"Debate Club" in München:Beifall für Gentrifizierung

"Debate Club" in München: Über Gentrifizierung diskutieren Sträter, Marschall und Heisler vom No!-Team sowie Müller, Guratzsch und Vollrath vom Yes!-Team (v. li.).

Über Gentrifizierung diskutieren Sträter, Marschall und Heisler vom No!-Team sowie Müller, Guratzsch und Vollrath vom Yes!-Team (v. li.).

(Foto: Robert Haas)
  • Im "Debate Club" in München diskutieren zwei Teams, ob Gentrifizierung gut ist für München.
  • Am Ende überzeugt das Team "Yes!" das Publikum.

Von Gerhard Matzig

Am Ende ist es Dankwart Guratzsch, ein Journalist, der den Pokal in die Höhe reißt. So euphorisch, als habe sein Debatten-Team "Yes!" gerade die Fußball-WM für sich entschieden. Gegen die drei anderen Redner vom Team "No!". Guratzsch wirkt so freudig überrascht, als kämen er und seine beiden Mitstreiter aus Bhutan. Das befindet sich auf dem letzten Platz der Fifa-Weltrangliste. Die Nein-Leute wären in diesem Fall Deutschland, das sich als amtierender Weltmeister von einem Zwerg düpieren lässt.

Wie immer ist es ganz groß, wenn Zwerge über Riesen triumphieren - nur dass die Zwerge in diesem Fall die Frage "Ist Gentrifizierung gut für München?" mit Ja beantworten. Und damit nicht Gelächter ernten, sondern den Sieg einfahren. Zur allgemeinen Verblüffung gewinnen sie eine Rede-Schlacht, die der "Debate Club" in München angezettelt hat. Somit wird es natürlich erst richtig interessant. Wenn nicht irre.

Wie verrückt muss man sein, um das zu bejahen?

Es ist also gut für München und andere Ballungszentren mit vergleichbaren Problemen, wenn ganze Bevölkerungsschichten verdrängt werden? Wenn sich Mieter die luxussanierten Wohnungen nicht mehr leisten können, wenn alte Menschen entwurzelt werden, wenn junge keine Bleibe finden, und wenn auf Dauer die Zerstörung des gesellschaftlichen Gefüges inmitten der Stadtzentren in Kauf genommen wird? Es ist gut, wenn sich Superreiche im Lehel einen Drittwohnsitz anschaffen, um die Gated-Community-Adresse steuerlich geltend zu machen? Wie verrückt muss man sein, um das zu bejahen? Und doch siegt das Ja-Team über die Nein-Gruppe. Und zwar - rhetorisch! - zu Recht. Unfassbar.

Andererseits: Kann man eindrucksvoller die Macht des Wortes (und die Abgründe der Rhetorik) demonstrieren an diesem Abend im Debate Club voller junger Menschen? Möglicherweise ist der Wahnsinn ja auch kein Wahnsinn, sondern eine Sternstunde der Demokratie - bedeutsam für eine Zeit, da Partizipation und gesellschaftliche Teilhabe eingefordert werden, was letztlich die Befähigung zu Kontroverse, Diskussion und Debatte voraussetzt. Die Gabe der freien Rede, das Talent zum Austausch von Argumenten. Deshalb simuliert der Debate Club "parlamentarische Debatten im Stil der britischen Debatings". Diesmal zum zehnten Mal.

Das Publikum wird vorab befragt

Im Mediaworks-Zentrum messen sich zwei dreiköpfige Teams nach allen Regeln der Rhetorik. Vorab wird das Publikum im Studio befragt, ob denn die Gentrifizierung gut sei für München. Das erwartbare Ergebnis: 77 Prozent der Zuschauer sagen Nein. Auf keinen Fall. Gentrifizierung ist schlecht. 60 Minuten später, die Schlacht der Redner und ihrer Argumente ist zu Ende, hat die Mehrheit ihre Meinung geändert. Nun sagen 58 Prozent: Ja, Gentrifizierung sei schon eine tolle Sache. Nur noch 42 Prozent meinen: Nein.

Das eben ist die Kunst der Rhetorik. Die Lehre daraus: Was falsch und was richtig ist, hängt auch davon ab, wer es wann, wie und wo überzeugend als falsch oder richtig verkauft. Demokratie ist noch keine Garantie für Wahrheit.

Interessanterweise ist der verblüffende Erfolg des Yes!-Teams gerade auch Benjamin Vollrath zu verdanken. Der ist Medienjurist und somit nicht wirklich nah am Thema. Aber rhetorisch ist er überzeugend: knackig, deutlich, thetisch stringent, punktgenau und immer in der Zeit. Denn wer die Redezeit (mal 60, mal 120 Sekunden) überzieht, wird von einer blechernen Hupe niedergetrötet. Das passiert im Lager der Nein-Sager leider dem Urbanisten und Soziologen Detlev Sträter, und zwar immer dann, wenn er klarstellen will, dass Gentrifizierung nicht gleichzusetzen sei mit dem natürlichen Wandel. Trööööt. Man leidet mit, weil er es einfach nicht schafft, sein Wissen zu vermitteln.

Gentrifizierung

Die Gentrifizierung hat eine steile Karriere hinter sich. Vor wenigen Jahren war das Wort nur Fachleuten ein Begriff, die wussten, dass es von "gentry" abgeleitet ist, vom niederen, englischen Adel. Heute spricht jeder von Gentrifizierung, der die Veränderung von Stadtviertel beschreiben will: Je mehr saniert sind, je schicker ein Quartier wird, desto höher werden die Mieten, desto mehr Menschen aus ihrer angestammten Umgebung vertrieben. "Aufwertung" nennt die Immobilienbranche diesen Prozess euphemistisch. "Gentrifizierung" nennt ihn der Kritiker, und das ist dann weder wissenschaftlich noch positiv gemeint. Die klassische Karriere solcher Quartiere geht so: Studenten und Künstler suchen sich in heruntergekommenen Gegenden eine günstige Bleibe, szenige Läden eröffnen, das Viertel wird in. Das lockt finanzkräftige Investoren an, die Platz für Besserverdiener schaffen. Alteingesessene ziehen weg.beka

Eine Debatten-Runde heißt "Nahkampf"

Besser gelingt das seinem Teampartner Maximilian Heisler vom "Bündnis Bezahlbares Wohnen". Vor allem hat er einen guten Trick parat: Allgemeinen Schicksalen gibt er ein Gesicht und einen Namen. Zum Beispiel ist es dann die "95-jährige Nachbarin, Frau Müller, die jetzt bald ausziehen muss, weil das Haus energetisch ertüchtigt wird, sie sich aber dann die Miete nicht mehr leisten kann - was machen wir denn mit ihr?" Die Frage richtet sich, in einer Debatten-Runde, die "Nahkampf" heißt, an Benjamin Vollrath, der sie schließlich so frostig wie nur möglich beantwortet: Es gebe ja nun mal "kein Grundrecht" auf billige, schöne Altbauwohnungen im Zentrum. Überhaupt spricht Vollrath von vielen Dingen, die eigentlich Gift sind: von der drohenden Enteignung der Vermieter, von Hausbesitzern, die eben nicht zuständig seien für Sozialfälle, vom Wandel, der eben dynamisch sei - und vom Stillstand, der tödlich sei für Städte. Gift ist das insofern, da sich die meisten Menschen in dauerbeschleunigten Zeiten etwas tödlichen Stillstand herbeisehnen, um den Turbowandel überleben zu können.

Aber Vollrath ist deutlich. Sogar explizit. Konsequent. Und er spricht klar und deutlich. Auch wenn später eine Frau aus dem Publikum sagen wird, dass er nerve, "dieser Anwalt", so scheint er dies auf überzeugende Weise getan zu haben. Er hat das "Ja, aber" vermieden, Differenziertheit ist manchmal die eigentliche Falle. Leider. Vollrath tappt nicht hinein.

Außerdem ist das Yes!-Team besser als Mannschaft. Der Immobilienentwickler Ralph P. Müller erhält immer wieder Sympathiebekundungen aus dem Publikum, wenn er letztlich den Staat verantwortlich macht, weil die Politik in Städten wie München zu wenig Bauland ausweise. Das kommt gut an, geht es doch gegen "die da oben". Und Guratzsch, der gebürtige Dresdner, vermittelt überzeugend seine Begeisterung für 40 000 Menschen, die seit der Wende wieder in die Stadt Leipzig gezogen seien.

Seit wann sind Debatten fair?

Eine Voraussetzung für diese "Renaissance der Stadt" sei die Sanierung gewesen. Die DDR-übliche Enteignung von Grundbesitz und die kollektive Verwaltung hätten dagegen triste Gespensterstädte entstehen lassen. Das sitzt. Zusammen mit Vollraths dynamischem Plädoyer für die Dynamik von Veränderung kann ein eher jugendlich-dynamisches Publikum letztlich gewonnen werden. Die andere Seite wirkt dagegen statisch, unbeweglich, nicht nach vorne gerichtet, sondern den Status quo verteidigend. Das ist keine faire Beurteilung, natürlich nicht, aber seit wann sind Debatten fair?

Da stellt sich natürlich die Frage, ob die komplexeren Probleme unserer Zeit überhaupt debattentauglich sind. Läuft unsere Demokratie im Kern auf eine Stimmungsdemokratie hinaus? Während man sich noch benommen von der mitreißenden, vorbildlichen und paradoxerweise genauso fragwürdigen Debatte zur Rosenheimer Straße zurückkämpft aus dem Mediaworks-Zentrum, liest man ein paar Firmenschilder in dem aufgehübschten Komplex der alten Konen-Textilfabrik. Man liest "Brainwaves", "Airmotion", "Smartbrand Communication" - und denkt: Wer euch wohl mal verdrängen wird? Vielleicht werden es ja Startups aus Bhutan sein.

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