"Das ist hier wie eine Galerie":Wie gemalt

Beim Urban-Art-Festival "Deadline" im Viehhof sprayen 25 Künstler vor Publikum beeindruckende Graffiti

Von Sabine Buchwald

Am Samstagnachmittag - der Soundmacher im hinteren Teil des Geländes hatte sich gerade für Jean-Michel Jarre entschieden - streckte die Hebebühne ihren Arm noch einmal aus. Knapp zehn Meter hoch brachte sie den Sprayer mit dem Strohhut. Das Bild unter ihm an der Gebäudewand im Viehhof war fertig. Wie das Tüpfelchen auf dem i aber fehlte der Name seiner Gruppe: City Slickaz. Das steht nun in abgesetzten Lettern über dem Werk, das in Gelb, Orange, Rot gehalten und farblich ein Knaller ist. Es gibt viel in ihm zu entdecken. Die vier City Slickaz, (von City Slickers, übersetzt Großstädter), stammen aus München und haben sich in ihm verewigt. Innen mit Selbstporträts, kreisförmig drum herum mit ihren Namen. Kaum zu dechiffrieren. Optisch aber vielleicht die eindrücklichste Arbeit auf der 1200 Quadratmeter großen Gesamtfläche, die beim Urban-Art-Festival "Deadline" zur Verfügung stand. Eine völlig subjektive Wertung, die für einen anderen Betrachter schon nicht mehr stimmt.

Es ist nur eines von zwölf großformatigen Werken, die von 25 Künstlern am vergangenen Samstag und Sonntag gestaltet wurden. Sie geben der vormals schäbigen Fassade der ehemaligen Stallungen Farbe und werde in diesem Jahr die Kulisse sein für das Open-Air-Kino und den Biergarten im Viehhof. Das Gute daran: Man kann sie noch eine ganze Weile in Ruhe betrachten. Wer es wagt, die Arbeiten zu übersprayen, bekommt es mit den Veranstaltern zu tun. "Da fällt der Watschnbaum um, wie man in Bayern sagt", erklärt Michael Gmeiner ernst. Er ist einer der Designer der Münchner Gruppe Graphism, die das Festival initiiert und sich mit einem grünen, springenden Rindviech künstlerisch ausgetobt hat. Franz Marc in Übergröße.

Das Innere des Viehhofs an der Tumblingerstraße sei kein öffentliches Gelände wie die äußere Sprayer-Mauer. "Das hier ist eher wie eine Galerie." Also Finger weg von den Dosen. Gemeiner zerdrückt am Sonntagvormittag leere Pizza- und Spraydosen-Schachteln und schiebt sie in Müllsäcke. Fast meditativ bereitet er sich so auf den zweiten Festivaltag vor.

Noch sind nicht alle Bilder fertig. Bert aus Weimar arbeitet gerade an seiner zweiten U-Bahn, die plastisch aus der Wand kommt. Seit 20 Jahren mache er solche New Yorker Metros, sagt er. "Ich kann gar nichts anderes." Man glaubt es ihm kaum, aber sein Perfektionismus erstaunt. Er nimmt sich Zeit dafür, die Deadline ist schließlich erst Sonntagabend.

Den Künstlern zuschauen zu können, wie ein großes Stück Spraykunst entsteht, das war eines der Anliegen der Veranstalter. Es gab kaum Vorgaben für die Teilnehmer. Sie durften die Farben vorher ordern, bekamen eine dreistellige Dosenanzahl gestellt und Streichfarbe für die Grundierung. "Wir wollten Leuten, die sonst nicht mit Straßenkunst in Berührung kommen, zeigen, wie wir arbeiten", sagt Gmeiner. Nämlich nicht heimlich nachts, mit einer Mütze über dem Kopf, sondern mit Vorzeichnung und Gelassenheit. Ihr Medium ist die Spraydose. Dennoch spricht Gmeiner nicht gerne von Graffiti-Kunst in diesem Zusammenhang, sondern von Wandgestaltung und Design. Er verdient längst seinen Lebensunterhalt damit.

Die Veranstalter zeigten sich sehr zufrieden mit dem Verlauf des Wochenendes. Das Festival war ein beiden Tagen gut besucht. Unprätentiös, mal nicht umgeben von zig Fressständen, konnte man das Hebebühnen-Ballett vor den zwölf Arbeiten beobachten. Die Sprayer von Graphism gehören zu den etablierten der Münchner Szene, wie etwa auch Loomit und die Crew von Buntlack. Deren Arbeit in der hinteren Ecke des Viehhofs beispielsweise ist eine Hommage an die klassischen Graffiti der Achtzigerjahre. Dass sich das Genre weiterentwickelt hat, dass aus der Ego-Kunst ein Gruppen-Gesamtwerk werden kann, ist nun zu sehen: ein Zwerg im Gummiboot von Woodland neben organischen, urwaldartigen Formen von Horst und Jeroo.

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