Der Graf von "Unheilig":Nach dem Konzert ins Hospiz

"Unheilig" sind eines der größten deutschen Pop-Phänomene. Der Sänger, der sich Der Graf nennt, redet ungern über sein Privatleben. Nun macht er eine Ausnahme und spricht über den Fluch zu stottern, seine Lieblingsband Rammstein und wie es kam, dass todkranke Menschen ihn zu sich einluden.

Bernhard Blöchl

Der Graf hat einen festen Händedruck, er redet überlegt und wirkt entspannt. Dabei hat der Sänger und Songwriter aus Aachen zwei atemberaubende Jahre hinter sich: "Die große Freiheit", wie sein siebtes Album heißt, schraubte sich zum Bestseller hoch und löste Herbert Grönemeyers "Ö" als jene CD ab, die am längsten auf Platz 1 stand: 23 Wochen. Mit seiner neuen Platte "Lichter der Stadt" treten der Graf und seine Band Unheilig am Samstag open air auf dem Messegelände Riem auf.

Der Graf von "Unheilig": Kein Alkohol, keine Drogen: "Der Graf" ist stolz auf seine Vorbildfunktion.

Kein Alkohol, keine Drogen: "Der Graf" ist stolz auf seine Vorbildfunktion.

(Foto: Erik Weiss)

SZ: Mit "Geboren um zu leben" ist Ihnen 2010 der Durchbruch gelungen. Der Song ist indes mehr als ein Hit: Er wurde zur tröstenden Hymne für leidgeprüfte Menschen stilisiert.

Der Graf: Richtig, "Geboren um zu leben" ist für viele eine positive Lebenshymne geworden. Im Nachhinein kann ich darüber reden, währenddessen mache ich das nicht: Wir haben Anfragen bekommen mit Wünschen kranker Menschen, ob sie mich vor ihrem Tod noch einmal sehen können. Ich bin in Hospize eingeladen worden und musste mir die Frage stellen, ob ich das will. Ich habe mich entschieden, das zu machen, wann immer es geht. Und es ging oft.

Wie liefen diese Besuche ab?

Meistens abends, wenn wir von A nach B fuhren, sind wir um elf noch ins Hospiz und haben ein paar Leute besucht. Ich wusste nicht, was auf mich zukam. Die Leute wollen sich mit dir unterhalten. Die erzählen dir, wie sie ihren letzten Weg planen. Und dann weinst du, und die Familie ist da. Total traurig, und dennoch freut man sich, dass dieser Mensch positiv ist. Die sind alle sehr dankbar.

Wie ordnen Sie diese Erlebnisse ein? Das muss doch total absurd sein: auf der einen Seite die Glitzerwelt des Popstars, auf der anderen Seite dankbare sterbende Menschen?

Das Eine ist das wahre Leben, das Andere ist Schaulaufen. Aber so hart das auch war, es hat mir geholfen, auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben. Dein Weltbild sieht danach ganz anders aus. Das habe ich mir alles von der Seele geschrieben: "Ein guter Weg" ist nichts anderes als die Begleitung, die da passiert ist. All diese Geschichten auf dem neuen Album sind die "Lichter der Stadt", in der ich mich gerade befinde. Ich habe für die Platte mein Leben genommen, was gerade bei mir los war, und habe das lyrisch verarbeitet. Das nahm mir den Druck. Ich muss ehrlich sagen, dass ich Probleme hatte, mit allem klarzukommen. Der Rummel war einfach zu viel.

Bei allem Erfolg gab es stets auch Kritik. Man hat Ihnen Schlagertümelei vorgeworfen, Anbiederung an die Massen und an Rammstein . . .

Super! Das finde ich total toll. Ich persönlich finde die gut, ich bin Rammstein-Fan. Für mich gibt es Rock, Hip-Hop, Pop, Metal - und Rammstein. Das ist für mich eine eigene Musikrichtung.

Die Sie in Songs wie "Herzwerk", "Feuerland" und "Eisenmann" bedienen.

Logisch! Wie geil ist denn das? Wenn mir persönlich der Rammstein-Sound am ehesten gefällt, warum soll ich es anders machen? Schwere Gitarren müssen heutzutage so klingen. Ich hab das denen auch persönlich gesagt, und sie meinten: Wir finden cool, was du machst! Du machst da weiter, wo wir aufhören. Ich weiß aber auch, dass ich es nicht allen recht machen kann. Aber man braucht Ecken und Kanten.

Wie wichtig ist Ihnen Image?

Image ist für mich ein Schutz auf mein Privatleben. Ich glaube daran, dass du Vorbild sein musst. Wenn du in der Öffentlichkeit stehst und deine Nase ins Fernsehen hältst, dann hast du eine Verantwortung. Ich bin da sehr konsequent: Ich trinke keinen Alkohol, nehme keine Drogen. Das hat hier nichts zu suchen, du hast eine Vorbildfunktion. Deswegen darfst du da sein, deshalb machst du Musik und deshalb hast du die Möglichkeit, da oben zu stehen.

Klingt sehr vernünftig. Wann haben Sie das gelernt?

Von Anfang an. Bei uns gibt es totales Alkoholverbot. Hinter der Bühne, während der Tour, während der Show.

"Ich habe als Kind extrem gestottert"

Sie sind bekannt dafür, sich weitestgehend der Öffentlichkeit zu entziehen. "Um sich und Ihre Familie zu schützen", wie Sie sagen. Was geben Sie den Fans dennoch von sich preis, die bekanntlich neugierig sind auf ihren Star, wie steuern Sie das?

Alles, was mit der Musik zu tun hat, kann ich ihnen erzählen. Wenn sie mich fragen: Bist du Vater geworden, weil du ein Lied geschrieben hast wie "Mein Stern"? Dann kann ich sagen: Nein, ich habe keine Kinder. Aber ich habe das für mein Patenkind geschrieben. Ich habe ein Buch verfasst, in dem ich auf 200 Seiten mein Leben aufgeschrieben habe - alles, was mit der Musik passiert. Das ist etwa vor zwei Jahren veröffentlicht worden in einer Auflage von 5000 Stück. Da steht drin, wie ich zur Bundeswehr gegangen bin, um Geld zu verdienen, um mir meine Keyboards zu kaufen. All das kann ich erzählen. Ich habe viel zu erzählen. Die Leute glauben immer nur, ich hätte nichts zu erzählen. Mir geht es nur darum: Was nichts mit meiner Musik zu tun hat, brauche ich nicht auszuplaudern, zum Beispiel, wie mein Wohnzimmer aussieht oder wo ich wohne. Wenn mich jemand fragt, wo ich meine Musikpreise hinstelle, kann ich das erzählen.

Wo stellen Sie Ihre Musikpreise hin?

Die stehen in einer Vitrine, ich habe mir extra eine gemacht. Ich bin stolz darauf, ich zeige sie gerne.

Sie haben regelrecht einen Mythos um Ihre Person aufgebaut, niemand kennt Ihren bürgerlichen Namen. Ist das nicht ein wenig übertrieben?

Ich habe das von Anfang an gemacht. Es gibt viele Namen, die im Internet kursieren, keiner ist bisher bestätigt worden. Ich habe das nie dokumentiert, seit etwa zwölf Jahren. Wahrscheinlich auch, um eine Mystik aufzubauen um den Namen Der Graf. Ich habe immer Angst gehabt, meine Familie, meine Freunde, meine Heimat, mein Nest in die Öffentlichkeit zu zerren. Ich finde das eher abstoßend, wenn ich das bei anderen sehe, wie sie ihre Kinder in die Kamera halten.

Wie sind Sie zur Musik gekommen?

Ich habe als Kind extrem gestottert. Inzwischen kann ich flüssig reden, aber es gibt gute Tage und es gibt schlechte Tage - heute ist ein guter (lacht). Als Kind habe ich alles gemacht, das nicht mit Reden zu tun hatte, weil ich Angst hatte, Hohn zu ernten. Ich habe Sport gemacht, gezeichnet und wollte irgendwann ein Instrument spielen - weil ich da nicht reden musste. Mit einer Orgel fing ich an, mit zwei Manualen, mit Tastatur und Rhythmus. Ich habe Unterricht bekommen, habe Lieder nachgespielt, fing aber bald an, eigene Instrumentalmusik zu spielen.

Wie alt waren Sie da?

Ich war zwölf, als ich die Liebe zur Musik entdeckte. Ich konnte mich ausdrücken und musste nicht reden. Erst 22 Jahre später habe ich zum ersten Mal gesungen.

Unheilig, Support: Andreas Bourani, Staubkind, Samstag, 8.9., 17.30 Uhr, Messefreigelände Riem, München

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