Demos gegen Sicherheitskonferenz:Alter Protest, neue Fronten

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Mehrere Tausend Kritiker der Sicherheitskonferenz umzingeln deren Tagungsort. In den traditionell links geprägten Protest reihen sich erstmals auch Rechte ein - sehr zum Unmut der Veranstalter

Von Martin Bernstein, Tobias Dirr, Isabel Meixner und Axinja Weyrauch

Die Münchner Friedensbewegung hatte angekündigt, die Sicherheitskonferenz im Hotel Bayerischer Hof symbolisch zu umzingeln - am Samstag hat sie dies wahr gemacht. Bis zu 3000 Demonstranten (laut Polizei sind es 2500) ziehen vom Stachus über den Odeonsplatz zum Marienplatz, 500 weitere bilden eine Menschenkette durch die Fußgängerzone. Mit Aktionen, fantasievollen Plakaten und Musik machen die Siko-Gegner deutlich, was sie vom Treffen der Politiker, Militärs und Rüstungslobbyisten halten: nämlich nichts. "Wir werden es schaffen - weltweit", so drückt Claus Schreer vom veranstaltenden Aktionsbündnis die Hoffnung der Rüstungsgegner aus. Immer wieder wird in Reden und auf Transparenten auf den Zusammenhang zwischen Krieg und Flucht hingewiesen.

Erstmals wollen sich das auch Trittbrettfahrer vom rechten Rand des politischen Spektrums zunutze machen: Eine Frau hüllt sich in eine blaue Fahne, "Raus aus der Nato" steht darauf. Eigentlich würde sie gut in den Zug der Anti-Siko-Demonstranten passen, wären da nicht Minuten zuvor die Rufe gegen sie und ihre Begleitung gewesen: "Nazis raus!" Denn bei der Frau handelt es sich um keine x-beliebige Gegnerin der Münchner Sicherheitskonferenz, sondern um Kathrin Oertel, ehemals Frontfrau von Pegida. Und so jemanden, das machen die anderen Demonstranten deutlich, wollen sie nicht dabeihaben. Die Veranstalter der Demonstration sprechen gar einen Platzverweis gegen Pegida-Aktivisten aus - das allerdings ist ein symbolischer Akt. Denn solange sich ein Demonstrant an die Regeln der Veranstalter hält, kann er von der Kundgebung nicht ausgeschlossen werden. Und so geht Oertel am Ende des Zuges mit, kaum beachtet. Die offensichtlich beabsichtigte Provokation gelingt den Rechten nicht. Bei der Abschlusskundgebung stehen sie am Rand herum, ein paar Polizisten passen auf, dass die Pegida-Leute den übrigen Demonstranten nicht zu nahe kommen. Und erteilen nach der Versammlung den letzten zwei Pegida-Vertretern tatsächlich noch einen Platzverweis.

Zwischenfälle gibt es an diesem Samstagnachmittag kaum. Bis zum Abend vermeldet die Polizei einen Pfeffersprayeinsatz bei einem Gerangel mit Autonomen aus dem etwa 250 Köpfe starken Schwarzen Block sowie sechs Anzeigen: zweimal wegen verbotener Vermummung, einmal wegen einer Beleidigung, einmal wegen einer "Knüppelfahne" und gegen zwei Personen, die an der engsten Stelle des Zugwegs - in der Residenzstraße - mit Pyrotechnik hantieren. Ein Sprecher der Nürnberger Gruppe "Organisierte Autonomie" fällt auf, als er durch ein Mikrofon den Demonstranten zuruft: "Im Notfall kann man auch auf AfD-Mitglieder schießen. Das würde unsere Rechtslage auch hergeben." Kurz zuvor hat er über Hetze gegen Flüchtlinge gesprochen, so wie sie zum Beispiel von AfD-Chefin Frauke Petry praktiziert werde, die neulich den Einsatz von Schusswaffen gegen Flüchtlinge an Grenzen gefordert hatte. Wer der Sprecher ist, das wollen seine Freunde nach dem Zug nicht sagen, nur so viel: Er heiße Max. Nachnamen würden prinzipiell nicht genannt, für Nachfragen stehe Max nicht zur Verfügung.

Weitere Zusammenstöße bleiben aus, Begegnungen auch: Mit Gedichten, lauter Musik und einem Hupkonzert ziehen die 3000 Demonstranten in Sichtweite am Promenadeplatz vorbei, doch keiner der Konferenzteilnehmer, die dort im Bayerischen Hof tagen, lässt sich am Absperrgitter blicken. Wie gehabt. Premiere hat dagegen die Menschenkette mitten durch die dicht bevölkerte Fußgängerzone. "Wo sollen wir uns einreihen?", fragen zwei ältere Frauen mit regenbogenbunter Pace-Fahne. Ein Demonstrant, umringt von Passanten, läuft suchend umher, findet erst nach kurzer Zeit Anschluss. Zum Marienplatz hin wird die Kette dichter, dort wird es einem vergoldeten Pantomimen zu viel des Trubels, er nimmt es mit Humor: "Ich muss jetzt mal den Platz wechseln."

Von Norden her biegt da der Motorradklub Kuhle Wampe an der Spitze des Demonstrationszugs auf den Marienplatz ein. Unter das Läuten der Kirchturmglocken des Alten Peters mischt sich die Internationale. Die Nato sei ein "Dinosaurier aus dem Kalten Krieg", ruft Rainer Braun von der Kooperation für den Frieden den Demonstranten bei der Abschlusskundgebung zu. "Es gibt keinen Frieden mit der Sicherheitskonferenz."

Diese Haltung ist es, die die Teilnehmer schon am Mittag auf den Stachus getrieben hat. Dort bauen sie einen Zaun mit einer Rolle aus Stacheldraht auf, um gegen die Flüchtlingspolitik vieler EU-Staaten zu demonstrieren. "Reißt die Zäune ein", skandieren sie. Zumindest in diesem Fall erledigt das der Wind. Auch Aufkleber gegen Stuttgart 21 sind zu sehen. Sie demonstrierten seit Jahren gegen den Bau des neuen Bahnhofs, erzählen die Musiker von "Lokomotive Stuttgart". Und jetzt die Siko? Sie sehe da durchaus einen Zusammenhang, erklärt die Band. Sie wolle sich für Frieden weltweit einsetzen. Unter den Demonstranten finden sich auch Künstler der Streetart-Gruppe "Positive propaganda". Sie verteilen rot-weiße Schilder an die Umstehenden, auf denen sie "Make art, not war" fordern. Bei Krieg gehe es immer nur um Ressourcen, sagt Sebastian Pohl, der künstlerische Leiter: "Kunst kann ein Statement für Veränderung sein."

Als Organisator ist auch Claus Schreer dabei, wie all die Jahre seit 2002. "Sie, die im Bayerischen Hof, sind die Hauptverantwortlichen für die weltweiten Flüchtlingsströme. Durch ihre Politik wird die Schere zwischen Arm und Reich immer größer", ruft er von der Bühne aus. Nicht die Flüchtlinge seien das Problem, sondern die Abschottungspolitik Deutschlands und der EU. "Europa ist verantwortlich für das Massensterben im Mittelmeer." Es dürfe keine Auslandseinsätze der Bundeswehr mehr geben: "Wir fordern, dass alle Bombenangriffe in Syrien eingestellt werden. Mehr Krieg dürfen wir nicht hinnehmen." Der Künstler Konstantin Wecker, der sich seit Jahren für Frieden engagiert, fordert: "Kein Fußbreit den Faschisten und Rassisten!" Das Meinungsklima in Deutschland dürfe nicht weiter vergiftet werden: "Europa taumelt dem Abgrund entgegen und droht, faschistisch zu werden."

Vor Beginn der Kundgebung hat der Bericht eines Gießener Bloggers von der Piratenpartei die Polizei kurz aufgeschreckt. Eine Sicherheitslücke bei der Sicherheitskonferenz will der Mann entdeckt haben: Er sei ohne Kontrolle in die Sperrzone gekommen. Doch was sich spektakulär anhört, erweist sich schnell als wenig beunruhigend. Sein Erlebnis hatte der Blogger bereits am Donnerstag - da gab es die Sperrzone noch gar nicht. Nach Kontrollen mit Sprengstoffhunden hat die Polizei am Freitag Punkt 12.13 Uhr offiziell die Sicherheitskonferenz für gesichert erklärt.

Genau 48 Stunden, 313 Eskortenfahrten mit 155 Konferenzteilnehmern der oberen Sicherheitsstufe, 34 Veranstaltungen und elf vorläufige Festnahmen später zieht Münchens Polizeivizepräsident Werner Feiler ein zufriedenes Fazit: "Sie sehen uns lächeln."

© SZ vom 15.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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