Der SZ-Fortsetzungsroman:Die ganze Geschichte

Harry, der Held des neuen SZ-Fortsetzungsromans, wäre gerne Wiesnwirt. Doch Harry hat es nicht einfach: Die Konzession geht nicht her. Dazu kommt der Ärger mit den Frauen. Diana nervt, und die schöne Japanerin, der Harry begegnet, verschwindet ständig wieder. Plötzlich steht dann Nelly aus Usbekistan vor der Tür ...

Was also wird aus Harry? Ein Wirt? Ein Frauenversteher? Ein Landtagsabgeordneter? Oder wird Harry gar Opfer eines Mordes? Fragen, die sich in den nächsten Wochen beantworten werden. Denn Harrys Schicksal gestalten 30 Münchner Autoren, die den Helden des SZ-Fortsetzungsromans in diverse Abenteuer treiben dürfen.

Der Roman erscheint täglich im Münchner Lokalteil der SZ. Es schreiben mit: Doris Dörrie, Christian Ude, Dominik Graf, Caroline Link, Karl-Heinz Wildmoser junior, Hans Jochen Vogel und viele andere.

Wiesn Impossible, Teil 1

Es war eine dieser Sommernächte, in denen alles passieren konnte. Der Mond hinter der Staatskanzlei tauchte den Hofgarten in ein mildes Licht. Harry zog noch einmal an der Zigarre und schnippte den Rest seiner Montecristo No. 4 in das Blumenbeet.

Zwei Stunden hatte er nun gewartet, aber der Mann, der ihm die Konzession für ein Wiesnzelt beschaffen wollte, war nicht gekommen. Im Café Tambosi räumten die Kellner die letzten Gläser zusammen, Harry überlegte, ob er noch bei Diana vorbeischauen sollte. Da piepte sein Handy. Auf dem Display erschien eine SMS.

Teil 2, von Doris Dörrie

"Penisverlängerung zum SSV Preis!" Wie süßer Brei breitete sich Spam über den Erdball aus. Es gab kein Entkommen. Seufzend schwang sich Harry auf sein altes Fahrrad. Er brauchte ein Auto und keine Penisverlängerung.

Er radelte auf die Feldherrnhalle zu, da kreuzte ihn eine junge Japanerin schlingernd auf einem blauen Fahrrad mit der Aufschrift Mike's Bike Tour. "Ham'S keine Augen im Kopf?" wollte Harry raunzen, aber da warf die Japanerin im Sturzflug ihre blütenweißen Arme um seinen Hals, und während sie noch an ihm hing wie ein Pendel an einer Uhr, erklärte sie Harry in gebrochenem Englisch, sie habe den Anschluss an Mike's Bike Gruppe verloren.

"Where am I?" fragte sie schüchtern, ließ Harry los und zupfte sich an ihrem kleinen, perfekt gerundeten, abstehenden Ohr. Dieses Ohr überwältigte Harry. Es war das schönste Ohr, das er je gesehen hatte. Es war ein überirdisches Ohr. Er starrte es an und wusste, dass er von jetzt an nur noch eins im Leben wollte: immer wieder dieses Ohr anschauen. Sie senkte den Kopf und das Ohr verschwand unter ihren dichten Haaren.

"Kommen Sie", sagte Harry eilig, "ich zeige Ihnen was. Follow me." Und gehorsam radelte sie hinter ihm her die Ludwigstraße entlang.

Teil 3, von Christian Ude

Gerne hätte Harry im Vorbeifahren die vier ollen Griechen vor der Staatsbibliothek erläutert, doch ihm war entfallen, wer dargestellt ist. Er beschloss, am Uni-Brunnen Halt zu machen und der Japanerin beim Wasserplantschen einen Blick aufs Ohr abzuluchsen.

Doch da piepte sein Handy schon wieder. Harry wusste nicht, was ihm peinlicher wäre: Ein Anruf von Diana oder ein neues Angebot einer Penisverlängerung. Doch es war der Konzessionshändler: "Ich musste verschwinden", entschuldigte er sich, "außerdem ist die Wiesn ein viel zu heißes Pflaster. Steuerfahndung, verstehen Sie?"

Harry hatte es gleich geahnt, dass es mit dem Wiesn-Zelt nichts werden würde. Solche Konzessionen werden in München vererbt, nicht verkauft. "Aber", fuhr der Unbekannte fort, "ich hätte da noch was anderes an der Hand. Auch ein Riesen-Event! Flughafen! Sie werden sich umschauen . . ." Harry sah sich um - und erschrak. Die Japanerin war verschwunden.

Teil 4, von Dominik Graf, Filmregisseur.

Das wunderbare japanische Ohr, wo war es plötzlich hin? Um Harry herum war Stille, nur die Unibrunnen rauschten. Die Ludwigstraße erschien seltsam leer für die Uhrzeit.

Am anderen Ende des Handys brüllte der Konzessionsverteiler weiter gegen den Kneipenlärm an, in dem er stand: "Richtfest Flughafen Erding, nächster und übernächster Terminal, gleich in einem Aufwasch, erwartet werden über tausend Gäste, da kommst mit deinem Würschtlstand auch noch unter!" - "Ich hab keinen Würschtlstand!!" - "Hast du net gsagt, du hast an Würschtlstand?!"

Harry war bei der Suche nach der Japanerin inzwischen bis zum Siegestor gekommen. Er schaute in die Nebenstraßen - niemand. Da hörte er plötzlich am Handy eine bekannte Stimme schreien: "Where am I?" Es war die Japanerin! Wie kam sie ins Handy? "Hallo!?" rief Harry. "Helpme! Help!!" schrie die süße kleine dünne Stimme verzweifelt im orgiastischen Lärm um sie herum, der sich mehr und mehr anhörte wie eine betrunkene Räuberhöhle. Der Konzessionsverteiler lachte jetzt dämonisch: "Harry, du hast ja alle Grenzen überschritten!" Harry verstand nicht. "Wo ist sie? Wo seid ihr?" rief Harry ins Handy.

"Such uns. Hilf deiner kleinen Kirschblüte. Aber du bist in einer anderen Welt gelandet, Harry! Wie hast du das angestellt?", lachte der Mann. Das Handy brach ab. Aus Richtung Akademie kam jetzt eine Prozession auf Harry zu. Die Männer - es waren nur Männer - waren gekleidet wie vor dem ersten Weltkrieg. Sie trugen gemeinsam und sehr ernst etwas Großes in ihrer Mitte. Eine Holzfigur, einen hölzernen Mann in kurzen Hosen auf einem vorsintflutlichen Fahrrad sitzend, auf einer Draisine.

Teil 5, von Armin Nassehi

Schweißgebadet schreckte Harry um 5.30 Uhr aus dem Schlaf. Im ersten Moment wusste er nicht, wo er war. Der zweite Moment holte ihn in seine triste Wirklichkeit zurück. Er schien einfach nicht mehr zur Ruhe zu kommen. Dass er im Job kein Bein auf den Boden bekam, war ja schon Gewohnheit, aber jetzt noch der Stress mit Diana! ´

Das war zu viel für ihn. Nicht einmal mehr der Schlaf war sicheres Rückzugsgebiet. Endgültig weckte ihn das Piepgeräusch seines Handys. Auf dem Display war nicht zu erkennen, wer ihn um diese Zeit anrufen wollte. Er nahm ab, und zuerst war gar nichts zu vernehmen. Dann hörte er eine dünne Stimme: "Where am I? Please, help me!" Wer war das? Woher kannte er diese Stimme?

Bevor Harry antworten konnte, wurde das Gespräch unterbrochen, und nun schellte und klopfte es an der Tür. Harry erschrak. Durch den Spion sah er nur schwarze lange Haare, die ein Ohr bedeckten. Ein wunderschönes Ohr. Der Schrecken wich einer Panik, die ihn ruhig werden ließ.

Teil 6, von Asta Scheib, Schriftstellerin

Doch da läutete das Telefon. Herrgott, wenn es dich gibt, dann lass das nicht Diana sein, betete Harry. Es war Diana. Und sie brüllte in den Hörer: dass man Harry nie erreichen könne, dass sie zur Strafe jetzt halt mitten in der Nacht anrufe. Vorsichtshalber dimmte Harry seine Stimme herunter auf Stufe schüchtern. Damit war Diana am ehesten zu besänftigen.

"Stell dir vor, ich hab einen Auftrag für den Stern, rief sie denn auch etwas sachlicher, im Leierkasten ist Tag der Offenen Tür und ich soll drüber schreiben. Da musst du unbedingt mitkommen, ich brauch schließlich einen Freier! Ich hole dich heute Abend ab. Klar?" Harry dachte flüchtig daran, dass er eine attraktive Nutte - sozusagen akzeptiert...

Doch sofort fiel ihm das Ohr ein, das göttlichste, süßeste aller Ohren und die leise Stimme, die sein Herz in ein Schlagzeug verwandelte. "Diana", sagte er daher und versuchte, mühsam zu keuchen, "Diana, ich glaub, ich habe die Legionärskrankheit erwischt. Unter der Dusche, du weißt schon. Ich kann mich kaum auf den Beinen halten und ..." "Du Schlappschwanz, wenn man dich einmal braucht im Leben", heulte Diana ins Telefon, doch Harry legte auf und ging zur Tür, an die es leise klopfte.

Teil 7, von Reinhard Wieczorek, Wirtschaftsreferent der Stadt München

Vor der Tür stand Nelly aus Usbekistan. Sie sprach perfekt deutsch und hatte über die mittelhochdeutsche Lautverschiebung promoviert. Ihre Dollars verdiente sie als Fremdenführerin.

Nelly war in Taschkent dabei gewesen, als im Buchara Palace Hotel ein US-Soldat das "Star spangled banner" durch die Hotelhalle schmetterte. Ein anderer amerikanischer Soldat hatte Harry und Diana angefahren, sie sollten gefälligst ihre Ärsche aus dem Sessel hieven!

Harry grämte es heute noch, dass er damals nicht wie Victor Lazlo in Casablanca mit der Marseillaise dagegen gehalten hatte. Damals hatte Harry zu Nelly gesagt, wenn sie in München sei, müsse sie unbedingt einmal bei ihm vorbeischauen . . .

Jetzt ging Nelly an Harry vorbei, setzte sich auf das zerwühlte Bett, strich die schwarzen glatten Haare hinters Ohr - es war ein winziges, süßes Ohr, das er zum ersten Mal bemerkte - und fragte: "Was machen wir jetzt?". Da dudelte Harrys Handy: Dianas Nummer . . .

Teil 8, von Andreas von Mariassy.

Nicht schon wieder Diana, dachte Harry beim Blick auf das Telefon. Jetzt war nicht der Augenblick für eine Grundsatzdebatte. Harry zog Nelly wortlos in die Küche.

Er setzte Kaffee auf und warf einen Blick in den Kühlschrank. Nelly sah über seine Schulter, stöhnte kurz auf und maulte: "Erst so früh aus dem Bett geworfen und dann ein müder Mann mit drei Tomaten im Kühlschrank." "Wieso früh rausgeworfen?" griff Harry dankbar auf. "Die Polizei war im Hotel, ein japanisches Mädchen aus unserer Reisegruppe ist nachts verschwunden."

"Wie - verschwunden?" "Sie ist tot aufgefunden worden, furchtbar was?" "Tot?" Harry wurde langsam wach. "Die Polizistin sagt, sie sei mit einer tiefen Wunde am Kopf in der Einfahrt der Tierklinik gelegen. Als der Pförtner sie fand, atmete sie nicht mehr. Arme Keiko. Jetzt suchen sie Zeugen. Die Polizistin sagt, Keiko wäre mit einem Typ am Unibrunnen gesehen worden." Harry war jetzt ganz wach.

Teil 9, von Renate Just, Autorin

Oh mein Gott", sagte Harry, "arme Keiko. Aber ich bin ich ja wohl auch in eine ganz blöde Falle getappt." Dieser Konzessions-Verschaffer für einen Wies'n- Standplatz: Hatte der nicht was geraunt von mafiösen Machenschaften unter der Decke der harmlosen Oktoberfestvorbereitungen?

Von knallharten Bandenkriegen, zwischen einer Art fernöstlicher Yakuza-Fraktion, die alles dransetze, endlich ein lukratives Karaoke-Spiegelzelt auf der Wiesn zu etablieren. Und auf der anderen Seite den so genannten "Filzlmännern", einem altbayerischen Geheimbund, der über Leichen gehen würde, um so was Neumodisches - gleich neben der Ochsenbraterei! - zu verhindern.

Keiko mit den niedlichen Ohren, so viel war klar, war alles andere als harmlos gewesen. Und er, Harry, sollte nun den Sündenbock abgeben, in einem undurchsichtigen Spiel um Geld und Macht auf der Theresienwiese.

Teil 10, von Wolfgang Schmidbauer.

Wie immer, wenn Harry nicht weiterwusste, suchte er die Ruhe seines Dojo. Um diese Zeit trainierte niemand dort, aber er genoss es, in dem großen Raum still zu sitzen, die Wand anzublicken und einen seiner stets scheiternden Versuche zu machen, seinen Geist ganz zu leeren, um Platz für eine Erleuchtung zu schaffen.

Schnell verdientes Geld! Ein Wiesnumsatz, und davon ein Jahr leben? Reisen, endlich einmal in einem echten Zen-Kloster trainieren, nicht in einem Giesinger Hinterhof!

Plötzlich erlosch die Beleuchtung. Fast gleichzeitig blitzte etwas in seinem Schädel auf, eine schmerzliche blendende Helligkeit, ein stechender Schmerz, und dann gar nichts, Leere, Stille - Satori! Endlich, gerade weil er es nicht geglaubt, nicht gewollt, nicht geplant hatte, war ihm Erleuchtung zuteil geworden.

Als er wieder zu sich kam, war er mit Paketband an einen Stuhl gefesselt. Vor ihm saßen zwei Japanerinnen in weißen, ärmellosen Leibchen und schwarzen Hosen. Ihre Oberarme waren tätowiert, und sie mussten Keikos Zwillinge sein. Drillinge? Klone? Oder sah er alles doppelt? Harry kniff die Augen zu und schüttelte den schmerzenden Kopf. Es half nicht, die beiden saßen da, funkelten ihn an, bereit, ihre Drillingsschwester zu rächen, als sich plötzlich eine gemütliche, etwas schwerfällige Stimme aus dem Hintergrund meldete.

"Jiatz warts no, Madl. Eigntlich schaugt dea doch net aus wiera Killa!"

Teil 11, von Caroline Link.

Harry versuchte, die Person im Hintergrund zu erkennen. Seine Augen mussten sich an die Dunkelheit gewöhnen, und nur langsam zeichnete sich der Umriss eines mittelgroßen, unglaublich dicken Mannes ab.

Offensichtlich saß er auf einem einbeinigen Hocker, einer Art Melkschemel, der jeden Moment unter ihm zusammenzubrechen drohte. Ungeduldig schaukelte er seinen fetten Leib auf dem Hocker hin und her.

Harry konnte jetzt auch sein Gesicht erkennen. Der Mann trug einen bayrischen Filzhut und schwitzte heftig. Schweißperlen hingen an seiner Nasenspitze. Das erinnerte Harry, dass er selbst Durst hatte und gerne nach einem Glas Wasser gefragt hätte. Aber sein Mund war ja verklebt mit diesem albernen Paketband. Er seufzte resigniert.

Der dicke Mann stand auf und bewegte sich langsam auf ihn zu. Die Situation hatte etwas Ungemütliches, aber Harry konnte beim besten Willen keine Angst empfinden. Zwei tätowierte Japanerinnen mit wunderschönen Ohren und böse funkelnden Augen, und ein heftig transpirierendes, bayerisches Walross, das versuchte so bedrohlich zu erscheinen wie Marlon Brando als Colonel Kurtz in "Apocalypse Now".

Nein - das war doch alles mehr als lächerlich. Mit einem entschiedenen Ruck zog der bayrische Marlon Brando Harry das Paketband vom Mund. "Mia zwoa ham eh noch wos zum redn, oder?" Er grinste blöde und finster. Sein Schweißtropfen fiel Harry direkt ins Gesicht.

Teil 12, von Hans-Jochen Vogel, Ex-Oberbürgermeister

Im gleichen Augenblick trat in diesem wirren Geschehen erstmals ein ganz normaler Mensch auf. Er hieß Josef Meier, hatte völlig normale Ohren, litt nicht unter Wachträumen, war in seinem Leben noch nie in Taschkent gewesen und kümmerte sich auch nicht um die angebliche Vermittlung von Konzessionen für Würstlbuden durch mafiöse Hintermänner.

Er war ganz einfach nur ein Wohnungsnachbar und fühlte sich durch die undurchsichtigen Vorgänge nebenan und die merkwürdigen Geräusche zu später Stunde belästigt. Deshalb klopfte er kräftig an die Wohnungstür und rief: "Gebt's endlich a Ruah! Hier wohnen Menschen, die am nächsten Tag arbeiten müssen und die mit euren Spinnereien nichts zu tun haben wollen!" Dann drohte er noch, dass er sich notfalls an das Büro des Oberbürgermeisters wenden werde.

Teil 13, von Reinhard Wittmann, Geschäftsführer im Literaturhaus.

Vom wütenden Nachbarn abgelenkt, bemerkte niemand außer Harry, dass sich die Schlafzimmertür millimeterweise öffnete. Zuerst sah Harry nur eine gezückte Waffe und dann - hocherfreut - Diana! "Hände hoch oder ich schieße", rief sie und sagte zu Harry: "Mensch, ich warte, dass wir loskommen zu meiner Leierkasten-Recherche, und du machst bloß wieder Blödsinn"

Der Dicke kippte vor Schreck von seinem Schemel und lag wie tot am Boden. Während Diana die Japanerinnen im Auge behielt, befreite sie Harry und änderte ihre Abendplanung: Diese Story hier war viel heißer. Außerdem war der Erfinder der Geschichte von den wunderschönen, göttlich süßen Ohren heute in München. "Haruki Murakami liest heute Abend im Literaturhaus. Beeilung! Auf zum Salvatorplatz! Hoffentlich ist er noch da!"

Harry atmete auf, woraufhin Diana murmelte: "Glaub bloß nicht, dass du um den Leierkasten herumkommst. Nur deswegen habe ich nämlich meine Wasserpistole eingesteckt."

Teil 14, von Walter Zöller

Die beiden Japanerinnen hatten plötzlich nicht nur wunderschöne Ohren, sondern auch leuchtende Augen, als sie den Namen Haruki Murakami hörten. Also machten sie sich mit Harry und Diana auf zum Literaturhaus, nicht ohne vorher den Dicken am Boden mit den Resten des Paketbandes zu fesseln. Da war später noch eine Rechnung zu begleichen.

Als sie am Salvatorplatz ankamen, war der Dichter schon weg. Es wurde gemunkelt, er sei in den Leierkasten gefahren, um sich von seinen intellektuellen weiblichen Verehrerinnen zu erholen.

"Da hätten wir auch gleich zu meiner Recherche hinfahren können", maulte Diana. Aber als sie am Leierkasten ankamen, war der umzingelt von Polizisten. "Gewerbliche Unzucht wird in Bayern nicht länger geduldet", verkündete der Einsatzleiter, "wir widerstehen der rot-grünen Moralzersetzung." Doch schon nahte Rettung.

Der Münchner Oberbürgermeister stieg von seinem Fahrrad, das er fünfzig Meter zuvor aus seinem Dienst-BMW genommen hatte und diktierte den Journalisten in die Blöcke: "Sie wissen, ich bin wie alle Bürger für Anstand und Sauberkeit. Aber die Repressionen der schwarzen Macht in Bayern werde ich nicht tolerieren." Da traf ihn ein kalter Strahl, als Diana vor Begeisterung ihre Wasserpistole leer spritzte.

Teil 15, von Friedrich Ani

Nachdem der Oberbürgermeister im Leierkasten verschwunden war ("Muss mit dem Betreiber sprechen, das Reklameschild auf dem Vordach gefällt mir nicht!"), fuhren Harry und Diana in ihrem Smart auf der Landsberger Straße in Richtung Innenstadt. ´

An der Donnersbergerbrücke zeigte die Ampel Rot. Harry konzentrierte sich einen Moment, dann riss er die Beifahrertür auf, beugte sich noch einmal hinunter und sagte: "Jetzt ist Schluss! Ich halt' dieses Auto nicht mehr aus! Alles Gute für die Zukunft!" In derselben Sekunde kam es ihm vor, als hätte er nicht nur Diana völlig erschreckt, sondern auch den kleinen Wagen, denn dieser ruckelte eigenartig.

Beider Befinden war ihm jetzt sowas von egal. Nur fünfzehn Minuten später erreichte Harry den Fuchsbau an der Ungererstraße, wo sein Bruder schon auf ihn wartete.

Teil 16, von Christine Bortenlänger.

Harry dachte an seinen jüngeren Bruder Horst. Der Gedanke erheiterte ihn nicht gerade. Horst hatte nie viel von Arbeit gehalten, dafür mehr von einträglichen Geschäften gleich welcher Art. Missmutig stieß Harry die Tür auf. Aus einem Nebenzimmer schimmerte Licht.

Kein Ton war zu hören. "He! Horst!", rief Harry halblaut, doch niemand antwortete. "Sakra, meld' di scho, Hirsch, damischer", schimpfte Harry. Er stolperte, als er sich durch den dunklen Raum tastete, und blinzelte durch den Türspalt.

Der grauenhafte Anblick ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Im ledernen Chefsessel saß sein Bruder. Quer auf seinem Schoß, die Arme um ihn geschlungen, kuschelte Nelly.

Beide starrten Harry aus leeren Augen an. Ein Dolch heftete einen Zettel mit riesigen, krakeligen Lettern an die Schreibtischplatte: "Chiyozakura - Sumo-Ringer rächen Keiko." Sumo-Ringer! Der dicke Mann! Na klar! Jetzt fielen Harry auch die Kimonogürtel auf, die um die Hälse der Toten geschlungen waren.

Harry traf fast der Schlag, als sich ihm plötzlich eine Hand auf die Schulter legte. "Pssst", flüsterte Diana, die ihm unbemerkt gefolgt war. "Lass' uns bloß verschwinden. Hast du was angefasst?" Harry zuckte hilflos mit den Schultern. "Verdammt, reiß' dich zusammen!", zischte Diana, "ich wisch vorsichtshalber mal die Klinken ab. Nun steh' doch nicht so rum, Harry! Hol' schon mal den Wagen."

Teil 16, von Burkhart Kroeber.

Zu spät, die Polizei war schon da! Als Harry hinauslief, um den Wagen zu holen (obwohl er sich doch geschworen hatte, den grässlichen Smart nie mehr anzurühren), war der Platz vor dem Fuchsbau voll grünweißer BMWs, und an der Ungererstraße reihten sich Mannschaftswagen. Mehr konnte Harry nicht erkennen, denn im nächsten Moment sah er sich von Uniformierten umzingelt.

Der rechte Arm wurde ihm auf den Rücken gedreht, etwas Weiches wurde ihm über den Kopf gestülpt, und am linken Handgelenk klickte etwas Metallisches. Es ging alles so schnell, dass er nicht mal japsen konnte.

"Rrasch durrchsuchen, bevorr err das Ding zündet!", hörte er eine Kommandostimme mit seltsam blechernem Klang. "Und dann rrein mit ihm zu den anderrn, den nehm' ich mir extrra vorr!"

Klingt irgendwie komisch, gar nicht wie in Tatort, dachte Harry gerade noch, bevor er nichts mehr denken konnte. War das überhaupt die Polizei?

Teil 18, von Ulrich Walter

Es dauerte eine Weile, bis Harry wieder zu sich kam. Vor seinen Augen: stockdunkel. Er merkte nur, wie es mit quietschenden Reifen über Kopfsteinpflaster ging. In welch' verfluchte Situation war er da hineingeraten?

Harry überlegte, was er machen konnte. Er griff zur Brusttasche: Das Handy war weg. Jetzt fiel ihm Diana ein, die ihn nun nicht mehr mit ihren Anrufen malträtieren konnte - welch ein Segen! Außerdem diese ohrläppische Kirschblüte Keiko und - wie hieß diese mittelhochdeutsche Lautverschiebung noch? Richtig, Nelly. Diesen Frauenverschleiß würde selbst Horst ihm nicht glauben, der war schließlich auch schon tot.

Verdammt, zwei Frauen tot, Horst lebte nicht mehr, und Harry war es auch schon ganz übel. Er musste unbedingt was gegen diesen übergestülpten, vermoderten Kartoffelsack tun, dessen Gestank dabei war, sein Gehirn auszubrennen.

Teil 19, von Cornelius Mager

Diana hielt inne. Ihre feuchte Hand war noch mit dem Seidenschal umwickelt, mit dem sie versucht hatte, ihre und Harrys Spuren zu verwischen. Sie umklammerte die Klinke der Wohnungstüre. Blaue Blitze jagten jetzt vom Balkon her über die Decke des Raumes.

Leise glitt sie zurück ins Appartement und schloss die Tür. Sie zwängte sich hinter dem Lederstuhl zum Balkon, und versuchte, dabei nicht an Horst und Nelly zu denken, deren leblose Körper hinter ihr über den Schreibtisch hingen.

Vorsichtig beugte sie sich zwischen opulenten Pflanztrögen über die breite Betonbrüstung und versuchte zu erspähen, was unten vor sich ging. Das Forum war von Scheinwerfern erleuchtet. Sie sah gerade noch, wie Harry von zwei Polizisten in einen Kastenwagen gestoßen wurde, als ein grelles Licht sie blendete. "Leute", rief eine bellende Stimme: "Da oben - greift sie!"

Diana hastete zurück ins Appartement, stolperte und fiel längs auf den mächtigen Schreibtisch. Horst starrte sie mit seinen leblosen Augen an. Seine geschwollene Nase erinnerte sie an eine überdimensionale Dachgaube. Nelly lag noch immer auf seinem Schoß.

Dianas Blick fiel auf einen schmales silbernes Teil unter der ledernen Schreibgarnitur, das im zuckenden Blaulicht rhythmisch aufblitzte. Instinktiv griff sie danach, rappelte sich auf und flüchtete ins Treppenhaus.

Von unten hörte sie bereits die Schritte der Uniformierten. Mit wenigen Schritten sprang sie hoch ins nächste Stockwerk und drückte sich am Ende des Flurs in eine Türleibung. In der rechten Hand hielt sie noch immer das silberne Etwas, das sie jetzt musterte. Es war eine Diskette, japanisches Fabrikat.

Harrys Bruder Horst musste sie vor seinen Mördern versteckt haben. Mit grobem Filzstift hatte jemand "O-Fest 03 - Bieterlisten" auf die Vorderseite gekrakelt.

Teil 20, von Charles Schumann, Barbesitzer

Im Treppenhaus ging das Licht aus. Vorsichtig zündete Diana ein Streichholz an. Hielt es mit zittrigen Händen hoch, um das Namensschild an der Tür zu entziffern: "I. M. Moretti"

Die Stimmen der Polizisten wurden deutlicher, die Schritte kamen näher. Fieberhaft überlegte Diana, was sie tun sollte. Der Gang war zu Ende. Kein Ausweg. Verzweifelt rüttelte sie mit beiden Händen an der Tür. Nichts rührte sich. Schritte und Stimmen wurden immer lauter. Vermutlich waren die Polizisten schon im Stockwerk unter ihr. Diana fing leise zu weinen an.

In ihrer Verzweiflung dachte sie daran, die Türe einzutreten. Sinnlos mit ihren 90 Pfund Lebendgewicht. Plötzlich sauste eine dicke schwarze Katze um die Ecke. Bremste an der Tür auf allen vieren, schimpfte laut, sprang nach oben und öffnete mit ihren Pfoten die Tür. Bevor die Tür schloss, schlüpfte Diana noch schnell mit hinein. Es roch nach starkem italienischem Kaffee.

Teil 21, von Robert Hültner

Dianas Puls hämmerte schmerzhaft. Sie versuchte, ihre Augen an das Dunkel des Flurs zu gewöhnen. Ein schmaler Streifen gelblichen Lichts stahl sich durch den Spalt der Türe, die zum Wohnraum führen musste. Eine mürbe Stimme ließ sie herumfahren. "Respekt!"

Eine hagere, von einem verwaschenen Hemd umschlotterte Gestalt stand im Türrahmen. "Treten Sie näher, meine Liebe. Ich wusste, dass Sie kommen würden. Aber leider . . .", der Mann kicherte, "sind Sie zu spät."

Sie folgte zögernd seiner Handbewegung. Der Wohnraum war nur von einer Kerze beleuchtet. "Ich boykottiere die Stadtwerke", erklärte der Mann sachlich. Diana nickte verwirrt. Hörte dieser Irrsinn nie auf? Und was mochte bloß aus Harry geworden sein. War er in Gefahr?

Die bröckelnde Stimme ihres Gegenübers riss sie aus ihren Gedanken. "Aber ich muss zugeben, dass ich mit einem größeren Aufgebot gerechnet habe." Diana verstand nicht.

Der Mann lächelte überlegen. "Sie dachten, Sie könnten mir etwas vormachen? Sie können ruhig zugeben, dass Sie von der Polizei sind." Er wartete ihren Einspruch nicht ab und ließ wieder sein lückiges Grinsen sehen. "Aber, wie gesagt, Sie sind zu spät. Der Countdown läuft." Jetzt erkannte sie ihn.

Teil 22, von Robert Hültner

Natürlich. Er war es. Moretti! Der ehemalige Stadtrat, der gleich am ersten Sitzungstag mit einem radikalen Öko-Konzept für Wirbel gesorgt hatte und, nachdem er sein Scheitern nicht hatte hinnehmen wollen, nackt aus dem Fischbrunnen geholt werden musste.

"Was wollen Sie?" "Sie dachten, ich gebe auf, stimmt's?" Die Augen Morettis blitzten triumphierend. "Alle dachten es. Aber ich habe die Sache mit der Renaturierung Münchens selbst in die Hand genommen. Der Sylvensteinspeicher ist bereits mit Sprengladungen präpariert. Die Isardämme ebenfalls."

Dianas Augen weiteten sich. "Sie wollen . . ." Moretti nickte mit milder Nachsicht. "München wird radikal renaturiert. Alles zwischen Altstadt und Hochufer wird geflutet. Für den Rest sorgt die Umleitung der Würm. Der nächste Schritt wird die Wiedereinsetzung all jener Tierarten . . ."

"Sie sind wahnsinnig", keuchte Diana. "Und die Menschen?!" Wieder lächelte er überlegen. "Sie wollen doch nicht behaupten, dass es diese Spezies in München noch gibt?"

Teil 23, von Wilfried Blume-Beyerle, Kreisverwaltungsreferent

Diana erstarrte. Ihr Herz stand still. Doch ganz von ferne, bruchstückhaft zunächst, drängten immer mehr Erinnerungsfetzen in ihr Gedächtnis: Rolands Facharbeit, Erdkunde: Isarkorrektion - Hochwassersicherheit erst durch den Sylvensteinspeicher.

Und genau den wollte dieser Wahnsinnige jetzt ... Oh Gott, nicht auszudenken! Doch halt! Jahrhundertsommer! Eh viel zu wenig Wasser! Morettis Flutwelle käme höchstens bis Wolfratshausen. Wolfratshausen? Vor Erleichterung hätte Diana fast laut herausgelacht. Die Flut zur Wahl?! Da legte sich ein Männerarm um ihren Hals.

Teil 24, von Brigitte von Welser, Gasteig-Geschäftsführerin

"Vergiss den Spinner, Bella!" Stadtrat Piave, der Mann mit den stadtbekannten italienischen Glutaugen, schob Diana einen Espresso unter die Nase und drückte sie sanft in ein Sitzkissen. "Danke, Doktor", flüsterte sie, erleichtert an seinen Lippen hängend.

"Moretti, dein Spiel ist aus. Haffner und Blume-Beyerle haben Isar, Würm und Sylvenstein-Speicher unter Kontrolle. Geh' raus und stell' dich der Polizei. Die haben auch Presse dabei!" Tatsächlich raffte Moretti einige Papiere sowie einen Wollschal zusammen und verschwand mit einem letzten Gluckser.

Diana stürzte ihren Espresso hinunter. Sie kannte Piave, der sich jetzt bückte und wie nebenbei die CD an sich nahm, von einer stimmungsvollen Stadtrats-Pressefahrt nach Verona. Er war Sonderbeauftragter für die Partnerstädte und seit Neuestem auch Wiesn-Stadtrat.

"Cara!" Seine Stimme klang sonor und eindrücklich. "Harry ist ziemlich in der Klemme. Er ist der russischen Wiesn-Mafia in die Hände gefallen. Sie will mit allen Mitteln ihr ,Pivo Mir' unter die Leute bringen. Aber ich habe andere Pläne. Das neue Zelt wird natürlich von den Italienern finanziert und gesteuert.

Berlusconi hat schon die Mittel freigegeben. Zur Zeit arbeiten wir daran, den kulturellen Aspekt in den Vordergrund zu schieben. Thielemann, der neue Generalmusikdirektor bei den Münchner Philharmonikern, ist unsere Trumpfkarte. Er wird nicht nur in der nächsten Saison in der Arena di Verona dirigieren, sondern auch - und deswegen müssen wir das jetzt unbedingt hinkriegen - im italienischen Wiesn-Zelt.

Er ist fasziniert davon, dass er mit ,Dich grüß ich, teure Halle' von Wagner auf der Wiesn mehr Leute erreichen wird als am Gasteig. Diana! Das ist deine Story. Du kommst groß raus. Tu was! Das ist auch deine Chance!" "Klingt toll", hauchte Diana.

Teil 25, von Karl-Heinz Wildmoser jr.

Was ist mit Harry?" Dianas fragender Blick schoss durch den Raum. Am ganzen Körper zitternd, stand sie langsam auf. "Du kannst doch nicht Harrys Leben aufs Spiel setzen, nur um deine dreckigen Geschäfte durchzuziehen!" Diana kam allmählich wieder zur Besinnung. "Nein", überschlug sich ihre Stimme beinahe vor Aufregung, "ohne mich! Ich gehe jetzt runter zur Polizei und stecke denen die ganze Wahrheit. Ich bin nicht so ein korruptes Schwein wie du!"

Energisch steuerte Diana auf die Türe zu, als sie plötzlich zu Boden gerissen wurde. "Glaubst du etwa, du hast eine Wahl", schrie Piave sie an. "Glaubst du etwa, dass ich so kurz vor dem Ziel auch nur einen Moment lang damit verschwende, an deinen Harry zu denken? Mir kommen die Tränen. Entweder du unterstützt mich und kommst dabei selbst groß raus, oder du bist überflüssig!"

Langsam erkannte Diana den Ernst der Lage. Panik überkam sie. Hektisch stand sie auf. Rückwärts Schritt für Schritt zur Tür schleichend, hämmerte wieder und wieder der letzte Satz Piaves durch ihren Kopf. Überflüssig sei sie. Überflüssig. In ihr kroch die Angst immer höher. Das Einzige, was sie sagen konnten, war: "Ich will hier raus! Lass mich einfach nur hier raus!"

Piave zeigte sich wenig beeindruckt. Im Gegensatz zu Diana blieb er ruhig. "Diese Option steht nicht zur Auswahl, meine Liebe", erwiderte Piave mit einem schmutzigen Lächeln. Fast gelangweilt zog er einen Revolver aus seiner Hosentasche.

Teil 26, von Sepp Krätz, Wiesn-Wirt

Doch Diana war schneller, sie schlug ihm mit dem Fuß blitzschnell die Waffe aus der Hand und verpasste ihm einen Schlag ans Kinn. Er fiel um wie ein nasser Mehlsack.

Augenblicklich fühlte sie sich stark und unverwundbar und murmelte: "Überflüssig? Ha, das Spiel ist aus, Piave!" Sie hatte es geschafft, Piave lag bewusstlos am Boden.

Jetzt musste sie klug handeln, nur keinen Fehler machen. Wie sollte sie der Polizei klar machen, dass sie und Harry unschuldig waren, wo sie doch jetzt auch noch den Wiesn-Stadtrat bewusstlos geschlagen hatte? Schnell schnappte sie sich seinen Revolver, öffnete die Tür zum Balkon und trat hinaus.

Das Mondlicht und die frische Luft waren wunderbar. Kurz dachte sie an Harry und fragte sich, ob er jetzt wohl bereit wäre, sie in den Leierkasten zu begleiten. Immer musste man ihn um alles dreimal bitten! Sie wurde jäh aus ihren Gedanken gerissen, als sie hörte, wie die Wohnung aufgebrochen wurde.

Ohne zu zögern kletterte sie über die Balustrade und stieg die Feuerleiter hinunter. Gerade noch hörte sie, wie einer der Polizeibeamten sagte: "Sogts amoi, d'Wiesn is aber scho, a wenn der Wiesn-Stadtrat tot is, oder?"

Teil 27, von Peter Gauweiler

Der Wiesn-Stadtrat war nicht nur bewusstlos, sondern tot. Kam der Mörder aus der Jungen Union? In der Frühe des Tages wurde nämlich bekannt, dass ein CSU-Ratsherr unter 35 Jahren den Wiesn-Stadtrat Piave in seinem Amt beerben wollte.

"Oiwei no besser als garnix", soll der Jungpolitiker am Morgen zu einem Rathausreporter über diesen Posten gesagt haben. CSU-Fraktionschef Luis Glücklich wurde alarmiert. Die Regierungszentrale wurde gegen Mittag von Justizminister Schwarz und Innenminister Nürnberger durch Sonderboten informiert.

Als der Bericht später von der Staatskanzlei wieder in den Justizpalast zurückkam, war darauf mit grünem Filzstift geschrieben: "Keine Schonung!!!" Wenig später lief über den Ticker der Agenturen die Meldung, dass Luis Glücklich in einer Presseerklärung alle CSU-Stadträte aufgefordert habe, bis zum Ende des Oktoberfestes ihr Amt ruhen zu lassen.

Teil 28, von Josef Wilfling, Morddezernat der Münchener Kripo

Nur langsam kam Diana zur Ruhe. Keiner der Beamten hatte sie auf der Feuerleiter entdeckt. Ein Triumphgefühl durchströmte ihren Körper, als sie sich das dumme Gesicht von Harry vorstellte, wenn er wegen diverser Morde verurteilt würde. Denn sie würde in ein paar Tagen aussagen und ihr Wissen so einsetzen, dass alles auf ihn als Täter hinwies: Harry, der Mörder von Miss Ohrwaschel aus Kirschblütenland. Harry, der Mörder des usbekischen Miststücks, das so oft unter seinem Waschmaschinenbauch gelegen hatte. Harry, der Möchtegern-Wiesnwirt, der über Leichen ging.

Zärtlich strich Diana über die Rillen der CD, die sie dem Wiesnstadtrat Piave abgenommen hatte. Darauf befanden sich Informationen über alle Spitzbuben, die ihre Ämter zur Mehrung ihres Wohlstandes genutzt hatten. Mit diesen Informationen hätte es Piave beinahe geschafft, auf der Wiesn Schweinshaxen durch Tortellini und Steckerlfisch durch Pizza ersetzen zu lassen.

Piave! Wie raffiniert war sein Plan gewesen, durch einen Öko-Spinner eine Flutwelle auslösen zu lassen, die kurz vor dem Wiesnbeginn die Theresienwiese reinwaschen sollte von allen traditionellen Zelten. Nach dieser Flut hätten seine italienischen Freunde flugs ihre Zelte errichtet, und der Name Piave wäre für alle Zeit mit dem Münchner Oktoberfest verknüpft gewesen.

Jetzt aber war alles gut. Diana besaß die CD, mit deren Hilfe sie künftig alle Pfeifen aus Politik und Wirtschaft nach ihrer eigenen Pfeife würde tanzen lassen. Da horchte Diana auf: Am Gehweg gegenüber posaunte ein Zeitungsjunge die Schlagzeile der SZ heraus: "Harry wegen Mordes festgenommen!" Leichten Fußes eilte Diana über die Straße, um eine Zeitung zu kaufen.

Sie übersah den Leichenwagen, mit dem die sterblichen Überreste des ehrenwerten Wiesnstadtrats Piave in seine Heimat überführt werden sollten. Bremsen quietschten, ein schriller Schrei - und es rollte eine in der Morgensonne blitzende CD durch den Rinnstein und versank in einem Straßengulli. In München aber geht - wie eh und je - bei der Vergabe der Wiesnzelte alles mit rechten Dingen zu.

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