Der Tollwood-Christkindlmarkt:Tannenbaum trifft Talisman

Das Winter-Tollwood ist ein alternatives Festival geblieben - auch wenn heute neben Gauklern Gourmetköche auftreten.

Von Franz Kotteder

In München feiert man Weihnachten ein wenig anders als anderswo. So-bald der Heilige Abend anbricht und die Lichter draußen traulich funkeln, entzündet der Vater die ersten Räucherstäbchen und ein zarter Hauch von Patschuli durchzieht den Raum.

Die Mutter legt inzwischen eine CD mit weihnachtlichen Walgesängen aus dem Pazifik ein und dann geht es ans Auspacken der Geschenke: Eine handgestrickte Indiomütze aus Peru, fair gehandelt, für den Sohnemann, ein beinahe altafrikanischer, handgeschnitzter Talisman aus nachwachsendem Tropenholz für die Mama...

Naja, zugegeben, jetzt haben wir schon ein wenig übertrieben. Geht man aber in der Adventszeit über die Theresienwiese, könnten einem solche Gedanken schon kommen. Es ist ein etwas anderer Weihnachtsmarkt dort als jene, die man sonst so in Fußgängerzonen und an allen größeren Plätzen der Stadt so antrifft.

Tollwood ist eben grundsätzlich anders - einerseits immer noch beseelt von dem Gedanken der Gründerzeit, Alternatives und Ökologisches bieten zu müssen. Andererseits sind aber auch die Ansprüche der Klientel gewachsen.

Der linke Student aus den frühen Achtzigern ist halt inzwischen ein arrivierter Zahnarzt oder Rechtsanwalt geworden, der seine einstigen Ideale zwar nicht verraten hat, aber gewiss auch nicht Einspruch einlegt, wenn so ein alternatives Festival beheizte Zelte anbietet und wenn zufällig noch ein Vier-Gänge-Menü vom Gourmetkoch auf dem Spielplan steht.

Menü mit vier Gängen, auf Wunsch auch vegetarisch

Das Tollwood-Winterfestival ist insofern ein weihnachtliches Paradies, das diese verschiedensten Ansprüche aufs Vortrefflichste erfüllt. An den erfreulich großzügig aufgebauten Marktständen findet man Kunsthandwerk aus fernen Ländern, aber auch aus dem Voralpenland - garantiert nicht aus Plastik, wenn auch bisweilen nicht ganz frei von Kitschverdacht.

Hier hängt die Tiroler Christbaumkugel neben der karibischen Folkloreschnitzerei, duftet Bienenwachs aus dem Chiemgau neben dem Schafwollpulli aus der Inneren Mongolei. Die Besucher aber werden nicht durch Weihnachtslieder sentimentalisiert, sondern bekommen beispielsweise Unterhaltungsmusik und Tänze im "Palast der Morgenröte" geboten, dazu Lesungen und Konzerte im "Wörtersee"-Zelt, obendrein die "Gaukler-Sonate, 2. Satz!" im großen Zelt, ein Varieté mit Musik zwischen Mozart und Rock sowie Akrobaten und Artisten nebst besagtem Menü, auf Wunsch auch vegetarisch - was will man mehr?

Nun, trotz aller Professionalisierung ist das Tollwood-Winterfestival aber doch noch liebenswert anders und vertraut geblieben. Weil man sich zum Beispiel durchaus auch im Dezember wieder wegen Dauerregens unter einem Zeltvordach zusammendrängen kann, sich dabei an das Tollwood-Sommerfestival erinnert fühlt, statt eines Bieres aber Glühwein mit Schuss in der Hand hält.

Und weil man auch diesmal wieder nicht glaubt, dass man selbst von Bio-Glühwein nach dem vierten Glas Kopfweh oder Sodbrennen kriegen kann. So völlig anders, merkt man dann, ist dieses Festival also auch wieder nicht, und vielleicht macht gerade das seinen Reiz aus.

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