Die Jugend entdeckt bayerisches Brauchtum:Der Schuhplattler erobert den Club

Bayerische Lebensart ist reif für die Jugendkultur: Ein Abend im "Zerwirk" beweist den neuen, lockeren Umgang mit überkommenen Klischees.

Franz Kotteder

Ja do varreck! Als jemand, der auf Mitte 40 zugeht und eindeutig zu den Eingeborenen zählt, ist man an diesem Donnerstagabend doch etwas verblüfft, zu späterer Stunde den Club Zerwirk in der Ledererstraße betretend.

Die Jugend entdeckt bayerisches Brauchtum: Schuhplattler im Münchner Zerwirk

Schuhplattler im Münchner Zerwirk

(Foto: Foto: Robert Haas)

Der Laden ist voll mit jungen Menschen, nicht eben wenige davon in Lederhosen oder Dirndl gekleidet, die Stimmung ausgelassen, und von der Decke hängen weißblau gerautete Girlanden.

Noch in den achtziger Jahren wäre klar gewesen: Das hier ist, bestenfalls, eine Kreisversammlung der Jungen Union aus dem tiefen Dachauer Hinterland, die sich versehentlich in die Stadt verlaufen hat. Damals, als heutige Mittvierziger noch halbwegs jung waren, galt bayerische Tracht auch hierzulande entweder als untrüglicher Ausweis streng konservativer Gesinnung oder schlicht als Seniorenkluft.

Doch die Zeiten haben sich geändert. Dieser "Bayerische Abend" im Zerwirk vereint ersichtlich Anhänger der unterschiedlichsten weltanschaulichen Richtungen und Nationalitäten. Das ist nun nicht weiter verwunderlich, denn schließlich handelt es sich da um eine Veranstaltung des Münchner Studentenwerks, in Zusammenarbeit mit dem Ausländerbeirat und der "Stelle für interkulturelle Zusammenarbeit" der Landeshauptstadt.

Es ist die 13. Veranstaltung einer Reihe mit dem Titel "Cultureclubbing", erzählt Organisatorin Anke van Kempen, und anlässlich der Feierlichkeiten zum 850. Stadtgeburtstag Münchens habe man sich eben gedacht, ausländischen und einheimischen Studenten einmal nicht die Sitten fremder Völker nahezubringen, sondern auch wunderliche Eigenheiten des Studienstandorts.

So ganz bierernst ist das nun freilich nicht zu nehmen, und die Veranstalter gehen das Ganze auch betont locker an. Zu Beginn des Abends darf man erst einmal vor einer Leinwand sitzen, Fotos ansehen und Zithermusik vom Band hören. Bild und Ton sind beide unscharf, so dass man sich gleich fühlt wie auf der Wiesn nach der fünften Maß.

Dann treten "Alex aus Straubing" und "Bonka aus Bulgarien" auf die Bühne und geben einen groben Überblick über Land und Leute, vom Wildschütz Jennerwein über Levi Strauss bis hin zu Papst Benedikt und Gerhard Polt. Es folgen Erläuterungen zu wichtigen bayerischen Begriffen wie "A Hoibe", "griabig" und "Boazn".

Der Schuhplattler erobert den Club

Dermaßen vorbereitet, war man dann gewappnet für die nächste Stufe: den "Schuhplattler-Crashkurs", abgehalten durch die "Riadastoana" vom Feldmochinger Volkstanzverein mit nachfolgender Aufführung des "Holzhackertanzes" nebst einem "Schnupfwettbewerb", bei dem Unkundigen der sachgemäße Gebrauch des "Schmai", sprich: Schnupftabaks, vermittelt wurde.

Da fühlte man sich dann aber doch wieder an alte Zeiten erinnert, als Bayern-Klischees noch vollinhaltliche Gültigkeit besaßen. Nicht nur, weil manche von den "Riadastoanan" sehr lustige Frisuren hatten, die man sonst nur aus jenen billigen Softpornos kennt, in denen unterm Dirndl oder in der Lederhose gejodelt wurde (unter anderem).

Sondern auch, weil da manches nicht sehr weit weg war von dem, was man mit Heimatabenden für japanische Touristen in Fremdenverkehrsvereinen verbindet. Und das, was "DJ not:fx" später unter "Best of bavarian and global mash ups" auflegt, ist letztlich auch nicht mehr allerneueste Ware: die Biermösl Blosn, eh klar, und Haindling zum Beispiel. Beide natürlich längst bayerische Klassiker.

Beide, die Well-Brüder und der niederbayerische Multi-Instrumentalist Hans-Jürgen Buchner, sind letztlich die Gewinner längst geschlagener Schlachten, in denen es darum ging zu zeigen, dass das Bayerische mehr umfasst als nur "griabige" Stubnmusik und krachertes Bierdimpfltum. Das begann damals in den siebziger Jahren, als die bayerische SPD ganze Horden eher mittelmäßiger Musiker und Kabarettisten unter dem Motto "Das andere Bayern" wenig erfolgreich durch die Lande schickte.

Seitdem hat sich freilich viel getan. Die Jugendkultur hat längst vergessene Helden für sich wiederentdeckt, oft angelehnt an Stereotypen der amerikanischen Popkultur. So wurde etwa der "Kraudn Sepp", ein oberbayerischer Gstanzlsänger und Zitherspieler, plötzlich zu einer Art Urvater des "Bavarian Folk & Blues".

Junge Regisseure, die von der Münchner Filmhochschule kamen, entdeckten Bayern als Thema wieder, beginnend 2002 mit Thomas Kronthalers "Die Scheinheiligen" und mit durchschlagendem Erfolg dann in Marcus H. Rosenmüllers "Wer früher stirbt, ist länger tot". Und junge Modedesigner wie die von "Servus Heimat" oder "Himmel, Arsch & Zwirn" graben originär Bayerisches wieder aus, interpretieren es neu oder spielen ironisch damit.

Das alles heißt nicht, dass das Münchner Partyvolk jetzt etwa den Schuhplattler als hippen Modetanz entdeckt hätte. Aber es zeigt, dass im multikulturellen Alltag die bayerischen Wurzeln ganz selbstverständlich und gleichberechtigt mit anderen kulturellen "Roots" wieder etwas gelten. Ach ja, im Zerwirk wurde zum Schluss dann die "Miss Bavaria", das "fescheste Dirndl", gekürt: Die strahlende Siegerin stammt aus Mexiko.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: