Deutsch-französische Freundschaft:Der Trauermanager

Die vielen Beileidsbekundungen der Münchner Bürger nach dem Terroranschlag in Paris beeindrucken den französischen Generalkonsul Jean-Claude Brunet - er spricht von Zusammenhalt und Solidarität

Von Imke Plesch

Normalerweise würde man das französische Generalkonsulat leicht übersehen, gelegen in einem gesichtslosen Bürogebäude im Münchner Westend. Doch heute erkennt man die meterlange Reihe aus Blumensträußen, roten Grablichtern und Zetteln vor dem Haus schon von weitem. Im dritten Stock empfängt Generalkonsul Jean-Claude Brunet im Konferenzraum, in dessen Ecke eingerollt und mit Trauerflor die Flaggen von Deutschland, Frankreich, der Europäischen Union und Bayern stehen. Auf dem Tisch liegt das Kondolenzbuch, daneben brennt eine Kerze - ein Geschenk der orthodoxen Gemeinde der Münchner Salvatorkirche.

Nach dem Anschlag auf die Satirezeitschrift Charlie Hébdo im Januar steht Frankreich nach dem Terrorattentat am Freitagabend zum zweiten Mal in diesem Jahr im Zentrum der Aufmerksamkeit - und damit auch Brunet als französischer Repräsentant in München. "Ich stehe unter Schock, genau wie meine Landsleute hier und die ganze Bevölkerung in München und Deutschland", sagt der Generalkonsul. Am vergangenen Freitag sah er das Fußballspiel Deutschland gegen Frankreich im Fernsehen, als dort die ersten Informationen zu den Anschlägen eingeblendet wurden. "Es war furchtbar und es wurde von Minute zu Minute schlimmer." Seitdem ist Brunet damit beschäftigt, Informationen aus Frankreich zu sammeln und an die hier lebenden Franzosen weiterzuleiten sowie Solidaritätsbekundungen entgegenzunehmen.

Deutsch-französische Freundschaft: "Gemeinsam müssen wir unsere Werte verteidigen, zusammen mit unseren Partnern in Europa und der gesamten freien Welt", erklärt Jean-Claude Brunet.

"Gemeinsam müssen wir unsere Werte verteidigen, zusammen mit unseren Partnern in Europa und der gesamten freien Welt", erklärt Jean-Claude Brunet.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

"Zusammenhalt" ist das Wort, das im Gespräch am häufigsten fällt. "Als Generalkonsul ist es jetzt meine Aufgabe, mit der französischen Gemeinschaft zusammen zu sein, aber auch mit unseren bayerischen und deutschen Freunden. Gemeinsam müssen wir unsere Werte verteidigen, zusammen mit unseren Partnern in Europa und der gesamten freien Welt", erklärt Brunet in diplomatischer Professionalität. Er spricht sehr ruhig. Das Thema geht ihm sichtlich sehr nahe.

Im Laufe seiner Karriere hat Brunet bereits an verschiedenen Schaltstellen der westlichen Diplomatie gearbeitet, war in New York bei den Vereinten Nationen und in Brüssel bei der Europäischen Union. Die deutsch-französischen Beziehungen waren dabei immer ein roter Faden in seiner Arbeit. Aufgewachsen im Elsass nimmtBrunet, Jahrgang 1966, als Jugendlicher an Austauschprogrammen des deutsch-französischen Jugendwerkes teil. Seinen Wehrdienst leistet er in der deutsch-französischen Brigade in Böblingen, studiert anschließend Politik und Germanistik in Straßburg und Paris. Sein erster Auslandsposten als Diplomat führt ihn 1996 für drei Jahre nach Bonn, er wird dort erster Sekretär an der französischen Botschaft.

Deutsch-französische Freundschaft: Franzosen aus München und Umgebung planen eine Gedenkkundgebung.

Franzosen aus München und Umgebung planen eine Gedenkkundgebung.

(Foto: Robert Haas)

"Die deutsch-französische Freundschaft ist eine revolutionäre Idee", sagt der Generalkonsul. In seiner Laufbahn habe er dieses Beispiel oft genannt, etwa bei der Zusammenarbeit mit untereinander verfeindeten Ländern. "Dieser Prozess vom Krieg über Versöhnung zu Freundschaft in Europa ist etwas ganz Besonderes." Vor allem mit Jugendlichen spricht er heute gerne über das Thema. Zwischen den beiden Weltkriegen habe man versäumt, die Gesellschaften der beiden Länder zusammenzubringen. Das sei heute anders. Gerade zwischen Bayern und Frankreich gebe es viele Kooperationen und Vernetzungen von Schul- über Städtepartnerschaften bis zu kultureller, wirtschaftlicher und politischer Zusammenarbeit, berichtet Brunet. Mindestens 10 000 Franzosen leben in München, knapp 30 000 in ganz Bayern.

Nach 15 Jahren in den USA und Frankreich arbeitet Brunet seit Sommer 2014 als Generalkonsul in München nun wieder direkt im deutsch-französischen Kontext. Ihn faszinieren die vielfältigen historischen und aktuellen Verbindungen zwischen Bayern und Frankreich. Schon als Student war er einige Zeit in München und beeindruckt von der Internationalität der Stadt, die gleichzeitig so viel Wert auf ihre Traditionen legt. "München ist unheimlich interessant und aufregend", sagt Brunet.

Münchner gedenken Opfer der Terroranschläge in Paris, 2015

Der französische Generalkonsul ist beeindruckt von der großen Anteilnahme der Münchner.

(Foto: Florian Peljak)

Gerade in schwierigen Momenten wie jetzt oder auch nach den Anschlägen im Januar spürten die Bevölkerungen beider Länder, dass die deutsch-französische Freundschaft lebe und nicht nur auf dem Papier bestehe. "Nach dem Absturz des Germanwings-Flugzeuges im März war es die französische Bevölkerung, die eng an der Seite Deutschlands stand", sagt Brunet. Für den Generalkonsul bringt die aktuelle Bedrohungslage die beiden Länder einander noch näher: "Je mehr unsere gemeinsamen Werte-Fundamente angegriffen werden, desto näher rücken wir zusammen."

"Solidarität" ist das zweite wichtige Wort. Ministerpräsident Horst Seehofer hat sich am Samstag mit vier Ministern in das Kondolenzbuch eingetragen, Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter und Zweiter Bürgermeister Josef Schmid folgten. Aber auch einfache Münchner kommen vorbei, legen Blumen nieder oder schreiben Beileidsbekundungen. Es seien noch mehr Menschen, die Anteil nähmen, als im Januar, berichtet Brunet. Er betont immer wieder, wie wichtig ihm und allen Franzosen diese Solidarität ist. "Die französischen Medien berichten aufmerksam über die Anteilnahme in Deutschland. Wir fühlen uns nicht alleine und bedanken uns sehr herzlich dafür. Bei dieser Solidarität wird mir warm ums Herz", sagt Brunet.

Kundgebungen

Um die Entschlossenheit gegen terroristische Gewalt zu bekräftigen, haben Franzosen aus München und Umgebung eine Gedenkkundgebung am Donnerstag, 19. November, von 18.30 Uhr an auf dem Odeons-platz organisiert. "Die Terroristen haben sich Orte des Zusammenlebens ausgesucht, wo Grenzen zwischen Kultur, Herkunft und Religion überwunden sind. Sie wollen uns spalten, wir werden sie nicht gewinnen lassen", schreiben sie in der Einladung. Am Tag darauf ruft das Münchner Forum für Islam am Geschwister-Scholl-Platz zur Solidarität mit Frankreich auf. Der Schweigemarsch beginnt im 16.30 Uhr. SZ

Nach den Anschlägen im Januar kamen auch Vertreter der großen muslimischen Vereine in Bayern ins Konsulat, um ihr Beileid auszudrücken. Auch jetzt spürt Brunet große Anteilnahme der muslimischen Gemeinden. "Wir müssen aufpassen, dass es keine Stigmatisierung des Islams gibt. Mit allen Religionen gemeinsam müssen wir gegen Radikalismus vorgehen."

Die Franzosen in München und Bayern stellten ihm jetzt viele Fragen zu ihrer Sicherheit. "Wir stehen in enger Verbindung mit den Behörden", betont Brunet. Aber vielen Menschen gehe es auch einfach darum, jetzt nicht allein zu sein, sich zu gemeinsamen Gedenkveranstaltungen zu verabreden, wie etwa an diesem Donnerstag um 18:30 Uhr auf dem Odeonsplatz. Brunet ist zum Trauermanager geworden, der die deutsche Anteilnahme an die Franzosen und die französische Dankbarkeit an die Deutschen weiterleitet. Diese Rolle übernimmt er gerne. "Das Spannende an der Arbeit als Generalkonsul ist die Vielfalt an Menschen, Themen, Aktivitäten, mit denen man es zu tun hat. Das ist kein Job für Routine und Alltag. Im diplomatischen Leben ist Konsul die Funktion mit dem vielfältigsten Zugang zum Leben einer Gesellschaft."

Man spürt, dass Jean-Claude Brunet als Vermittler zwischen den Nachbarländern seine Rolle gefunden hat. In München fühlt er sich wohl. Doch als er anfängt, vom Englischen Garten und den Boule-Spielern im Hofgarten zu schwärmen, ist das Gespräch zu Ende. Bildungsminister Ludwig Spaenle hat sich angekündigt, um seine Anteilnahme auszudrücken.

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