenfalls: "Verfolgungsjagden und Schießereien gehörten zwar weitaus öfters zum polizeilichen Alltag der Funkstreifenbeamten als heutzutage, sie standen aber nicht auf der Tagesordnung der Polizei." Als die Münchner Funkstreife 1975 bei der Verstaatlichung der Polizei abgeschafft wurde, klagte eine Anwohnerin der Rosenheimer Straße: "Armes München, nun braucht man bei Nacht nicht mehr auf die Straße gehen, traurig, traurig!"

Ja, wer würgt denn da?

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(Foto: N/A)

In einem Lehrbuch von 1909 werden Polizeigriffe in Wort und Bild detailliert geschildert. Der "Teufelshandschlag zu Zweien" wird der elf Jahre zuvor gegründeten Königlich Bayerischen Schutzmannschaft anempfohlen, wenn ein Delinquent "sich seinen Transporteuren sehr heftig" widersetzt. Wenn ein Übeltäter überraschend versucht, den Schutzmann zu attackieren, dann soll dieser den "Drosselgriff" (siehe Bild) anwenden - mit "Druck auf des Gegners Kehle". Im selben Jahr, als der Ratgeber erschien, wurde der Chef der zunächst knapp 600, später rund tausend Münchner Schutzmänner vom Polizeidirektor zum Präsidenten heraufgestuft. Einer der spektakulärsten Kriminalfälle, mit denen sich die Kriminalabteilung der Schutzmannschaft beschäftigen musste, war laut Autor und Verleger Martin Arz der Goldraub in der königlichen Münze im Jahr 1906. Eines Tages fehlten 130 030 Mark in Goldmünzen. Die Kriminaler ermittelten - und stießen auf eine Tür, die von einem trocken gelegten Kanal direkt in den Hochsicherheitstrakt führte. Im Schlamm des Kanals: ein Hosenbodenabdruck. Der Täter, ein Soldat namens König, wurde gefasst.

Gute Figur, schlechte Figur

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(Foto: AP)

Staatsbesuche wie das Gastspiel der englischen Monarchin Elisabeth II. im Jahr 1965 gehörten zu den Anlässen, bei denen die Münchner Polizei in der Nachkriegszeit "bella figura" machen konnte. Es gab jedoch auch Anlässe, bei denen die traditionelle Münchner Aufmüpfigkeit der Polizei jede Menge Arbeit bescherte: Ein Beispiel aus der Chronik sind die Ladenschlusskrawalle vom Juni 1953. Sie richteten sich gegen die Einführung eines verkaufsoffenen Samstagnachmittags. Demonstrationen in der Neuhauser und Sendlinger Straße endeten in Ausschreitungen gegen die Polizei. Diese war recht martialisch mit Schutzhelmen und Karabinern aufgetreten und setzte Wasserwerfer gegen die Demonstranten ein. 70 Menschen wurden festgenommen. Im Juni 1962 zeigten die Schwabinger Krawalle (Foto) dann, dass ein anderes Auftreten der Polizei dringend nötig war. Auslöser waren drei Gitarrenspieler auf dem Wedekindplatz. Anwohner empfanden die Musiker und deren etwa 150 Zuhörer als Zumutung und riefen die Polizei. Die Polizisten wurden mit Rufen wie "Polizeistaat! Nazistaat" und einzelnen Flaschenwürfen empfangen und holten Verstärkung. Die Situation eskalierte auch in den folgenden fünf Tagen. Es kam zu regelrechten Straßenschlachten zwischen 1000 Polizisten und bis zu 5000 meist jugendlichen Protestierenden.

Die Münchner Linie

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(Foto: N/A)

Nach den Schwabinger Krawallen rang sich die Münchner Polizei zu einer neuen Einsatzphilosophie durch, die bis heute gilt - die viel zitierte "Münchner Linie". Untrennbar verbunden ist sie mit dem Namen des in diesem Jahr verstorbenen ehemaligen Polizeipräsidenten Manfred Schreiber (Foto). Sie bedeutete eine grundlegende Abkehr von der bisherigen Einsatztaktik, die noch aus der Zwischenkriegszeit stammte und die Schreiber selbst so beschrieb: "Aufsitzen, ausrücken, absitzen, räumen, aufsitzen, einrücken, Essen fassen." Das sollte sich nun ändern. Ein psychologischer Dienst wurde eingerichtet. "Deeskalation, Kommunikation und Verhältnismäßigkeit stehen im Vordergrund bei einem immer konsequenten Einschreiten" - so beschreibt das Polizeipräsidium im Jahr 2015 die "Münchner Linie". Wie dieses Konzept erstmals gegenüber als Radaumachern verdächtigen Musikfans bei einem Konzert der Rolling Stones im Jahr 1965 umgesetzt wurde, schilderte Schreiber damals selbst so: "Unsere Beamten gingen dann freundlich und väterlich zu diesen Gruppen und brachten sie mit kollegialem Auf-die-Schulter-Klopfen wieder zur Vernunft." Auf den Polizeipräsidenten Manfred Schreiber geht auch die Einführung von Jugendbeamten bei der Münchner Polizei zurück. Texte: Martin Bernstein

Es sind Schilderungen wie diese, die die Chronik der Münchner Polizei nicht nur zu einem stadtgeschichtlichen Nachschlagewerk, sondern zur spannenden Lektüre machen. Bemerkenswert ist, dass fast alle Autoren aktive oder ehemalige Polizisten sind. Sie kommen laut Andrä aus allen Bereichen der Polizei und "repräsentieren damit vorbildlich die Verantwortung der Münchner Polizei für die Münchner Stadtgesellschaft".

"Wer die Vergangenheit reflektiert, kann dabei lernen, sein Handeln zu hinterfragen"

Das Buch schildert nicht nur chronologisch die Geschichte der Polizei: von den Anfängen im späten Mittelalter und der Gendarmerie über die Herrschaft der Nazis bis zu den Schwabinger Krawallen und der daraus resultierenden "Münchner Linie", dem Olympia-Attentat und der Sicherheitskonferenz. Die Chronik stellt auch den gesellschaftlichen Kontext dar, in dem die Münchner Polizei agiert und von dem sie geprägt wird. Und sie wirft einen Blick auf das Selbstverständnis der Polizei. Der Blick zurück sei immer zugleich auch ein Blick nach vorn, sagt der Polizeipräsident bei der Vorstellung des Buches: "Denn wer die Vergangenheit reflektiert, kann dabei lernen, auch sein heutiges Handeln zu hinterfragen."

Chronik der Münchner Polizei, erschienen im Hirschkäfer-Verlag, 320 Seiten.

© SZ vom 21.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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