Dagobert-Konzert in München:"Lass unsre Kinder deine Schönheit erben"

Sänger Dagobert.

"Bist du auch so verliiiiiiiebt?": Schnulzensänger Dagobert.

(Foto: Buback Tonträger GmbH Hamburg)

Ganz knapp am Kitsch vorbei: Der Berliner Indie-Musiker Dagobert blödelt nicht herum wie ein Alexander Marcus. Er meint die Schlager-Phrasen ernst. Bei seinem Auftritt in München legt er sich mit einem Zuschauer an - und hat eine einzigartige Nebelmaschine dabei.

Von Kathleen Hildebrand

Aus der Nebelmaschine zischt noch eine Dosis Nebel mit Pina Colada-Geruch, dann steigt der Schnulzensänger Dagobert die zehn Stufen zur kleinen Bühne des Milla herab. Etwas krumm, mit perfekt gegelten Haaren, aus denen sich auch am Ende des Abends keines gelöst haben wird.

Es ist nicht alles so, wie man es erwartet auf diesem Konzert von Dagobert, dem Berliner Indie-Schlager-Phänomen aus der Schweiz. Den Frack aus seinen You-Tube-Videos trägt er nicht, sondern einen grauen Onesie, um den Hals eine schwarze Werther-Binde. Und statt schwärmerischer Hornbrillen-Mädchen stehen gruppenweise junge Männer im Publikum, manche mit Wollmützen, ein paar mit Basecaps und sehr weiten Hosen, als hätten sie sich auf Hip Hop gefreut.

Sie bekommen aber "Schnulzen", wie Dagobert seine Lieder nennt. Er singt von Liebe und spielenden Kindern im Garten, er singt: "Ich liebe dich ganz lange schon/Doch du hast leider nichts davon", "Bist du auch so verliiiiiiiebt?" und: "Frauen sind zum Heiraten da". Seine eingängigen Lalalas schreit er so unverstellt laut hinaus, wie man das nur von Heintje kennt, von Caterina Valente und Nana Mouskouri. Zwischen den Liedern lässt er gern unvermittelt und schroff das Mikrofon fallen, so als verunglückte Divengeste, bis es ganz verbeult ist.

Dagobert macht keine Witze. Er meint das postironisch

Viele der Publikumsjungs halten das alles für Ironie. Sie lachen laut, wenn er von einem zehn Jahre währenden Verlöbnis singt, und grölen die schlagertauglichen Ohrwurm-Refrains mit. Dabei ist ja gerade seine Ehrlichkeit so rührend und neu an diesem Musiker. Seine Liedtexte schrammen immer ganz knapp am Kitsch vorbei, weil Dagobert die Scorpions und Flippers so genau gehört hat, die Wahrhaftigkeit aus ihren Schlagerphrasen schält und sie ganz einfach ernst nimmt. Das erhebt ihn über jede Alexander-Marcus-Blödelei. Dagobert inszeniert sich sorgfältig, aber er macht keine Witze. Er meint das postironisch.

Um die, die noch in der verkrampft-verschämten Ironie festhängen, kümmert er sich nicht. Er steht da, entrückt in seiner alienhaften Schönheit, und schaut über das Publikum hinweg zu einem Punkt am Ende des Club-Kellers. "Ich bin hier nicht zu Haus/ich bleibe nicht mehr lange hier" singt er über die Erde. Man glaubt ihm sofort. Dabei zeigt er bei jedem zweiten "du", und Dagobert singt oft "du", routiniert mit seinen langen dünnen Fingern ins Publikum. Das ist keine Kontaktaufnahme, das ist nur ein melancholisches Schlagersängergesten-Zitat.

Nur einmal, da watscht er einen der Ironiker ab. Nach einem seiner neuen Lieder, einem Percussion-Disco-Stück namens "Du bei mir mit ner Dose Bier", das ziemlich aus seinem Schnulzenrepertoire herausfällt und vielleicht auch für seinen eigenen Geschmack zu weit in der Ironie-Ecke verortet ist ("mein persönlicher Wiesn-Hit"), fragt Dagobert ins Publikum, ob es das denn gut fand - oder eher blöd? "Ich glaub du wirst das nicht mehr lange spielen, weil das nicht zu dir passt" sagt einer aus der ersten Reihe. "Aha, dann weiß ich ja jetzt Bescheid", erwidert Dagobert tonlos. Und als der Zuhörer zum nächsten Tipp anhebt: "Halt die Fresse!"

Aber gleich steigt er mit Schlagerstarlächeln die Stufen von der Bühne herab und reicht dem Beleidigten die Hand, alles ist wieder gut, die Harmonie ist wieder hergestellt, das nächste Liebeslied kann kommen. "Ich will ein Kind von dir/ Denn du bist viel zu schön, um auszusterben/Lass unsre Kinder deine Schönheit erben." Wenn wir alle Unsicherheiten fahren ließen, dann könnten wir sein wie Dagobert. Aber dann hätte er immer noch die einzige Nebelmaschine der Welt mit Pina Colada-Geruch.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: