Demonstration:Die Münchner stehen zusammen für Toleranz

Die Demo hat durch den Berliner Anschlag unerwartete Aktualität bekommen. Vor der Staatsoper solidarisieren sich Tausende mit Terroropfern, mit Flüchtlingen - und sie warnen vor einer Spaltung der Gesellschaft.

Von Franz Kotteder

Von wo die jungen Riederinger herkommen, das war nicht schwer herauszufinden: Aus dem bayerischen Oberland natürlich, genauer vom Chiemsee. Mit dem "Marsch der Steirer" eröffneten die Volksmusikanten bei klirrender Kälte die Demo mit dem schönen Motto: "Wir sind alle von wo", zu der das Flüchtlingshilfsprojekt Bellevue di Monaco exakt zwei Jahre nach der großen Münchner Anti-Pegida-Demo auf dem Max-Joseph-Platz vor der Staatsoper aufgerufen hatte. Damals waren es an die 15 000 Münchner gewesen, die dem Aufruf folgten. An diesem Donnerstagabend kamen bis zu 5000 nach Veranstalterangaben. Die Polizei zählte 2000 Personen auf dem Platz.

Am Thema aber hat sich wenig geändert. Wie schon vor zwei Jahren zeigten Staatsoper und Residenztheater ihre Unterstützung durch große Transparente. Die Staatsoper etwa flaggte zwischen den Säulen des Portikus groß die drei Begriffe "Humanität", "Respekt" und "Vielfalt". Der Anschlag vom Montag in Berlin hatte allerdings den zweiten Teil des Veranstaltungsmottos - "Angst? Sicher ned!" - eine unerwartete neue Aktualität gegeben.

Kulturveranstalter Till Hofmann und Matthias Weinzierl vom Bayerischen Flüchtlingsrat betonten dann auch, dass es darum gehe, sich nicht einschüchtern zu lassen. "Wir leben in traurigen Zeiten", sagte Matthias Weinzierl, "und es gibt Menschen, die hier vor Angst kaum noch existieren können." Das seien die afghanischen Flüchtlinge, die jetzt ständig in der Gefahr lebten, abgeschoben zu werden. "Wer behauptet, in Afghanistan gebe es sichere Gegenden, der lügt!"

Zuvor hatten Volkstheater-Intendant Christian Stückl und Schauspieler Maximilian Brückner dazu aufgerufen, "zu zeigen, dass München bunt ist". Mit Anschlägen wie in Berlin versuchten ein paar wenige, die Menschen zu spalten, das dürfe nicht gelingen. Stückl: "Wir dürfen uns keine Angst eintreiben lassen, von niemandem!"

CSU-Stadtrat Marian Offman, der als Vertreter der Israelitischen Kultusgemeinde eingeladen war, sprach davon, "dass mich die Ereignisse vom Montag fast in eine Depression getrieben haben". Zu den westlichen Werten der Freiheit und Liberalität gehöre auch, "dass Flüchtlinge nicht in Generalhaft genommen werden dürfen". Offman bedankte sich ausdrücklich "bei den Sicherheitskräften für ihren Einsatz gegen den Terrorismus". Statt der von ihm erwarteten Pfiffe gab es deutlichen Applaus aus dem Publikum.

Hajer Dhahri vom Muslimrat erhielt für ihren ähnlich emotionalen Beitrag ebenso kräftigen Applaus. Sie wolle sich gegen den Hass stellen, der uns spalten solle. Die Freiheit aller stehe auf dem Spiel, es gehe nicht nur um die Muslime im Land. "Es geht um Perverse", sagte sie, "die sich an Eskalation aufgeilen, weil sie davon profitieren." Alle müssten nun für Menschen einstehen und Wächter der Demokratie werden, denn: "Wir dürfen die Politiker nicht allein ihrem Schicksal überlassen."

Sätze des Abends

Maximilian Brückner, Schauspieler: "Bayern ist bunt. Auch wenn wir Tracht haben, sind die meisten Leute nicht engstirnig." Über den Anschlag von Berlin: "Wir wollen nicht zulassen, dass ein paar Leute das Land spalten wollen."

Christian Stückl, Intendant des Volkstheaters: "Wir dürfen uns keine Angst eintreiben lassen."

Stephan Lessenich, Soziologe an der LMU: "Als ich vor zwei Jahren nach München kam, hatte ich meine Vorurteile: zu reich, zu satt, zu lodenfesch. Auf der anderen Seite hat mich diese Stadt von Anfang an überrascht, wie wir vor zwei Jahren hier standen, um gemeinsam einzustehen gegen Pegida, Rassismus und Hetze. Wir müssen uns unmissverständlicher dafür einsetzen, wofür wir hier heute stehen. Ich bin in den vergangenen zwei Jahren hier angekommen in München mit vielen Tausend anderen. Aber Ankommen ist nur der erste Schritt, Aufbrechen ist der nächste." Jassin Akhlaqi von Jugend ohne Grenzen, einer der ersten Bewohner von Bellevue di Monaco: "Ich verstehe nicht, warum es Abschiebungen nach Afghanistan gibt. Warum behaupten Politiker, Afghanistan sei sicher, wenn sie sich selber dort mit Helm und Schutzweste nicht sicher fühlen?"

Günther Sigl von der Spider Murphy Gang: "Was wär' München ohne unsere Italiener? Wir würden jeden Tag a saures Lüngerl kriegen."

Marian Offman, CSU-Stadtrat und Vertreter der Israelitischen Kultusgemeinde: "Die Pegidaparolen gegen Ausländer und Juden bestürzen mich. Dass so etwas offen auf den Straßen meiner Heimatstadt zu hören ist, hätte ich vor zehn Jahren nie gedacht."

Florian von Brunn, SPD-Landtagsabgeordneter: "Wer diese Anschläge jetzt politisch ausnützt, liefert den Populisten in die Hände, wer die Humanität für mehr Sicherheit hinten anstellen will, macht etwas falsch."

sz

Das hörten die anwesenden Politiker sicher gern. Aus dem Stadtrat waren neben Offman auch der ehemalige bayerische Kulturminister Wolfgang Heubisch (FDP) und Wolfgang Zeilnhofer-Rath (HUT) vertreten, aus der grünen Landtagsfraktion sah man Claudia Stamm und Katharina Schulze in der ersten Reihe. Auf der Bühne forderte Grünen-Stadtrat Dominik Krause für die Initiative "München ist bunt" ein entschiedenes Vorgehen gegen Pegida in der Stadt, die sich inzwischen offen als Neonazis gerierten. Man müsse sich auch gegen das neue bayerische Integrationsgesetz wehren, es sei "ein Rückfall in jene düsteren Zeiten, als man in Begriffen der Blutsverwandtschaft aller Deutschen dachte".

Ähnlich griff der Landtagsabgeordnete Florian von Brunn (SPD) die Staatsregierung an: "Wer die Situation jetzt ausnützt, verkennt die moralische Mitverantwortung, die wir auch für das haben, was jetzt in Syrien stattfindet. Man darf über die aktuellen Geschehnisse nicht die Fluchtursachen verdrängen."

Auch der Soziologieprofessor Stephan Lessenich, der seit zwei Jahren an der Ludwig-Maximilians-Universität lehrt, äußerte sich deutlich: "Nur einen Steinwurf entfernt von hier gibt es Menschen in höchsten Staatsämtern von einer politischen Verantwortungslosigkeit, die nur bedrückend genannt werden kann." Diejenigen, die anderer Meinung seien in der Stadt, müssten "lauter, drängender, frecher" werden. München sei eine Stadt, "die viele Städte ist: reich und arm, verschlossen und offen, rechts und links".

Manchmal finden sich diese verschiedenen Städte und Personen auch auf einem Platz zusammen. Während eine marxistisch-leninistische Splitterpartei beim Taxistand die rote Fahne schwenkte, wippten auf der Treppe zum Nationaltheater reifere Damen zu den Klängen der Indie-Band Candelilla. Ebenso wie später, als Willy Astor mit Barney Murphy und Günter Sigl von der Spider Murphy Gang aus deren Hit "Schickeria" mal eben "Schick a Rührei" macht. Und auch Flüchtlinge sind ja nicht immer so, wie man sie zu kennen glaubt, erklären zwischendrin Weinzierl und Hofmann am Beispiel des afghanischen Musikers Ahmad Shakib Pouya, der lange Zeit abgeschoben werden sollte und erst an diesem Donnerstag am Flughafen erfuhr, dass er vorerst doch in Deutschland bleiben darf. "Pouya hat sogar schon im Polizeiorchester gespielt", rief Till Hofmann, "der ist wirklich sehr integriert!"

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