Zukunft MD-Gelände in Dachau:"Wir hoffen immer noch, dass es kein Pyrrhussieg war"

Die Architekten Verena und Klaus Trojan haben den Ideenwettbewerb für das MD-Gelände gewonnen.Im Interview erläutern sie ihre Vorstellungen für Dachau.

Von Viktoria Großmann, Dachau

Verena und Klaus Trojan lieben schiefe Winkel. Die Architekten, sie Jahrgang 1945, er Jahrgang 1942, gewannen mit ihrem Entwurf 2008 den städtebaulichen Wettbewerb für das MD-Gelände. Meistens sind sie bei Ausschreibungen allerdings selbst die Juroren. Mit ihrem Darmstädter Büro sind sie an Projekten im In- und Ausland beteiligt, etwa an der Hamburger Hafen-City. Einer ihrer Mentoren ist Günther Behnisch, Architekt des Münchner Olympiageländes mit seinen Zeltdächern - und auch des Josef-Effner-Gymnasiums. Auch Alvar Aalto, den finnischen Architekten und Designer der berühmten unrunden Vase, schätzen sie sehr. Fließende Linien und wechselnde Perspektiven wollen sie auch im neuen Mühlbachviertel schaffen. Ein Gespräch über die Schönheit von Industrieruinen, lebendige Straßen und Dächer.

SZ: Hamburg, Hannover, Helsinki - und nun ausgerechnet Dachau. Was reizt Sie an einer vergleichsweise kleinen Stadt?

Klaus Trojan: Es geht uns nicht darum, ob wir für eine große oder kleine Stadt arbeiten. Es sind vorrangig die Aufgaben, die uns interessieren. In Dachau war es die außergewöhnliche Herausforderung, für ein so großes, kompaktes Industrieareal in unmittelbarer Nachbarschaft zur historischen Altstadt das Zukunftsbild für ein lebendiges, modernes und zugleich atmosphärisches Stadtquartier zu entwickeln. Wir haben uns seinerzeit sehr über die Einladung zu diesem hochkarätigen Wettbewerb gefreut und natürlich auch darüber, aus diesem Verfahren als Sieger hervorzugehen. Und wir hoffen immer noch, dass es kein Pyrrhussieg war.

Dachau MD-Gelände ehemalige Papierfabrik Skizzen

Eine etwas ältere Zeichnung aus dem Entstehungsprozess zeigt das Gelände von der Erich-Ollenhauer-Straße aus betrachtet.

(Foto: Trojan und Partner Architekten)

Verena Trojan: Und Sie können sich auch vorstellen, dass wir uns dann 2012, also fünf Jahre später, wiederum gefreut haben, als wir erfuhren, dass die finnischen Grundstückseigentümer in einer eigens gegründeten Dachau Entwicklungsgesellschaft das Projekt nach unseren Plänen realisieren wollen.

Wie beschreiben Sie Ihre Idee?

Klaus Trojan: Unser Ziel war, das bisher industriell geprägte, dicht gebaute und für die Öffentlichkeit geschlossene MD-Areal zu einem grünen Stadtteil zu entwickeln, der sich mit den umgebenden Stadtgebieten und Naturräumen vernetzt und sich strukturell wie funktional in unterschiedliche Quartiere gliedert: das Mühlenforum mit seinen Versorgungs-, Freizeit- und Kultureinrichtungen als Ergänzung, nicht als Konkurrenz zur Altstadt. Das lärmabschirmende, spindelförmige Mischgebiet für Arbeiten und Wohnen entlang der Bahn sowie die beiden reinen Wohnquartiere beidseits der Ostenstraße. Der aufgestaute Mühlbach mit seinem terrassierten Wasserplatz sowie ein durchgehender Nord-Süd-Grünzug sind die strukturgebenden Elemente des neuen Stadtteils. Seine besondere Identität erfährt das Quartier durch die landschaftliche Einbindung, durch das Mühlenforum mit seiner Wasserplatz-Inszenierung und die Einbeziehung der denkmalgeschützten Industriebauten, mit denen die Geschichte des Ortes nachvollziehbar bleibt.

Wie könnten die Dachauer von der Altstadt ins Mühlbachviertel spazieren?

Verena Trojan: Von der S-Bahn kommend wird man das Quartier über den Nordkopf-Vorplatz - die Platzfläche über der abgedeckten Tunneleinmündung der Bahnunterfahrung - , den hier beginnenden Anger und den renaturierten Mühlbach erreichen und von hier entweder zum Mühlenforum oder dem lang gezogenen Grünzug folgend zu den angrenzenden Quartieren und zum Amperufer kommen. Von der Altstadt kommend wird man das neue Quartier über die zur Ludwig-Thoma-Straße geöffnete Loggia, die mit großer Freitreppe zum Mühlenforum hinunterführt, betreten. Das Mühlenforum ist der städtebauliche Schwerpunkt des Quartiers und zugleich räumlicher Abschluss der am Rathaus beginnenden Weg- und Raumfolge entlang der Adenauerstraße. Zugleich das Gelenk der hier eintreffenden anderen Wegführungen, insbesondere für den Fuß- und Radweg entlang des Mühlbachs.

Dachau MD-Gelände ehemalige Papierfabrik Skizzen Mühlenforum

Klaus Trojan skizziert seine Ideen gerne von Hand: Hier eine Ansicht des Mühlenforums von der Ludwig-Thoma-Straße kommend.

(Foto: Trojan und Partner Architekten)

Ein ganz neu gestalteter Platz mit einem fünfeckigen Gebäude an einer Seite.

Verena Trojan: Zuschnitt von Mühlenforum und fünfeckigem Gebäude lassen sich auf den vieleckigen Umgriff des MD-Geländes zurückführen, dem auch die denkmalgeschützten Bauten an der Freisinger Straße sowie der Verlauf des freigelegten Mühlbachs folgen. Es bietet sich an, nicht nur mit dem rechten Winkel zu planen, sondern dieses lebendige Ordnungssystem aufzunehmen, um daraus ein Raumgefüge zu entwickeln, in dem der markante fünfeckige Gebäudekomplex den räumlichen Abschluss des Mühlenforums bildet, ohne Barriere zu sein. Man kann den in drei Baukörper gegliederten Komplex über einen begrünten Hof durchschreiten oder im Süden entlang des Mühlbachs passieren. Zugleich korrespondiert das Gebäude mit dem an die Bahnunterführung gesetzten Nordkopf.

Dem umstrittenen Hochpunkt an der Freisinger Straße?

Klaus Trojan: Der Nordkopf stellt nicht nur hinsichtlich Baukörperausbildung, Nutzung und Erschließung eine der komplexen Herausforderungen des Entwurfs dar. Leider hat sich diese Aufgabe erst nach Wettbewerbsergebnis gestellt, denn das Thema Bahnunterführung und daraus resultierende Probleme, vielleicht auch Potenziale waren ursprünglich Teil der Wettbewerbsaufgabe, wurden jedoch während des Verfahrens - aus welchen Gründen auch immer - ausgespart. Aus unserer Sicht ist die Bahnunterführung aber nicht nur eine Folge der aktuellen MD-Entwicklung, sondern in erster Linie erforderlich, um nach Elektrifizierung und höherer S-Bahn-Frequenz den Schrankenrückstau auf der Freisinger Straße zu vermeiden. Mit der Bahnunterführung sollen aber nicht nur drei frequentierte Straßenzüge in Tieflage zusammengeführt werden, sondern es müssen auch Lösungen für eine stadtverträgliche Fußgänger- und Radfahrerunterführung gefunden werden.

Dachau MD-Gelände ehemalige Papierfabrik Skizzen Mühlenforum

Dieser Ausblick bietet sich von einer Aussichtsterrasse am Mühlenforum.

(Foto: Trojan und Partner Architekten)

Wie wird das Gelände begrünt? Gerade das Mühlenforum wirkt auf einige Betrachter offenbar steinern und zu kahl.

Verena Trojan: Das Mühlenforum war von vornherein als urbaner Stadtraum und nicht als Grünanlage geplant und soll künftig auch gemäß Stadtratsbeschluss für unterschiedlich intensive Veranstaltungen nutzbar sein. Mittlerweile wurden Einzelhandelsnutzungen beschlossen, dadurch werden Stellplätze nötig, und der Bereich muss daher von einer Tiefgarage unterfangen werden. Jedoch bleiben nicht unterbaute Pflanzflächen, etwa an der Kalanderhalle, dem künftigen Industriemuseum oder auf den zum Mühlbach orientierten Terrassen für große, Schatten spendende Einzelbäume und Baumgruppen frei.

Klaus Trojan: Was die Gebäude betrifft, sind diese im vorliegenden städtebaulichen Entwurf nicht in ihrer Architektur, sondern als strukturgebende und kompositorische Elemente dargestellt. Das gilt auch für die von der Altstadt einsehbaren Dachflächen. Sie können, quasi als fünfte Fassade, begrünt werden, als Aufenthaltsflächen oder für regenerative Energien genutzt werden können. Ziel könnte sein, dass das MD-Quartier in ökologisch-nachhaltiger Hinsicht ein Modellprojekt wird, in dem die technisch-energetische Instrumentierung Teil des architektonischen Erscheinungsbilds wird.

Verena Trojan

Verena und Klaus Trojan haben in Darmstadt und München studiert.

(Foto: privat)

Wird man direkt am Mühlenforum wohnen können?

Verena Trojan: Ja, Wohnungen sollen zur Belebung des Quartiers beitragen. Zudem kann die Bahnrandbebauung in weiten Teilen flexibel für Wohnen und Arbeiten genutzt werden, da alle Gebäude bei entsprechendem Lärmschutz die Voraussetzungen für eine gute Wohn- und Arbeitsqualität bieten.

Es gibt den Vorwurf, Ihr Entwurf gehe nicht genügend auf Dachau ein.

Klaus Trojan: Bei der Beurteilung des Wettbewerbsentwurfs, der laut Stadtratsbeschluss Grundlage für die Aufstellung des Bebauungsplans ist, wurde ausdrücklich herausgestellt, dass das Konzept mit seinen elastischen, nicht schematisch-rechtwinkligen Strukturen sich wie selbstverständlich in den Dachauer Stadtprospekt einfügt. Denn es geht auf die umgebenden Bau- und Raumsysteme, die teils organisch organisiert sind, ein.

Einige Bürger möchten gern das Heizkraftwerk erhalten. Lässt sich das Gebäude in Ihr Konzept integrieren?

Verena Trojan: Das Heizkraftwerk ist als Signet der industriellen MD-Nutzung ein sehr interessantes Gebäude, dessen Erhalt und Umsetzung städtebaulich grundsätzlich möglich ist, jedoch eine umfangreiche Umplanung bei der Verkehrsführung der Bahnrandstraße bewirken würde und aufgrund der großen Geschossflächen besonders bei einer publikumsfrequentierten Nutzung einen zusätzlichen Parkplatzbedarf auslöst.

Klaus Trojan

1977 gründeten Klaus und Verena Trojan ihr gemeinsames Büro.

(Foto: privat)

Seit 2008 ist viel Zeit vergangen. Haben Sie den Eindruck, dass die Stadt noch zu Ihrem Entwurf steht?

Verena Trojan: Einerseits ja. Anderseits wissen wir, dass es in der Stadt zu dem Projekt sehr differenzierte Haltungen gibt. Für uns waren die Ergebnisse der Thementische aus dem Jahre 2008 für die Weiterentwicklung des Entwurfs sehr hilfreich. In der Ausarbeitung des Bebauungsplans hat es zusammen mit der Verwaltung zahlreiche Korrekturen, Entwurfspräzisierungen und Abwägungen bis ins Detail gegeben, um die Machbarkeit des Konzepts sicherzustellen. Das Projekt ist immer interdisziplinär bearbeitet worden, so in der Zusammenarbeit mit den Landschaftsarchitekten. Zu allen Fachproblemen wie Altlastenbeseitigung, Verkehrsplanung, Lärmschutz, Einzelhandelsgutachten wurden umfangreiche Gutachten und Fachplanungen eingeholt. Dennoch ist seitens der Stadt bei den öffentlichen Stellungnahmen eine gewisse Zurückhaltung und Distanz zu diesem Projekt nicht zu übersehen und die Diskussionen im Stadtrat sind wie bekannt teilweise kritisch und auch polarisierend verlaufen.

Klaus Trojan: Der zurückliegende, gut organisierte und vor allem ausgleichend moderierte Workshop kann ein wenig optimistisch stimmen. Wenn man den engagierten und auch fachlich kompetenten Aussagen der Bürgerschaft folgt, kommt man zu dem Eindruck, dass das Konzept in seinen Zielen, in seiner Komplexität und auch in seiner Eigenart und den einzelnen Facetten durchaus verstanden, größtenteils positiv aufgenommen und grundsätzlich nicht in Frage gestellt wurde. Wir empfanden die Diskussion als ausgesprochen konstruktiv und zielführend, sodass man den Eindruck gewinnen kann, dass der Entwurf nach wie vor als gute und machbare Grundlage für die anstehende Umstrukturierung des MD-Geländes betrachtet wird.

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