Datenschutz-Grundverordnung:Münchner Händler und ihre Angst vor professionellen Abmahnern

Datenschutz-Grundverordnung: Koschere Produkte nur noch direkt zu kaufen: Zeev Vilf hat seinen Online-Handel wegen der neuen Datenschutzgrundverordnung aufgegeben.

Koschere Produkte nur noch direkt zu kaufen: Zeev Vilf hat seinen Online-Handel wegen der neuen Datenschutzgrundverordnung aufgegeben.

(Foto: Stephan Rumpf)

Erste Anwaltskanzleien versuchen schon, mit fragwürdigen Methoden abzukassieren. Mancher schließt seinen Online-Shop da lieber gleich.

Von Pia Ratzesberger

Zeev Vilf hat seinen Laden jetzt dichtgemacht. Also nicht den mit der kleinen Fleischtheke und den vielen Regalen, in die er gerade ein Dutzend Packungen Hummus einsortiert. Sondern den im Internet. "Das ist sicherer" sagt Vilf und zieht einen Brief hervor, den viele Unternehmer in der Stadt in diesen Wochen fürchten. Ein Schreiben von einem Verbraucherschutzverein, eine Abmahnung, am 24. April 2018 versandt. Etwa ein Monat bevor die neue Datenschutzgrundverordnung endgültig in Kraft getreten ist - wegen der hat Zeev Vilf seinen Internetshop jetzt geschlossen.

Die Datenschutz-Grundverordnung oder kurz DSGVO hat einen komplizierten Namen, ihr Ziel aber ist es zu vereinfachen, in allen Ländern der Europäischen Union sollen durch sie die gleichen Regeln gelten. Die Daten jedes Einzelnen sollen besser geschützt sein, Firmen müssen detailliert offenlegen, wozu sie Daten ihrer Kunden verwenden. Wer gegen die Verordnung verstößt, dem drohen hohe Strafen. In elf Kapiteln und 99 Artikeln finden sich Worte wie "Angemessenheitsbeschluss" und "Durchführungsrechtsakte", große Unternehmen haben Abteilungen voller Juristen, die wissen, was das bedeutet und was zu tun ist. Kleine Firmen aber haben die nicht.

Viele Unternehmerinnen und Unternehmer in der Stadt haben sich in den vergangenen Wochen mit kaum etwas anderem beschäftigt als mit der DSGVO. Zwar war die Verordnung schon vor zwei Jahren in Kraft getreten, doch nun ist auch die letzte Frist verstrichen, seit dem 25. Mai müssen die Regeln umgesetzt sein. Eine Zeit lang war das meistverkaufte Buch bei Amazon "Erste Hilfe zur Datenschutz-Grundverordnung für Unternehmen und Vereine: Das Sofortmaßnahmen-Paket" vom Landesamt für Datenschutzaufsicht.

Zeev Vilf hat seine ganz eigene Sofortmaßnahme gefunden. Der Unternehmer trägt ein Poloshirt und Stoffhose, er ist 71 Jahre alt, sieht jünger aus als er ist, gerade etikettiert er neue Ware. Hummus Pikant für 3,20 Euro, Hummus Zaatar für 3,20 Euro. Er hat seinen kleinen Laden mit koscheren Produkten vor 28 Jahren eröffnet, damals in Giesing, mittlerweile verkauft er in Haidhausen. Es gibt in München kaum Läden mit koscheren Produkten und so hat er sich eine kleine, doch treue Kundschaft aufgebaut, auch im Online-Shop. Aber dann war da dieser Brief. Die Abmahnung bezog sich noch nicht auf die DSGVO, sondern unter anderem auf das Telemediengesetz. Vilf habe in einem Formular des Online-Shops kein "anerkanntes Verschlüsselungsverfahren" verwendet, darum solle er eine Unterlassungserklärung unterzeichnen, steht etwa in dem Schreiben - bei weiteren Verstößen drohten Bußgelder in Höhe von Tausenden Euro.

Vilf fürchtet, dass er mit der neuen DSGVO noch mehr solcher Abmahnungen erhalten würde. Mit denen sollen sich Firmen eigentlich gegen Mitbewerber wehren können, die gegen das Wettbewerbsrecht verstoßen, es gibt aber auch Anwaltskanzleien und Vereine, die sich auf solche Abmahnungen spezialisiert haben - und denen es weniger ums Recht geht als ums Geld.

Warum mahnt ein Beauty-Salon aus Hamburg einen Friseur in München ab?

Bei der kleinen Firma Hairconnect zum Beispiel ist erst in der vergangenen Woche eine Abmahnung eingegangen, unter diesem Namen managt Peter Beier zwei Friseursalons in der Stadt, in der Maxvorstadt und in Moosach. In dem Schreiben steht, dass er gegen die DSGVO verstoßen habe, weil die Datenschutzhinweise auf seiner Webseite "nicht an geeigneter Stelle" stünden. Auch er wird aufgefordert, eine Unterlassungserklärung zu unterschreiben, bei jedem Verstoß habe er 2500 Euro zu zahlen - und unabhängig davon die Kosten der Beauftragung der Kanzlei in Höhe von mehr als 700 Euro.

Die Sache ist nur: Die Kanzlei aus Augsburg gibt an, mit der Abmahnung die Interessen einer Mandantin in Hamburg zu vertreten. Warum aber sollte ein Beauty-Salon aus Hamburg einen Friseur in München abmahnen? "Beide haben ja nur lokale Angebote", sagt Babette Klaer, Münchner Fachanwältin für gewerblichen Schutz. Es sei nicht einmal klar, ob Beier überhaupt gegen die DSGVO verstoßen habe. Und sie frage sich schon, sagt Klaer, warum die Frau selbst kein Impressum auf ihrer Seite habe. Ruft man bei dem Beautysalon an, will sich die Frau nicht äußern. Sie spreche nur über die Kanzlei in Augsburg.

Hört man sich bei Münchner Kleinunternehmern um, sagen ausnahmslos alle, dass ihnen die Datenschutz-Grundverordnung viel Arbeit mache, mit seinem Namen allerdings will kaum einer in der Zeitung stehen. Zu groß sind die Bedenken, jemand könnte auf den Onlineshop aufmerksam werden und dass man dann erst recht Post kriegen könnte. Die DSGVO sei doch eigentlich dazu gedacht gewesen, dass die großen Konzerne mit den sensiblen Daten ihrer Kunden verantwortungsvoller umgehen, sagt Zeev Vilf in seinem Laden. "Aber gerade trifft es vor allem die Kleinen." Wenn seine Kunden außerhalb Münchens bei ihm bestellen wollen, schreiben sie ihm jetzt eine Mail, rufen ihn an. Für ihn, sagt Vilf, habe die DSGVO nichts vereinfacht.

Bei der Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern heißt es, viele Unternehmer seien "total aufgeschmissen". Und eines der größten Probleme sei, dass so viele die Verordnung nicht verstünden, nicht nur wegen der juristischen Fachtermini. Erst diese Woche fragte ein Unternehmer nach, was der Datenschutz mit Keksen zu tun habe. "Wissen wir auch nicht", sagte die Datenschutzbeauftragte der IHK. Es klärte sich: Der Unternehmer meinte die neuen Regeln für Cookies. Kleine Dateien, die Informationen über Nutzer speichern, wenn sie auf eine Webseite gehen, heißen Cookies. Auf Deutsch Keks.

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