Dialog zwischen den wissenschaftlichen Disziplinen:Risse kitten im Elfenbeinturm

Prof. Thomas O. Höllmann, Sinologe, China, Chinesisch

Thomas Höllmanns Wohnung ist voller Kunst und Antiquitäten aus China. Fernöstliche Gelassenheit hilft ihm auch im Umgang mit dem Wissenschaftsbetrieb

(Foto: Matthias Döring)

Thomas Höllmann kennt China besser als viele Chinesen. Von Januar an ist der Sinologe neuer Präsident der Bayerischen Akademie der Wissenschaften

Von Martina Scherf

Gespaltener Kaninchenschädel, Fledermaus, Hund - alles kein Problem. Thomas O. Höllmann erforscht seit mehr als 40 Jahren die chinesiche Kultur, da ist er einiges gewohnt. Speist mit Honoratioren in Luxus-Restaurants und mit Bauern in Feldküchen, trinkt jede Menge Schnaps, wenn es sein muss. Er hat an Ausgrabungen entlang der Seidenstraße teilgenommen und eine Kulturgeschichte der chinesischen Küche geschrieben. Er kennt die chinesische Kultur so gut wie nur wenige Europäer, sein Expertentum ist weltweit gefragt. Von Januar an ist der Sinologe neuer Präsident der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.

Höllmann, 64, Schnauzbart und Nickelbrille, gießt sich eine Cola ein und setzt sich an den Esstisch. Über ihm eine Grafik von Lüpertz und eine chinesische Kalligrafie. Die Wände seiner Schwabinger Wohnung hängen voller Bilder aus Ost und West, Gemälde, Radierungen, Scherenschnitte. Auf dem Sideboard hockt ein geschnitzter Häuptling in seinem Festornat. Er stammt aus Taiwan.

"Ich wollte ursprünglich ja Kunst studieren", erzählt der aus Niederbayern stammende Professor. Und die fernöstliche Kunst hat ihn schon immer besonders interessiert. So reist er als Student 1972 das erste Mal nach China. Mao ist angesagt unter linken Studenten im Westen, die Auswüchse seiner Kulturrevolution interessieren sie weniger. Etliche von Höllmanns Kommilitonen ziehen sich blaue Hosen und Jacken an und machen sich auf ins Reich des Großen Vorsitzenden Mao Tse Tung. Höllmann hat schon damals nichts für Parolen übrig. Er geht nach Taiwan. "Das war die mildere Variante", sagt er im Rückblick.

Der junge Mann aus Bayern beginnt ein Sprachstudium an der Universität in Xinzhu und taucht tief in die chinesische Kulturgeschichte ein. In den folgenden Jahren fliegt er immer wieder auf die Insel, die ein gewisses Maß an Eigenständigkeit zu bewahren versucht. In München studiert er Sinologie, Völkerkunde und Archäologie. Er heiratet eine Ethnologin, zwei Söhne werden geboren. Höllmann promoviert in Sinologie und habilitiert sich in Ethnologie. China lässt ihn nicht mehr los.

Heute gilt der Professor der Ludwig-Maximilians-Universität als einer der führenden Sinologen Deutschlands. Seit langem ist er schon Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, leitete dort bis vor kurzem die Kommission für zentral- und ostasiatische Studien. Von Januar an soll er als Präsident die ehrwürdige Institution in ruhigeres Fahrwasser führen. Es gab dort in letzter Zeit ziemliche Unruhe, seit eine von der Politik eingesetzte Kommission Reformen erzwungen hat: mehr Jugend soll in die Akademie, mehr Frauen, mehr Transparenz.

"Ich sehe meine Aufgabe auch darin, ein bisschen die Risse zu kitten", sagt Höllmann mit fernöstlicher Milde. Er sei kein Konfuzianer, sagt er, aber da fällt ihm doch ein Vers der chinesischen Philosophen ein:

"Der Meister sprach: Einer, der selbst recht handelt, benötigt keine Weisungen, um die Dinge zu regeln. Einer, der nicht recht handelt, mag hingegen befehlen, so viel er will: Man wird ihm dennoch nicht folgen."

Den Dialog zwischen den wissenschaftlichen Disziplinen, bekräftigt Höllmann, "den braucht die Gesellschaft mehr denn je". Vom Wörterbuch des antiken Latein über die Gletscherforschung bis zu frühbuddhistischen Handschriften reicht das Spektrum des Weltwissens, das in der Akademie gesammelt wird. Und immer öfter nehmen die Experten jetzt auch zu aktuellen gesellschaftlichen Fragen Stellung, vom Fracking über Genforschung bis zum interreligiösen Dialog. Das sei gut so, sagt Höllmann. Raus aus dem Elfenbeinturm.

Er selbst ist ein wahrer Universalgelehrter. Er beherrscht nicht nur fließend mehr als 5000 chinesische Schriftzeichen - mehr als die meisten Chinesen. An seinem Lehrstuhl an der Ludwig-Maximilians-Universität unterrichtet er Sinologie "einschließlich chinesischer Kunst und Archäologie sowie Ethnologie", diese Vielfalt ist ihm wichtig. Er mag das Schubladen-Denken nicht.

Und wie die Chinesen liebt er gutes Essen. Deshalb kocht er auch gerne mit seinen Studenten, Sichuan-Huhn etwa, schön scharf. In seinem historischen Kochbuch ("Schlafender Lotus, trunkenes Huhn") geht es um Gewürze, Hygiene und Opfergaben, ums Schlürfen und Schmatzen, um Rausch und Entsagung, um Kaiser und Bettler. Wie sagte der Gelehrte Lin Yutang? "Wenn etwas den Chinesen zu völligem Ernst zwingt, so ist es weder die Religion noch die Bildung, sondern das Essen."

Die Sinologie ist ein sogenanntes "kleines Fach" an den Universitäten. Etwa 100 Studenten fangen an der LMU jedes Jahr an, nur ein Drittel hält bis zum Abschluss durch. "Dabei befassen wir uns immerhin mit einem Viertel der Weltbevölkerung", sagt Höllmann und schmunzelt. Er ist ein bescheidener Mann, der niemandem sein Expertenwissen aufdrängen würde. Auf dem Arbeitsmarkt sind Sinologen immer noch nicht sonderlich gefragt, sagt er, dabei täte den vielen Geschäftemachern, die sich um Aufträge in China reißen, etwas mehr Kulturkompetenz gut.

Als vor Jahren ein bayerischer Politiker in der Partnerprovinz Shandong im Osten Chinas auf die deutsch-chinesische Freundschaft anstieß, "wäre es hilfreich gewesen zu wissen, dass Shandong mal quasi deutsche Kolonie war". Das an jenem Tag reichlich verkostete Bier stammte aus der einstigen Germania-Brauerei, 1903 unter deutscher Besatzung gegründet. Kurz zuvor war der Boxeraufstand niedergeschlagen worden, mit dem sich die Einheimischen gegen die ausländischen Mächte wehrten - wertvolles Wissen, wenn man auf fremdem Terrain Fettnäpfchen vermeiden will. Boxeraufstand - der Begriff steht nur in deutschen Geschichtsbüchern, in China heißt das "Bewegung für Gerechtigkeit und Harmonie".

Beispiele solcher Art gibt es viele. EU-Kommissar Günter Oettinger (CDU) sprach von "Schlitzaugen". Die Chefs der drei großen Kunstsammlungen in München, Dresden und Berlin ließen sich 2011 für ihre Ausstellung zur "Kunst der Aufklärung" in Peking feiern. Dass Chinesen unter Aufklärung etwas ganz anderes verstehen als Europäer, wurde ihnen aber erst im Laufe der Eröffnungszeremonie klar.

"Ein Dialog, der sich auf die symbolische Lesart nur einer der beteiligten Kulturen beschränkt, ist eben kein wirklicher Dialog", sagt Höllmann. Wieder schmunzelt er fast unmerklich unter seinem dichten Schnurrbart.

Der Professor verfügt über ein enzyklopädisches Wissen. Man spricht über China und Italien (dort hat er ein Haus, in dessen Garten er Olivenbäume pflanzt), Wirtschaft und Politik, Küchen und Friedhöfe, und dass er einmal einen chinesischen Hund vor dem Kochtopf rettete und mit nach Hause brachte ("der hat dann 15 Jahre mit uns gelebt"). Er kann all diese Fäden des Lebens miteinander verbinden.

Seine Kompetenz ist auch an chinesischen Universitäten gefragt. Aber ganz nach China zu ziehen, das kam nie in Frage. Das hieße "alle Rahmenbedingungen zu akzeptieren" - auch die Zensur. Höllmann hat nur wenige Kollegen, mit denen er offen reden kann.

Deshalb tut es ihm "richtig weh", wenn er gelegentlich deutsche Manager von China schwärmen hört: Wie leicht man dort Hochhäuser und Straßen bauen oder Fabriken aus dem Boden stampfen könne, ohne lästige Umweltauflagen und Gewerkschaften. Da verrutschen die Maßstäbe, meint Höllmann, "wollen wir so was auch bei uns?"

Der Forscher verbringt jedes Jahr einige Wochen in China. Nicht mehr so gerne in Peking mit seiner Luftverschmutzung, "da muss man 100 Kilometer raus fahren, um dem Smog zu entkommen". Er fährt gerne aufs Land. So wie damals, als er über das Volk der Tsou auf Taiwan forschte. Da war er für viele der erste Ausländer, den sie sahen, "da wurde ich herumgereicht wie eine Festsau". Er bekam die besten Stücke des Bratens - und machte den Fehler zu sagen: "Es schmeckt köstlich!" Ein halbes Jahr später musste er in das Dorf zurückkehren. Da wurden dann zu seinen Ehren wieder die fettesten Fledermäuse gegrillt.

Noch eine chinesische Weisheit gefällig? Von Saho Yong zum Beispiel: "Heiter bin ich und vergnügt, hochgestimmt vor lauter Glück. Kein Wunder: Neue Freunde, schöne Aussicht, gutes Bier und edle Speisen. Geboren, gereift, gealtert: Alles zu seiner Zeit und in perfekter Harmonie."

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