Start-ups:Wo sich München neu erfindet

Gründerzentrum "Werk 1 " in München, 2016

Hinterm Ostbahnhof, wo sich einst die Pfanni-Werke befanden, haben sich im Werk 1 ganz viele Gründer angesiedelt.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

In Hinterhöfen und alten Fabriken entsteht die vernetzte Stadt von morgen: mit Autos, Ampeln und Energienetzen, die miteinander reden.

Essay von Ulrich Schäfer

Natürlich haben sie in München dumm geguckt, als sich die Berliner im vorigen Sommer in Schwabing breitmachten. Ein Pop-up-Store in einem leer stehenden Ladenlokal. Dort warben die Wirtschaftsförderer von Berlin Partner um Münchner Start-ups. Normalerweise macht man das nicht: auf dem Boden einer fremden Stadt offensiv um deren Firmen werben. Aber sie haben im Münchner Rathaus nichts gesagt und wohl bloß gedacht: Wenn die das schon nötig haben ...!

In München verfolgt man einen anderen, nicht so offensiven Kurs. Mia san digital, klar! Aber man posaunt es nicht ständig in die Welt hinaus: So lautet die Haltung an der Isar. Aber auch die Münchner Lokalpolitik hat, später als in Berlin, inzwischen begriffen: Wir müssen uns um die Gründer kümmern. Aber nicht nur um sie.

Man kann darüber zum Beispiel mit Josef Schmid reden, dem Zweiten Bürgermeister. Seine Partei, die CSU, hat bei der Kommunalwahl 2014 mehr Stimmen geholt als die SPD, er aber bei der Direktwahl des Oberbürgermeisters deutlich weniger als sein sozialdemokratischer Gegner Dieter Reiter. Seither regiert eine große Koalition, und seither leitet Schmid, ein gelernter Rechtsanwalt, auch das Wirtschaftsreferat: "Die Start-ups", sagt er, "sind meine Hauptaufgabe. Ich habe die ganz am Anfang gefragt: Was braucht Ihr? Und versuche seither, möglichst viel davon umzusetzen."

Das ist in mehrfacher Hinsicht eine bemerkenswerte Aussage, denn Münchens Wirtschaft ist ja eigentlich von den ganz großen, etablierten Unternehmen geprägt, von BMW, Siemens oder Allianz; oder auch von Knorr-Bremse oder Osram. Während Berlin mit dem Slogan "Arm, aber sexy" um Aufmerksamkeit heischt (und Zehntausende von Kreativen angelockt hat), lehnt man sich im satten München eher zurück, nach dem Motto: "Alt, aber erfolgreich".

Exorbitante Mieten, verstopfte Straßen - und jetzt auch noch Start-ups?

Schmids Aussage ist noch aus einem anderen Grund bemerkenswert: Denn bislang hat sich der Gedanke, dass München auch eine Start-up-Stadt sein könnte (und in Teilen sogar ist), im Bewusstsein der Menschen in Haidhausen oder Sendling noch nicht festgesetzt. Vielleicht ist das aus Sicht von Schmid auch ganz gut so (um einen anderen Satz aus Berlin zu zitieren): Denn viele Bürger tun sich ja ohnehin mit dem Wachstum der Stadt schwer, sie hadern mit exorbitanten Mieten, verstopften Straßen und überlasteten S-Bahnen.

Braucht es da noch die Start-ups? Braucht es da noch die Kreativen in den Hinterhöfen, in alten Fabriken? Ja, sagt Josef Schmid. Denn die Gründer sollen einen Teil der Ideen und Produkte entwickeln, die alte Traditionsfirmen so dringend brauchen, um auch künftig zu bestehen. Hinterm Ostbahnhof, wo sich einst die Pfanni-Werke befanden und demnächst ein Konzertsaal, haben sich im Werk 1 ganz viele Gründer aus dem Bereich der Versicherungen angesiedelt; gemeinsam mit den etablierten Anbietern aus München arbeiten sie an neuen Apps und völlig neuartigen Versicherungsmodellen.

"Bei uns sitzt mehr Geld, und bei uns sitzen die etablierten Unternehmen"

Mehrere Gegenden in München gebe es inzwischen, sagt Schmid, in denen die Start-ups sich ballen - meist dort, wo früher Industriekonzerne zu Hause waren, etwa auf dem ehemaligen Gelände der Zigarettenfabrik Philipp Morris in Mittersendling, oder demnächst auf einem ehemaligen Kasernengelände an der Dachauer Straße, Schmids liebstem Objekt, weil sich dort so schön erklären lässt, was Kommunalpolitik bewirken kann.

Im Kreativquartier, beschlossen noch unter der rot-grünen Vorgängerregierung, werden nicht bloß Wohnungen und Ateliers entstehen, sondern auch mehr als 40 Start-ups einziehen, alle aus dem Bereich Smart City. Sie sollen Lösungen entwickeln, um die vernetzte Stadt von morgen zu schaffen: mit Autos und Straßenbahnen, Laternen, Ampeln und Energienetzen, die über das Internet miteinander reden; und mit digitalen Diensten, die das Leben leichter machen.

Draußen in Freiham, am westlichen Stadtrand, entsteht derweil das Pendant: ein ganz neues Stadtviertel für 25 000 Einwohner. Mittendrin acht Mobilitätsstationen, an denen man von Bus oder U-Bahn aufs E-Bike oder E-Auto umsteigen kann. Hier sollen die Start-ups aus dem Kreativquartier ihre Produkte testen und anwenden können. Unterstützt wird all das von etablierten Münchner Firmen wie BMW oder Siemens. Von Vorteil ist zudem, dass die großen amerikanischen Internetkonzerne fast alle große Niederlassungen in München haben: Google und Amazon, Salesforce, IBM und Microsoft.

Was Schmid besonders stolz macht: 44 Bewerber aus ganz Europa haben sich bei der EU um Fördermittel für die Smart City beworben; nur drei wurden bedacht: nicht Berlin, dafür aber München, das sich gemäß der Wettbewerbsregeln gemeinsam mit zwei anderen Städten beworben hatte, mit Lyon und Wien.

All das zeigt: Wer die Digitalisierung in Deutschland voranbringen will, braucht nicht unbedingt einen Bundesdigitalminister. Sondern ganz viele Digital-Bürgermeister, die in den Kommunen die Dinge voranbringen. Auch im Wettbewerb mit anderen Städten, so wie es München, Berlin und anderswo nun geschieht.

Und wer liegt am Ende vorn? In Berlin, das weiß auch Schmid, gibt es immer noch sehr viel mehr Start-ups als in München. Aber an der Isar habe man zwei andere Stärken: "Bei uns sitzt mehr Geld, und bei uns sitzen die etablierten Unternehmen, deren Nähe die Gründer brauchen, um zu wachsen." Aber hat nicht München auch einen großen Nachteil, die hohen Mieten? Ja, gewiss, gibt der Zweite Bürgermeister zu. "Umso mehr müssen wir unsere anderen Stärken ausspielen." Und dann fügt er, gar nicht mehr leise, hinzu: "Wir wollen mit München bei der Digitalisierung zur Spitze in Europa gehören. Und liegen schon jetzt vor Berlin."

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