Demonstrationen:Zeit, den Feinden des bunten Lebens die Stirn zu bieten

Demonstration in München am Tag des Urteils im NSU-Prozess, 2018

Wer Hass sät und gegen Migranten hetzt: Demonstration in München am Tag des Urteils im NSU-Prozess.

(Foto: Stephan Rumpf)

Die großen Probleme kamen in München immer irgendwie weichgespült an, durch ein Glas Aperol Spritz leuchteten sie orange. Doch jetzt müssen auch die Münchner Farbe bekennen.

Kommentar von Wolfgang Görl

War es nicht jahrzehntelang so, dass die großen gesellschaftlichen Zerwürfnisse in München in einer sonderbar weichgespülten Form ankamen? Oder anders gesagt: Es schien, als würden selbst Riesenprobleme im zauberhaften Licht eines Münchner Sommerabends ganz klein, so dass sie die Lässigkeit, mit der man das Leben in der Stadt zelebrierte, kaum störten. Nicht, dass man die politischen und sonstigen Krisen ignoriert hätte, im Gegenteil. Als Tausende Flüchtlinge am Hauptbahnhof ankamen, waren viele zur Stelle, um zu helfen.

Und wenn den Münchnern etwas nicht passte, dann gingen sie auf die Straße, so wie nach der Atomkatastrophe von Fukushima, als man auf dem Odeonsplatz gegen Kernkraftwerke demonstrierte, wobei etliche Demonstranten im Café Tambosi Platz nahmen und den Protest bei einem Aperol Spritz fortsetzten - ein Moment, der einem ein Lächeln ins Gesicht zauberte. So war München: Halbwegs engagiert, aber nicht so verbissen, dass die schönen Seiten des Lebens aus dem Sinn gerieten. Im Blick durch das Aperol-Glas leuchtete die finstere Welt im sommerfrischen Orange.

Damit ist es jetzt vorbei. Die ersten Zeichen, dass etwas nicht stimmte, kamen in den Tagen, als Markus Söder in allen Ämtern Kreuze aufhängen ließ. Freunde aus Berlin, die damals zu Gast waren, konnten sich nicht mehr einkriegen vor lauter Spott. "Haben wir immer gesagt", feixten sie. "Der natürliche Lebensraum des Bayern ist der Herrgottswinkel." Aber das ließ sich noch mit dem Spruch parieren, im Herrgottswinkel sei man wenigstens vor Berlinern sicher, nur deshalb gibt es ihn ja.

Doch dann kam Seehofers Masterplan-Krawall, Söders Geschwätz vom "Asyltourismus" und eine schamlos betriebene Verrohung der Sprache, die den Eindruck erweckte, als ginge es um die Abwehr von Heuschreckenschwärmen. Wer Hass sät und gegen Migranten hetzt, wird von den Seehofers und Dobrindts dieser Welt mittlerweile mit Verständnis und politischem Entgegenkommen belohnt. Und das in einer Zeit, in der Rechtspopulisten, Autokraten und Trump einer offenen Gesellschaft, die auf humanistischen und, ja, christlichen Werten ruht, den Garaus machen wollen.

Es ist nicht mehr so, dass man die Welt mit einem Blick durch ein Aperol-Spritz-Glas schönfärben kann. Muss auch nicht sein, es gibt sie ja noch die Münchner Sommerabende, die Flirts an der Isar, die Schwulenfeste im Glockenbachviertel und den orientalischen Charme der Landwehrstraße. Aber es gibt auch Leute, die etwas ganz anderes anstreben, einen völkisch strammen Ordnungsstaat, in dem Minderheiten bestenfalls geduldet sind. Sie wollen abschaffen, was eine offene Gesellschaft ausmacht: die Freiheit, so zu leben, wie man will, und zwar für alle Menschen.

Deshalb ist es Zeit, Farbe zu bekennen; Zeit zu zeigen, auf welcher Seite man steht; Zeit, den Feinden des bunten Lebens die Stirn zu bieten. Thomas Mann hat in einer Rede 1926 Münchens "Atmosphäre von heiterer Sinnlichkeit" gerühmt. Es war ein Blick zurück im Zorn, denn diese Atmosphäre war verloren, zerstört von völkisch-nationalistischen Politikern. Zu retten war da nichts mehr. Thomas Manns Mahnung kam zu spät.

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