Debatte im Stadtrat:Die Angst in der Unterkunft

Bayerns erste Flüchtlingsunterkunft nur für Frauen und Kinder eröffnet in München, 2016

Katrin Bahr von Condrobs (li.) und Einrichtungsleiterin Sophia Berthuet in der ersten Unterkunft für geflüchtete Frauen.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Weibliche Flüchtlinge, die allein nach Deutschland kommen, fühlen sich häufig von Bewohnern und Wachleuten bedroht. Einrichtungen nur für sie sind aber bisher die Ausnahme

Von Silke Lode

Sie sind nach Deutschland gekommen, um Schutz zu suchen, doch was viele geflüchtete Frauen in den Flüchtlingsunterkünften erleben, ist "sehr große Angst". Nachzulesen ist dies in einer Stadtratsvorlage, die kommenden Dienstag von den Sozialpolitikern im Rathaus diskutiert wird. Grundlage ist eine Befragung von weiblichen Flüchtlingen. Drei Punkte werden dabei immer wieder genannt: Die Frauen haben Angst vor den Männern in den Unterkünften - auch weil die Zimmer oft nachts nicht abschließbar sind. Sie haben Angst vor Übergriffen in Küchen und Sanitärräumen. Und vor den Wachdiensten, weil sie die Rolle und Befugnisse der Securityleute nicht kennen.

Nun gibt es zwar immer wieder Berichte über sexuelle Übergriffe in Gemeinschaftsunterkünften, aber keine Zahlen. Handlungsbedarf sehen trotzdem fast alle, die mit dem Thema befasst sind. "Die meisten Frauen, die alleine kommen, sind schwer traumatisiert", sagt Katrin Bahr von Condrobs. Sie berichtet von Frauen, die sich nachts nicht auf die Toilette trauen und den dunklen, langen Weg auch ihren Kindern verbieten. Andere wollen sich nicht alleine duschen, wenn vor der Tür ein Wachmann sitzt, der weiß, dass eine einzelne Frau sich gerade hinter der Tür auszieht. "Für eine schwer traumatisierte Frau ist das zu viel - und traumatisiert sind fast alle Frauen, die alleine nach Deutschland kommen", sagt Bahr. Oft haben sie Zwangsverheiratungen oder häusliche Gewalt in die Flucht getrieben, unterwegs erfahren laut Bahr die meisten Alleinreisenden Gewalt. "Sie müssen häufig mit ihrem Körper bezahlen: den Schlepper, am Checkpoint, für eine Flasche Wasser." In München gab es bislang nur ein spezielles Frauen-Wohnprojekt, im Lehel, betreut von Imma, der Initiative für Münchner Mädchen . Seit ein paar Monaten nun betreibt Condrobs gemeinsam mit der Frauenhilfe und ProFamilia in Ramersdorf die bayernweit erste reguläre Flüchtlingsunterkunft nur für Frauen. Doch Bahr, die das Projekt managt, weiß auch, dass der Bedarf sehr viel größer ist: Die 60 Plätze waren sofort besetzt, es gibt so gut wie keine Fluktuation - aber ständig neue Anfragen.

Auch die Grünen-Stadträtin Gülseren Demirel ist froh, dass es "endlich eine Unterkunft für Frauen" gibt. "Wir haben mehrmals bei der Regierung von Oberbayern moniert, dass wir Frauenunterkünfte brauchen", sagt Demirel. "Aber wir sind immer auf taube Ohren gestoßen." Auch Verena Dietl (SPD) sagt, dass die Stadt schon viel früher eine Frauenunterkunft eröffnen wollte, zunächst aber an der Bezirksregierung gescheitert sei: "Bei der neuen Frauenunterkunft in Ramersdorf ist die Genehmigung nachträglich erteilt worden." Die Regierung von Oberbayern betont ihrerseits, in ihren Einrichtungen möglichst auf eigene Gebäude oder zumindest separate Stockwerke für Familien und alleinreisende Frauen zu achten. Wo kein ganzes Gebäude reserviert werden könne, würden die Frauen, wenn möglich, in andere Unterkünfte gebracht.

Jenseits der räumlichen Probleme fordern Sozialpolitiker wie Demirel, Dietl, Brigitte Wolff (Linke) oder Marian Offman (CSU) auch Verbesserungen bei der Betreuung. 480 000 Euro für Personal will der Stadtrat am Dienstag für verschiedene soziale Träger beschließen, die mit geflüchteten Frauen arbeiten. Auch das Projekt im Lehel steht vor der Erweiterung. "Wir werden das mittragen", kündigt Offman an. "Wir tun alles, um traumatisierten Frauen zu helfen."

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