"Dance": Tanzfestival in München:Der Blick zurück erklärt das Heute

Hiphop, Fontane und Japan: "Dance", das Festival für zeitgenössischen Tanz, erschließt diesmal "Gegenwelten".

Katja Schneider

Vor zwanzig Jahren war die Welt eine andere, auch im Tanz. Das Tanztheater, zuvorderst das von Pina Bausch, war etabliert und prägte die Ästhetik von Tanz und Theater. In der freien Szene brodelte es. In Belgien, da tat sich was! Anne Teresa De Keersmaeker unterfütterte mit ihrer Kompanie Rosas den Minimal-Dance mit Erotik. Wim Vandekeybus sorgte mit seiner Kompanie Ultima Vez dafür, dass auch hierzulande kein Tänzer, der was auf sich hielt, die Bühne ohne Knieschützer betrat.

"Dance": Tanzfestival in München: Knapp zwanzig Choreographinnen und Choreographen präsentiert das Hauptprogramm.

Knapp zwanzig Choreographinnen und Choreographen präsentiert das Hauptprogramm.

(Foto: Foto: Andrew Lang)

Wenn heute das Festival "Dance 2008" beginnt, dann spielt die Vergangenheit eine wesentliche Rolle. Nicht nur, weil Kuratorin Bettina Wagner-Bergelt schon für die beiden ersten Festivalausgaben in den Jahren 1987 und 1989 verantwortlich zeichnete, sondern auch, weil ihr historisches Bewusstsein wichtig ist. Deshalb hat sie zum Beispiel Ultima Vez eingeladen, die vor 21Jahren bereits dabei waren.

Zehn "Dance"-Ausgaben später reflektiert Vandekeybus mit dem Stück "Spiegel" seine eigene Arbeit. Auch Rosemary Butcher, die beim Festival "Episodes of Flight" uraufführt, und Deborah Hay, deren Arbeiten für Europa von William Forsythe entdeckt wurden, haben eine lange Geschichte und sind zugleich radikal. Und "rabiat", wie Wagner-Bergelt betont: "Sie haben wie Forsythe und VA Wölfl einen rabiaten ästhetischen Anspruch an ihre Kunst und gehen sich nicht selbst auf den Leim".

Ungehorsam, Widerstand im Tanz

"Gegenwelten" heißt das Motto der elften städtischen Tanzbiennale, und die Kuratorin wird nicht müde zu erklären, was sie darunter versteht. "Ich habe mich mit dem Begriff lange beschäftigt. Letztlich haben meine Kinder mich angeregt, mich damit zu befassen, wie man es schafft, in Alternativen zu denken, und sich nicht damit begnügt, dass das Bestehende das Richtige ist." Ihr gefällt das Projekt des Münchner Choreographen Stefan Dreher, der in "Ausgenommen die Hunde" mit dem Prinzip des "open content" arbeitet und sich an der Idee der "sozialen Plastik" von Joseph Beuys orientiert.

Ungehorsam, Widerstand im Tanz ist sein Thema, dafür kann sich die stellvertretende Direktorin des Bayerischen Staatsballetts, das mit dem Festival kooperiert und das Gastspiel von Nacho Duatos Compañia Nacional de Danza präsentiert, begeistern: "In der Rezeption von Tanz ist es oft leicht zu sagen, das ist aber schön getanzt, bei Malerei sagt niemand, das ist aber schön gemalt." Schönheit, sagt sie, sei kein Kriterium für die Tanzkunst, sondern für Kunstgewerbe.

Wagner-Bergelt interessiert sich für die Übergänge von Bewegung und Sprache wie bei Hay oder in dem preisgekrönten Stück "While We Were Holding It Together" der Niederländerin Ivana Müller und bei Wendy Houstoun, die nach ihrer Arbeit mit DV8 Physical Theatre, Tim Etchells und Forced Entertainment seit einiger Zeit Soloprojekte erarbeitet. Die niederländische Künstlerin Marjoleine Boonstra fasziniert sie mit ihren Doku-Fiktionen, in denen sie sich mit traumatisierten Menschen beschäftigt, sie zum Sprechen bringt und dabei filmt. "Das ist Bewegung im ganz anderen Sinn", sagt Wagner-Bergelt. Und so ganz anders als die medialen Experimente der amerikanischen Bridgman/Packer Dance, von Chris Ziegler oder dem Duo Wilhelm Groener aus Berlin.

Angebot für Kinder und Jugendliche

Einen Schwerpunkt bildet das Angebot für Kinder und Jugendliche, das sich nicht nur in der Kooperation von "Dance" und der Schauburg erschöpft, die schon seit einer Woche Tag für Tag Bewegungstheater präsentiert. Aus Italien kommt das italienische Ensemble tpo, das Kinder in den "Japanischen Garten" einlädt. Bruno Beltrão und seine Grupo de Rua de Niterói aus Brasilien bringen Hip-Hop auf die Bühne.

Knapp zwanzig Choreographinnen und Choreographen präsentiert das Hauptprogramm von "Dance 2008", darunter auch ein Stück von William Forsythe, getanzt vom Tanz-Theater München im Staatstheater am Gärtnerplatz; und doch bleibt für Bettina Wagner-Bergelt, die bereits die Option für das Festival 2010 hat, eine schmerzliche Lücke im Programm: Wie 1987 hätte auch diesmal Forsythe mit seiner Kompanie das Festival eröffnen sollen. Dazu jedoch fehlte das Geld.

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