Die dritte Dimension:Modell mit Zukunft

Alexandra Bongartz setzt in ihrem 3-D-Copyshop Kundenwünsche exakt um. Der Markt hat noch enormes Potenzial

Von Philipp Nathusius

Copyshops gibt es in jeder Stadt zuhauf, 3-D-Copyshops hingegen sind noch selten. Der erste Laden dieser Art in München, "Freeform4u", existiert seit etwas mehr als einem Jahr im Glockenbachviertel. Ein Besuch - für die Dauer eines Eierbechers. Das Original kostet ein paar tausend Euro, die gedruckte Eierbecherversion etwa 15 Euro. Arne Jacobsens "Egg-Chair" ist ein Design-Klassiker aus Stahl und Leder. Alexandra Bongartz druckt ihn einfach nach, aus Plastik in Miniaturform, so groß, dass er gerade ein Frühstücksei halten kann. Erst das Oberteil aus Sitz und Lehne, dann der Standfuß, fünf Zentimeter hoch und genauso breit. Drei Stunden und 15 Minuten wird der Drucker insgesamt dafür benötigen.

Alexandra Bongartz ist 37 Jahre alt. Sie ist die Gründerin von Freeform4u. Gemeinsam mit ihrem Lebenspartner Thomas Hellmann hat sie das Geschäft an der Auenstraße vor gut einem Jahr eröffnet. Bongartz ist die Technikerin, die Fachfrau. Seit gut zehn Jahren beschäftigt sie sich mit 3-D-Druck. Für die Formel-1-Abteilung des Fahrzeugherstellers Toyota hat die gelernte Industriemechanikerin Modelle für den Windkanal gebaut. "Ich bin zufällig in diese Verfahren hineingerutscht", erinnert sie sich. Drehen und Fräsen, das Formen von Werkstoffen also, sei schon in ihrer Ausbildung zentral gewesen. Und Bongartz ist wissbegierig und technikbesessen. Zwei wichtige Eigenschaften, um sich als Frau in Männerdomänen wie Motorsport oder 3-D-Druck zu behaupten.

In ihrem Schaufenster, in Vitrinen und an den Wänden hängt und steht eine Auswahl dessen, was Kunden in Auftrag geben können. Das Sortiment reicht von individuellem Modeschmuck über organisch anmutende Lampenschirme bis zum Mundstück einer Tauchausrüstung. Ein Albert Einstein mit herausgestreckter Zunge in Büstenform aus Polyamid überblickt die Szenerie von einem Sockel aus. Doch wer kauft so etwas? "Die meisten unserer Kunden sind Modellbauer. Oder sie kommen aus dem Kreativbereich, so wie Architekten oder Werbeagenturen", sagt Bongartz. Dass sie sich an der Auenstraße niedergelassen hat, ist kein Zufall. Im Glockenbachviertel und den nahegelegenen Stadtteilen gibt es viele kreative Firmen. Gerade erst hat Bongartz für die Launch-Party eines Designer-Turnschuhs den Sneaker als Miniatur gedruckt und darin einen USB-Stick versteckt. "Sich so etwas auszudenken, macht mir total viel Spaß", sagt sie.

In Untergiesing hat sich ein weiteres Start-up gegründet, bei dem sich alles um 3-D-Druck dreht: Die Agentur "all3dp" möchte die Technik bekannter machen und damit Geld verdienen, wie Matthias Plica, einer der drei Gründer, erklärt. Er ist sich sicher, dass 3-D-Copyshops bald in all den Stadtvierteln existieren werden, in denen es auch viele Kreativ-Firmen gibt. Die Agenturleute waren schon häufig bei Freeform4u auf der anderen Isarseite. Über Bongartz sagt Plica: "So tief drin im 3-D-Bereich und so weit vorne ist sonst kaum jemand."

Bongartz kennt so gut wie alle Möglichkeiten der 3-D-Technologie. Fast alles, was an Formen und Werkstoffen möglich ist, kann man in ihrem Laden angucken und anfassen. Aber längst nicht alles hat Bongartz auch selbst ausgedruckt. Figuren aus Gips oder Bronze, Ringe aus Silber oder im sogenannten Laser-Sinter-Verfahren hergestellte Büsten lässt sie bei Kollegen drucken. Die sind dann auf die jeweiligen Verfahren und Werkstoffe spezialisiert.

Bevor Bongartz die Aufträge weitergibt, verfeinert sie die Druckdaten ihrer Kunden. Oder sie passt die digitalen Modelle, die ihre Kunden am eigenen Rechner zu Hause ausgearbeitet haben, dem jeweiligen Verfahren an. "Die meiste Zeit stecke ich nicht in den Druck selbst, sondern in Beratung und die Bearbeitung der Daten", sagt sie. Der Laden fungiert vor allem als Showroom für das, was im 3-D-Druck heute machbar ist. "Immer mehr Leute haben echt Ahnung von 3-D-Druck", sagt die 37-Jährige. Inzwischen kämen Kunden häufig mit kompletten Datensätzen. Dann passt sie Toleranzen an oder fügt Streben ein, damit die Modelle stabiler werden.

Nach und nach kommt 3-D-Druck auch im Hobby-Bereich an. "Ein paar Leute, auch hier in der Nachbarschaft, haben bei sich zu Hause bereits einen 3-D-Drucker stehen", sagt Bongartz. Auch einige Kunden von ihr. Angst vor dieser Entwicklung hat sie nicht. Bei ihr kann man nämlich auch fast alles für den Heimdruckbedarf erwerben. Bongartz vertreibt zum Beispiel Filament. So heißen die auf Spulen aufgewickelten Kunststoff-Schnüre, aus denen Heimgebrauch-Drucker Gegenstände wie den Eierbecher drucken. In allen möglichen Farben und Arten hängen die Spulen an der Wand neben der Eingangstür.

Matthias Plica von "all3dp" vergleicht 3-D-Druck mit Fotodruck, wo schon in den Neunzigerjahren die ersten Heim-Fotodrucker auf den Markt kamen. "Trotzdem druckt kaum jemand seine Fotos daheim aus", sagt Plica. Eine ähnliche Entwicklung sagt er für den 3-D-Druck-Bereich voraus. Gute Geräte für Konsumenten würden zwar immer erschwinglicher, doch die Expertise von Profis werde dennoch weiterhin gefragt bleiben. Dafür drohen Jungunternehmern wie Bongartz andere Gefahren. Eigentlich hätte neben den drei vorhandenen Druckern noch ein zusätzlicher hinten im Laden stehen sollen, wo Bongartz ihre Werkstatt eingerichtet hat. Doch der wurde nie geliefert. Sie hatte einen speziellen Gipsdrucker bestellt - und wurde vom Lieferanten betrogen. Ein super Angebot seien jene 53 000 Euro für die gebrauchte Maschine gewesen, sagt Bongartz. Eigentlich viel zu günstig, weiß sie heute. Doch sie konnte - so wie einige andere Geprellte - nicht widerstehen und ließ sich abzocken.

Heute ärgert sie sich über die eigene Leichtgläubigkeit. "Beinahe wäre die Eröffnung ins Wasser gefallen", erinnert sich Bongartz. Der Blick der schlanken Frau verrät, wie ernst die Lage damals war. Heute würde ihr so etwas nicht noch einmal passieren, ist sie sich sicher, während der Drucker vor sich hin knarzt und surrt - und der Eierbecher Schicht um Schicht emporwächst. Leuchtend rot schimmert die letzte Schicht des geschmolzenen Plastiks, das aus den Drucker-Düsen gedrückt wird. Der Druckkopf fährt hin und her über die beheizte Trägerplatte, gemäß dem Bauplan, den Bongartz zuvor am Computer erstellt hat. Weniger als ein Zehntel eines Millimeters dünn ist jede Lage.

Während der Drucker noch arbeitet, sitzt Bongartz am Computer bereits vor dem nächsten Auftrag: Es geht um eine Steckdose. Gerade hat ein Kunde angerufen und sein Kommen angekündigt. Der Auftrag ist knifflig, der Kunde anspruchsvoll. So ist es meistens. In seiner Ferienwohnung in Israel sind dem Mann einige der Verblendungen kaputtgegangen. "Hübsch und zeitlos" seien diese, sagt er. Der Hersteller aber produziere jenes Steckdosen-System nicht mehr. Deswegen hat sich der Mann an Bongartz gewandt, um die Steckdosen nachdrucken zu lassen. 30 Stück insgesamt. Jetzt aber nimmt er erst mal einen Prototypen mit, um zu schauen, ob er passt, gut aussieht - und ob er funktioniert. Über den Preis müssen er und Bongartz sich erst noch einigen.

"Es handelt sich bei fast allem, was ich mache, um Einzelanfertigungen oder Kleinstserien", sagt die Unternehmerin. "Wenn ich einen Auftrag annehme, weiß ich erst nachher, wie lange ich wirklich brauchen werde." Eins ist sicher: Neue Steckdosen im Baumarkt sind günstiger. Und noch dauert es gut drei Stunden, einen Eierbecher auszudrucken. Plica ist sich sicher, dass die Drucker in Zukunft deutlich schneller arbeiten werden. Vielleicht wird ihr Laden irgendwann zu einem Copyshop, wie man ihn aus dem 2-D-Druck kennt: reingehen, Datenträger einstecken, ausdrucken, mitnehmen. Auch wenn das noch dauert, Bongartz und Plica sind sich einig: Dem 3-D-Druck gehört die Zukunft.

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