Der Flughafen-Ausbau:Triebwerksgetöse über den Kaffeetassen

Der Lärm der startenden Flugzeuge belastet die Gemeinden im Umkreis des Flughafens schwer - es geht die Angst vor der dritten Startbahn um.

Sabina Dannoura

Freising Kaffee, feiner Streuselkuchen und Herbstsonne: Ein Nachmittag auf der Terrasse von Heidi Kammler lässt keine Wünsche offen. Eigentlich. Wären da nicht diese ständigen Unterbrechungen im Redefluss. Heidi Kammler und ihre Nachbarn beherrschen es allerdings in Perfektion, nach einer halben Minute Pause nahtlos an ihre Gedankengänge wieder anzuknüpfen und das Gespräch wieder aufzunehmen.

Eine halbe Minute - etwa so lange dauert es, bis sich der ärgste Lärm eines über Pulling hinweg donnernden Flugzeugs gelegt hat und sich die Menschen auf der Terrasse wieder verständigen können. Fast im Minutentakt starten die Maschinen an diesem Nachmittag nahe der Ortschaft im Süden von Freising. ,,Des is a schwere'', bemerkt Georg Cischek, lange bevor sich der Jet über den Häusern in den Himmel erhebt. Auch Manfred Beer erkennt am Klang der Triebwerke, um welchen Flugzeugtyp es sich handelt: ,,Die großen Vierstrahligen dröhnen so dumpf.''

Manfred Beer und seine Frau Beatrix Atzinger sorgen sich um die Zukunft ihrer Familie. Wenn die gerade per Gerichtsurteil bestätigte Nachflugregelung mit bis zu 144 Überflügen ausgeschöpft wird und dann noch die dritte Start- und Landebahn dazu kommt, ,,überlegen wir uns ernsthaft wegzuziehen'', sagt die Mutter von drei Kindern im Alter von neun bis 14 Jahren. Urlaub zuhause komme bei dem Krach ohnehin nicht in Betracht. ,,Und wenn ich weg war und wieder heim komme, empfinde ich die Geräuschkulisse einige Tage als besonders schlimm'', berichtet Atzinger. Selbstverständlich sind die Pullinger mit Lärmschutzfenstern und Belüftungsanlagen bedacht worden. In der verrammelten Bude hält es Cischek aber nicht lange aus: ,,Da fühlt man sich wie im Tonstudio - diese unheimliche Stille, wenn kein Geräusch von außen mehr ins Haus dringt.''

Trotz ihrer Klagen haben sich die Dörfler mit dem Nachbar Flughafen arrangiert. ,,Aber nicht abgefunden'', unterstreicht Cischek. Er lebt seit 45 Jahren in Pulling und erinnert sich noch gut an die Zeit vor der Inbetriebnahme des Flughafens im Mai 1992, als ,,noch Ruhe herrschte - und Arbeitsplätze gab es trotzdem genug''.

Darauf weist auch der Freisinger Landrat Manfred Pointner immer wieder hin, wenn er über die wirtschaftliche Bedeutung des Airports für die Region spricht. ,,Es ist ja richtig, dass am Flughafen mehr als 23 000 Menschen beschäftigt sind und sich davon etwa ein Drittel aus den Kreisen Freising und Erding rekrutiert.'' Aber dank eines guten Branchenmixes habe die Region auch vor Eröffnung des Flughafens über eine ausreichende Zahl sicherer Arbeitsplätze verfügt, erinnert er sich.

Laut Statistik der Flughafenbetreiberin FMG entstehen im Erdinger Moos täglich etwa drei Arbeitsplätze. Ein Vorzug, den der Landrat nicht bestreitet. Klar freut er sich, dass der Arbeitsamtbezirk Freising mit 3,4 Prozent deutschlandweit die niedrigste Arbeitslosenquote vorweisen kann. ,,Aber das regionale Ungleichgewicht in Bayern wird noch verstärkt, wenn man mit Gewalt versucht, hier bei uns zusätzliche Jobs zu schaffen'', warnt Pointner. Viele Jobs seien außerdem so schlecht entlohnt, dass die Beschäftigten davon ihren Lebensunterhalt nicht bestreiten könnten und auf Hartz IV oder Wohngeld angewiesen seien. ,,Ich weise immer wieder darauf hin, dass die Steuereinnahmen nicht im Verhältnis zu den Arbeitsplätzen wachsen. Leider.''

Und die indirekten Effekte durch Firmenansiedlungen im Umfeld des Flughafens? Pointner schüttelt den Kopf. ,,Am meisten profitiert haben die Gemeinden um die Landeshauptstadt. Nur ganz wenige Betriebe, etwa Logistik-Unternehmen, kommen zu uns wegen der Nähe zum Flughafen''. Luftfracht-Speditionen oder Hotels entstehen nach seiner Erfahrung innerhalb des Flughafenzaunes. Im Gegenzug seien in Hallbergmoos seit Jahren etliche tausend Quadratmeter Gewerbeflächen nicht zu vermieten.

Manfred Pointner ist in Franzheim im Nachbarlandkreis Erding aufgewachsen. Sein Heimatort verschwand Ende der siebziger Jahre beim Bau des Airports unter einer Start- und Landebahn. Als ,,Flughafengegner'' sieht er sich nicht grundsätzlich. Aber er ist dagegen, ,,wenn ohne Rücksicht auf die Bevölkerung'' der Ausbau des Airports zum internationalen Drehkreuz vorangetrieben wird.

Die Pullinger Kaffeerunde hat sich, was die geplante Erweiterung betrifft, längst eine Meinung gebildet: ,,Da wird ein Bedarf künstlich gepusht, um die dritte Startbahn zu begründen.'' Die Tassen sind leer, bald geht die Sonne unter. Unerwartet ist Ruhe eingekehrt auf der Terrasse von Heidi Kammler. ,,Es könnte hier so schön sein. Die dörfliche Struktur, das Sozialgefüge sind für unsere Kinder ideal'', seufzt Beatrix Atzinger. Und Manfred Beer schwärmt von den ,,traumhaften'' Spaziergänge im Wiesenbrütergebiet Freisinger Moos. ,,Wenn nur die Flugzeuge nicht wären.''

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