Vor NSU-Prozess in München:Tausende demonstrieren gegen Naziterror und Rassismus

People hold placards with the names of victims of the NSU terror cell, during a demonstration against fascism and neo-Nazis in Munich

Erinnerung an die Opfer des rechten Terrors: In München demonstrieren Tausende gegen Rassismus.

(Foto: REUTERS)

Gedenken an die Opfer des NSU: Tausende protestieren in der Münchner Innenstadt gegen rechten Terror und machen ihrer Wut über das Oberlandesgericht Luft. Die Polizei nimmt einen Asylbewerber fest - und bringt so die Protestierenden gegen sich auf.

Von Anna Fischhaber

Dreimal schossen sie ihm in den Kopf. Mitten in München. Acht Jahre ist das her, nun tritt die Witwe des griechischen Schlüsselhändlers Theodoros Boulgarides in der Öffentlichkeit auf. Zu sehen ist sie nicht, aus Angst versteckt sie sich hinter einem Transparent. Nur ihre Stimme ist auf dem Stachus zu hören. Erst brüchig, dann immer klarer.

"Wir sind noch immer fassungslos", sagt sie - und meint damit nicht nur den Schock über den Tod ihres Mannes, sondern vor allem die jahrelangen Verdächtigungen, denen die Angehörigen der Opfer ausgesetzt waren. Die rätselhaften Ermittlungen, die ihren Mann plötzlich mit kriminellen Machenschaften in Verbindung brachten. "Wichtig ist, dass man nicht aufhört zu fragen", zitiert sie schließlich Einstein.

Am Mittwoch soll in München der Prozess gegen Beate Zschäpe, die einzige Überlebende des Terror-Trios NSU, beginnen. An diesem Samstagnachmittag haben sich Tausende in der Innenstadt versammelt. Frauen mit Kopftuch, jugendliche Punks, türkische Kommunisten, Autonome und auch ein paar Kommunalpolitiker. Grünenpolitikerin Hanna Sammüller twittert: "Leider muss ich feststellen: Die TeilnehmerInnen der #NoNazi #Demo #München stellen nicht einen Durchschnitt der Gesellschaft dar." Die Polizei spricht von 5500 Teilnehmern unter ihnen 800 Mitglieder des Schwarzen Blocks. Die Veranstalter, ein Bündnis linker Gruppen, zählen 7000 bis 10.000 Demonstranten.

Aufregung um eine Festnahme

"Verfassungsschutz abschaffen" und "München bleibt nazifrei", steht auf einigen Transparenten. Andere halten Schilder mit den Namen der Opfer rechter Gewalt in Deutschland in die Luft. Es ist ein Marsch gegen den NSU, der in München zwei Menschen ermordet hat. Gegen Naziterror, gegen staatlichen und alltäglichen Rassismus. Der Marsch ist mehr als sechs Kilometer lang. Doch als er sich vom Stachus aus in Bewegung setzen soll, gibt es plötzlich kein Weiterkommen mehr.

Die Polizei hat einen Asylbewerber festgenommen. Wegen Verstoßes gegen die Residenzpflicht, teilt ein Redner mit. Der Mann wollte in München an der Demonstration teilnehmen und wurde kontrolliert. "Nazipack", schreien nun einige der Demonstranten in Richtung der 3000 Uniformierten. Schließlich zieht der Zug doch noch los. Ein Polizeisprecher erklärt später, man habe den Mann wieder freigelassen. Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit.

Nun geht es vorbei am Mahnmal für das Oktoberfestattentat. Ein ehemaliger Anhänger der "Wehrsportgruppe Hoffmann" hat dort 13 Menschen ermordet - bis heute gibt es Zweifel, ob er ein Einzeltäter war. Vorbei an der Schillerstraße, wo 1984 bei einem Brandanschlag von Neonazis eine junge Frau ums Leben kam. Vor den zahlreichen türkischen Läden in der Landwehrstraße stehen die Menschen am Straßenrand, manche lächeln verwundert, filmen mit dem Handy den nicht enden wollenden Demonstrationszug. Es ist ein rührendes Bild.

"Das Vertrauen ist tief zerstört."

Seitdem bekannt wurde, dass rechtsextreme Terroristen in Deutschland über Jahre hinweg morden konnten, ist die Unsicherheit in der türkischen Community groß. Auch in München. Hinzu kommt die Verärgerung über das Versagen der Behörden und über das unsensible Verhalten des Münchner Oberlandesgerichts, bei dessen Akkreditierungsverfahren türkische Journalisten leer ausgingen. Dieser Ärger ist auch an diesem Samstag deutlich zu spüren.

Die Opfer des NSU seien nach Deutschland gekommen, um für ihre Familien eine sichere Zukunft aufzubauen. "Aber Deutschland hat es nicht geschafft, sie zu schützen", sagt etwa der Imam der muslimischen Gemeinde von Penzberg, Benjamin Idriz. "Das Vertrauen ist tief zerstört." Dann wettert er gegen das Gericht, das sich hinter seiner Unabhängigkeit versteckt habe. Er sei erleichtert über den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts. Das hat am Freitagabend entschieden, dass das Oberlandesgericht doch noch Plätze für türkische Medien reservieren muss. Auch andere Redner stellen dem Gericht ein "Armutszeugnis" aus.

Doch es geht an diesem Nachmittag eben nicht nur um den NSU, sondern auch um alltäglichen Rassismus. "Mitten in München findet derzeit die größte Hetzkampagne gegen Muslime seit dem Zweiten Weltkrieg statt", warnt Benjamin Idriz - und meint damit die Auftritte der Partei Die Freiheit. Einen Tag zuvor hatte das bayerische Innenministerium die rechtspopulistischen Partei von Michael Stürzenberger als extremistisch - und damit verfassungsfeindlich - eingestuft.

An diesem Samstag allerdings, während Tausende in München gegen Rassismus demonstrieren, steht der Freiheit-Chef wieder am Orleansplatz und verbreitet seine Thesen.

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