Denkmal für verfolgte Homosexuelle:Auf der Rosa Liste der Nazis

Entwurf der Künstlerin für das Denkmal am Oberanger

Die Künstlerin Ulla von Brandenburg hat die Jury mit ihrem Entwurf überzeugt.

(Foto: Grafik: Ulla von Brandenburg)

München bekommt endlich ein Mahnmal zum Gedenken an verfolgte Schwule und Lesben während der NS-Zeit. Ein Bodenmosaik soll ab 2016 an die Opfer erinnern. Damit will die Stadt auch ein modernes Zeichen setzen.

Von Dominik Hutter

Die Luft war längst dünn geworden im nationalsozialistischen München - das war vermutlich allen bewusst, die an diesem Samstagabend in den Gasthof Schwarzfischer an der Dultstraße kamen. Homosexuelle Vereine, in denen man sich traf, Erfahrungen austauschte und auch zur Rechtsberatung kam, waren bereits verboten, es gab nur noch wenige Anlaufpunkte für die Szene. Einer davon war der Schwarzfischer, den vor seiner Emigration auch der Schriftsteller Klaus Mann gelegentlich besucht hatte.

Die Wirtschaft an der Ecke zum Oberanger stand am 20. Oktober 1934 im Zentrum der deutschlandweit ersten, groß angelegten Razzia der Nazis gegen Homosexuelle - zusammen mit dem Arndthof am Glockenbach und diversen einschlägig bekannten Parks, Bedürfnisanstalten oder Privatwohnungen. 145 Männer nahmen die NS-Schergen an diesem Abend fest. "Sie wurden alle auf die Wache in der Ettstraße gebracht", berichtet der Historiker Albert Knoll.

39 Festgenommene musste ins KZ nach Dachau

Dort wurde abgeglichen, ob es sich um "Wiederholungstäter" handelt, also ob die Festgenommenen bereits auf der berüchtigten Rosa Liste verzeichnet waren, einem schon seit der Kaiserzeit existierenden Verzeichnis von Homosexuellen. War das der Fall, drohten "Umerziehungsmaßnahmen". 39 der an diesem Abend Aufgegriffenen mussten für mehrere Wochen ins Konzentrationslager Dachau. Viele wurden auch nach ihrer Freilassung noch jahrelang schikaniert, mussten sich etwa täglich bei der Polizei einen Stempel abholen. "Es herrschte ein permanenter Druck", sagt Knoll, der als Archivar in der KZ-Gedenkstätte Dachau arbeitet.

Denkmal für verfolgte Homosexuelle: Das Gasthaus Schwarzfischer an der Dultstraße war seit den Zwanzigerjahren ein bekannter Szene-Treff für Homosexuelle.

Das Gasthaus Schwarzfischer an der Dultstraße war seit den Zwanzigerjahren ein bekannter Szene-Treff für Homosexuelle.

(Foto: Stadtarchiv München)

Heute befindet sich an der Ecke Dultstraße/Oberanger eine Baustelle. Wo einst der Schwarzfischer stand, wird gerade ein neues Geschäftshaus hochgezogen. Vor diesem wird Thomas Niederbühl wohl auch im nächsten Jahr wieder berichten über den Sachstand des an dieser Stelle geplanten Denkmals für verfolgte Schwule und Lesben - am 20. Oktober, wenn die schwul-lesbische Community der historischen Ereignisse gedenkt. Das tut der Rosa-Liste-Stadtrat Niederbühl schon seit vielen Jahren, übertriebene Eile kann man der Stadt nicht vorwerfen. "Seit Anfang der Nullerjahre haben wir uns immer wieder Gedanken über neue Formen des Erinnerns und Gedenkens gemacht", sagt Niederbühl.

Das Bodenmosaik kostet 50 000 Euro

Zunächst ohne Erfolg, der Stadtrat wollte kein neues Mahnmal. Erst im Jahr 2011 entschied das Rathaus, einen Gestaltungswettbewerb auszuschreiben. Und vergaß dabei, dass an eben jenem Standort auch noch neu gebaut werden sollte - was das Ganze dann noch einmal verzögerte, wie sich FDP-Stadtrat Michael Mattar voller Unverständnis erinnert. Nun aber hat der Stadtrat das Wettbewerbsergebnis offiziell bestätigt. Gewonnen hat die Künstlerin Ulla von Brandenburg, ihr Entwurf soll nach 2016 umgesetzt werden, wenn die Dultstraße zur Fußgängerzone umgestaltet wird. Das Bodenmosaik kostet 50 000 Euro.

Dass alles so lang gedauert hat, hängt auch damit zusammen, dass im Stadtrat lange Zeit abgelehnt wurde, für unterschiedliche Opfergruppen der NS-Diktatur auch unterschiedliche Erinnerungsorte zu schaffen. Weil man sonst die Gruppen auseinanderdividiere und eine Art Konkurrenzkampf entstehen könnte, wer wie und an welcher Stelle gedenken darf. Und weil es keine Inflation der Denkmäler geben solle.

Niederbühl fand diese Gedanken schon immer völlig abwegig. "Da macht man es sich zu einfach", kritisiert er. Immerhin handle es sich um den Wunsch einer großen Bevölkerungsgruppe, die oft übersehen werde, wenn über die Opfer der NS-Zeit diskutiert wird. "Es gab in den letzten Jahrzehnten faktisch ein Ungleichgewicht bei der Fokussierung der Opfergruppen", findet auch Jennifer Becker vom städtischen Kulturreferat. Es bestehe also Aufholbedarf. SPD-Stadtrat Christian Vorländer findet ohnehin, dass es in München ausreichend Platz für Erinnerungsorte gebe. Man müsse jeder einzelnen Opfergruppen den Raum geben, den sie für ein würdiges Gedenken benötige.

Der Entwurf hat einen "Heute-Bezug"

Es gibt aber noch einen anderen Grund, ein separates Mahnmal für verfolgte Schwule und Lesben zu schaffen: die Gegenwart. Der Brandenburg-Entwurf mit seinen vielfarbigen Flächen habe einen eindeutigen "Heute-Bezug", erklärt Becker. Den gesellschaftlichen "Roll-back" in vielen Staaten Europas bekämen gerade auch Homosexuelle zu spüren. Dagegen wolle München ein Zeichen setzen. Tatsächlich war bereits in der Ausschreibung für den Gestaltungswettbewerb von einer "dezidierten Mahnung gegen Intoleranz, Feindseligkeit und Ausgrenzung gegenüber Lesben und Schwulen" die Rede. Und auch die künstlerische Darstellung unterscheide den neuen Erinnerungsort von herkömmlichen Denkmälern.

Entstehen soll ein 70 Quadratmeter großes Bodenmosaik aus vielen knallbunten Flächen. In zweien davon sind kleine Dreiecke eingelassen: ein rosafarbenes für die Schwulen und ein schwarzes für Lesben - diese Zeichen mussten in den Konzentrationslagern getragen werden. Das Kulturreferat wertet die Buntheit als klares Zeichen für eine offene, tolerante und vielfältige Gesellschaft, ein dem Regenbogen der schwul-lesbischen Bewegung vergleichbares Symbol.

"Es gab nie eine Debatte darüber"

Dass das Mahnmal am Boden liegt, hat - anders als bei den Stolpersteinen - diesmal keine Rolle gespielt. "Es gab nie eine Debatte darüber", berichtet Niederbühl. Die schwul-lesbische Gemeinschaft teile die Argumentation der Jüdischen Kultusgemeinde nicht, die sich vor allem auch aus persönlichen Erfahrungen ihrer Vorsitzenden Charlotte Knobloch heraus vehement gegen ein Gedenken auf dem Boden ausspricht.

Auf das Stolperstein-Hearing Anfang Dezember dürfte die Haltung der schwul-lesbischen Community keinen Einfluss haben: Im Stadtrat herrscht Einigkeit darüber, dass die Erfahrungen der unterschiedlichen Opfergruppen auch unterschiedlich bewertet werden müssen. Und vor allem natürlich nicht übergangen werden sollen. Die Entscheidung für ein Bodenmosaik am Oberanger sei "kein Präjudiz für die Stolperstein-Debatte", betont daher SPD-Mann Vorländer. Jede Debatte müsse schon aus Respekt vor den unterschiedlichen Erfahrungen separat geführt werden.

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