Debüt:Dieser Film soll der Mafia in München ein Gesicht geben

Mafiafilm "Tarantella" über Ndrangheta in München

Nuno-Miguel Wong (links) und Matthias Ziegler drehen ihren ersten längeren Spielfilm: ein Familiendrama im Münchner Mafiamilieu.

(Foto: Matthias Ziegler/ Nuno-Miguel Wong)

Er spielt in einem Milieu, das viele Münchner lieber ignorieren: die italienische Baumafia. Dafür haben die Filmemacher mit Mitgliedern der 'Ndrangheta gesprochen.

Von Elisa Britzelmeier

Nuno-Miguel Wong redet gern über seinen Film, nur in italienischen Restaurants tut er das lieber nicht mehr. Da war dieses eine Mal: ein Italiener in München, ein Essen, Wong unterhielt sich mit einer Freundin über sein Projekt. Er will einen Spielfilm drehen, es soll um zwei Brüder gehen, um Familie, Loyalität. Und um die Mafia. Nach einer Weile setzte sich ein junger Mann an den Nachbartisch, vielleicht Anfang 20, allein, so erzählt Wong das jedenfalls. Irgendwann hörte er, wie der Nachbar telefonierte, auf Italienisch, den Blick auf den Boden gerichtet. Er sprach offenbar über Wong und seine Begleitung - und beschrieb das Aussehen der beiden detailliert, bis hin zur Marke ihrer Schuhe. War das eine Warnung? Wong weiß es nicht. Er zahlte, bar, und verließ das Lokal.

Das Gespräch mit Nuno-Miguel Wong und Matthias Ziegler findet also nicht bei einem Italiener statt, sondern in einem Café. Der Regisseur und sein Produzent, beide 26, haben gerade einen ersten Trailer veröffentlicht. "Tarantella" soll der Film heißen, es ist ihr erster längerer Spielfilm. Ziegler schrieb während der gemeinsamen Arbeit am Drehbuch parallel seine Bachelorarbeit. Inzwischen studiert er an der Hochschule für Fernsehen und Film (HFF), momentan eher "nebenbei", wie er sagt. Wong hat einen Abschluss in Bildhauerei an der Akademie der bildenden Künste, das Filmedrehen geht er autodidaktisch an. Bei "Tarantella" führt er Regie, und er schrieb die erste Fassung des Buchs - nach monatelangen Recherchen.

Die Handlung spielt im Umfeld der kalabrischen 'Ndrangheta in München und ihren Verstrickungen in der Bauwirtschaft. Antonio, Anfang 30, ist kurz davor, innerhalb der Mafia aufzusteigen. Dann macht sein Bruder einen groben Fehler - und Antonio bekommt den Auftrag, ihn zu töten. Sonst stirbt er selbst. Er entscheidet sich gegen die eigene Familie und für die Loyalität zum Mafia-Oberhaupt. Doch dann muss er mit den Folgen leben - der Zuschauer begleitet ihn dabei, so beschreiben Wong und Ziegler ihr Projekt.

Den beiden ist es wichtig, dass sie nicht einfach einen Mafiafilm produzieren, "sondern ein Film über Menschen in der Mafia". Ihr Anliegen sei kein politisches. Es soll eine Charakterstudie werden: Was bringt einen Mafioso zum Aussteigen? Warum macht er weiter?

Wong hat für seinen Film viel recherchiert, in Büchern und Artikeln, und in Gesprächen mit Ermittlern und Mafiosi, sagt er. Die Idee für den zentralen Konflikt - eigene Familie gegen Mafia-Gehorsam - bekam er durch ein Gespräch mit einem aktiven hochrangigen 'Ndrangheta-Mitglied. Über einen Kontakt in die Mafia-Szene hatte er den Mann kennengelernt. Dreimal versetzte der Mafioso ihn, dann klappte es mit einem Treffen. In einem Lokal in München redeten sie vier Stunden lang. Und Wongs Interviewpartner erzählte, wie er selbst aufgefordert wurde, seinen Bruder wegen dessen Fehlverhalten zu töten, als Loyalitätsbeweis.

Die Deutschen haben Angst, als Rassisten zu gelten

Mit der Idee bewarben Wong und Ziegler sich für die Nachwuchsförderung des Film-Fernseh-Fonds Bayern, im April 2016 bekamen sie die Zusage. Ein großer Filmausrüster stellt ihnen sämtliche Kameras und Objektive, ein Autohersteller die Fahrzeuge. Den Rest versucht das Team über Crowdfunding zusammenzubekommen. Zwischen zwanzig und dreißig Leute sind sie an einem Drehtag. Regisseur und Produzent sprechen selbst kein Italienisch - aber ihre Schauspieler sollten so authentisch wie möglich sein: Der eine ist ursprünglich Sizilianer, der andere hat eine kalabresische Mutter.

Mafiafilm "Tarantella" über Ndrangheta in München

Szene aus "Tarantella": Antonio (Andreas Wilke) und Domenico (Gianfranco Licandro, rechts).

(Foto: Kamera: Felix Pflieger)

Ursprünglich wollte Wong ein Familiendrama schreiben. Aber als er einen Artikel über die Mafiamorde von Duisburg las, ging ihm auf, dass die 'Ndrangheta das ideale Umfeld für einen derartigen Konflikt war. Die Organisation erschien ihm spannender als die in Deutschland besser bekannte sizilianische Cosa Nostra oder die neapolitanische Camorra. Vor allem, weil die 'Ndrangheta als besonders reich an Kultur gilt. Daher auch der Filmtitel "Tarantella": Der Tanz nimmt in ihren Ritualen eine besondere Rolle ein.

Und es war eben auch die 'Ndrangheta, die in Duisburg mordete und damit wenigstens ein bisschen ins Bewusstsein der Deutschen rückte. Dass die organisierte Kriminalität auch in Deutschland aktiv ist, haben Mafia-Experten wie Roberto Saviano oder die Journalistin Petra Reski immer wieder betont. Trotzdem ist es vielen nicht bewusst - zu gern denkt man bei Italien an gutes Essen, Kultur und viel Sonne. Gerade in München. Matthias Ziegler sieht allerdings nicht unbedingt übertriebene Italienliebe als Grund dafür, dass die meisten den Zusammenhang zwischen der Mafia und Deutschland lieber ignorieren. "Duisburg war die einzige Ausnahme, sonst agieren Mafiosi sehr verdeckt. Und so lange es niemand sofort sehen kann, will es auch niemand sehen", sagt er. Nuno-Miguel Wong hat eine weitere Vermutung: "Die Deutschen haben Angst, des Rassismus bezichtigt zu werden." Deswegen wolle niemand im Italiener sofort den Mafioso sehen. "Das ist auch gut so, anders wäre es falsch. Aber die Mafia macht sich das zu Nutze."

Es ist bei "Tarantella" nicht das erste Mal, dass die Mafia in Deutschland in der Fiktion sichtbar wird - in der zweiten Staffel der italienischen Serie "Gomorrha" wurde kurzzeitig Köln zum Schauplatz. Überhaupt, angesichts der Fülle an Mafiafilmen - von "Scarface" über "Der Pate" bis zu "Goodfellas" - dürfte es für die Debütfilmer schwierig werden, nicht in Klischees zu verfallen. Deswegen haben sie sich während des Drehbuchschreibens ein striktes Mafiafilm-Schauverbot auferlegt.

Die andere Frage ist: Wie entkommt man dem Dilemma, dass ein solcher Film immer auch Gefahr läuft, die Mafia zu idealisieren? Es sei schwer, Empathie aufzubauen zu ihren Figuren, sagt Wong. "Mein Interviewpartner hat mir gesagt: 'Ich weiß, dass ich böse Dinge tue'. Und in diesem Bewusstsein lebt auch unser Protagonist."

Sieben Minuten von "Tarantella" sind bereits gedreht. Im Frühjahr 2018 soll der Film fertig werden.

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