Zeitzeugengespräch:Rückkehr an den Zufluchtsort

Der Holocaust-Überlebende Moniek Drukier besucht das Kloster Indersdorf. Dort, im UN-Kinderzentrum, fand er neuen Lebensmut

Von Daniela Gorgs

Zehn Jahre lang hat die Heimatforscherin Anna Andlauer nach dem polnischen Juden Moniek Drukier gesucht. Immer wieder hatte Erwin Farkas sie darum gebeten: "Please find him. He is such a strong person." Farkas wollte seinen couragierten, bodenständigen Weggefährten unbedingt wiedersehen. Gemeinsam waren die beiden Holocaust-Überlebenden nach dem Zweiten Weltkrieg im ehemaligen UN-Kinderheim im Kloster Indersdorf untergebracht. Dort half ein Team der Vereinten Nationen den Kindern und Jugendlichen, welche die Konzentrationslager überlebt hatten, auf ihren ersten Schritten zurück ins Leben.

Zeitzeugengespräch: Die geretteten Kinder im Kloster Indersdorf, darunter auch Manny Drukier (am Wagen lehnend).

Die geretteten Kinder im Kloster Indersdorf, darunter auch Manny Drukier (am Wagen lehnend).

(Foto: Heimatverein)

Wie es der Zufall will: Der Sohn von Moniek Drukier las das Gesuch in einem US-Magazin. Kurze Zeit später skypte Anna Andlauer mit Moniek, der sich seit seiner Auswanderung in die USA "Manny" nennt. Diesen Samstag feiert er seinen 89. Geburtstag. Kommende Woche kehrt er erstmals nach Markt Indersdorf zurück, um dort seine Geschichte zu erzählen. "Ich habe meine Teenagerjahre verloren, nie die Spiele und Freizeitaktivitäten erlebt, die meinen Kindern nur so zuflogen, und nie das Herzklopfen beim ersten jugendlichen Kuss", so wird es der Mann aus Toronto auch auf einer Veranstaltung des Indersdorfer Heimatvereins über seine Jugendzeit in der nationalsozialistischen Verfolgung berichten.

Völlig entkräftet aus dem Todeszug gesprungen

Mit seiner Familie, seiner Frau Freda, den vier Kindern Gordon, Laurie, Wendy und Cindy, den Enkeln Leah und Brett sowie einem kanadischen Filmteam reist Manny Drukier in diesen Tagen durch Polen, seine frühere Heimat. Im Jahr 1928 in Łódź geboren, verbrachte er dort seine Kindheit. Nach dem deutschen Überfall auf Polen konnte der Junge keine Schule mehr besuchen. Die Familie überlebte zunächst unter armseligsten Bedingungen in Kielce und Staszów, und musste von November 1942 an unter KZ-ähnlichen Bedingungen in der Rüstungsproduktion der Hugo-Schneider-Aktiengesellschaft (Hasag) in Leipzig Sklavenarbeit verrichten. Anfang 1945 wurden Moniek und sein Vater Gavriel ins KZ-Buchenwald deportiert, zuletzt ins Außenlager Flößberg bei Leipzig. Moniek war 16 Jahre alt, als er gemeinsam mit Izidor Wierzbinski völlig entkräftet aus dem Todeszug nach Mauthausen sprang, während sein Vater darin umkam.

Zeitzeugengespräch: Manny Drukier findet Unterschlupf im Kinderzentrum.

Manny Drukier findet Unterschlupf im Kinderzentrum.

(Foto: Heimatverein)

Nach Kriegsende hörte er vom internationalen Kinderzentrum Kloster Indersdorf, wo junge ausländische Überlebende Essen und Unterkunft erhielten und manche sogar ein Visum nach Amerika. Die beiden Jugendlichen zogen im Sommer 1946 mit dem Indersdorfer Kinderzentrum nach Prien am Chiemsee, von wo aus sie Ende 1946 in die USA auswandern konnten. Mutter Eadis und Schwester Anna überlebten Auschwitz und andere Konzentrationslager und trafen sich nach dem Krieg in Kanada bei Verwandten wieder.

"Carved in Stone. Holocaust Years - A Boy's Tale"

Anna Andlauer ist fasziniert, dass dieser Mann mit nur vier Jahren Grundschulbildung eine der größten Möbelfabriken Kanadas aufbaute und zudem noch zwei Lifestyle-Zeitschriften herausgab. Als sie ihn am Telefon dazu befragte, verriet er sein Geheimnis: "Ich lese viel." Auch in der Verfolgung während des Krieges habe er Bücher getauscht und gelesen. Später begann er selbst zu schreiben. In seiner Biografie, "Carved in Stone. Holocaust Years - A Boy's Tale", verarbeitete Manny Drukier seine Erlebnisse. "Auf wahnsinnig ehrliche Weise", wie Anna Andlauer bemerkt.

Zeitzeugengespräch: Heute lebt der 89-Jährige in Toronto und ist stolzer Großvater. Brett ist einer von seinen vier Enkeln.

Heute lebt der 89-Jährige in Toronto und ist stolzer Großvater. Brett ist einer von seinen vier Enkeln.

(Foto: Heimatverein)

Manny Drukier schenkt dem Heimatverein jetzt eine Sammlung historischer Fotos aus der Nachkriegszeit in Indersdorf. Zudem wird er Zeit mitbringen. Die Mittelschule Indersdorf möchte ein Interview mit ihm führen für das Schulradio, die Greta-Fischer-Schule in Dachau einen Film drehen.

Mehr als 100 einstige Bewohner des Kinderzentrums hat die pensionierte Geschichtslehrerin Anna Andlauer aus Weichs in den vergangenen zehn Jahren ausfindig gemacht. Mitarbeiter der Vereinten Nationen betreuten in der Einrichtung vorwiegend jüdische Kinder, deren Angehörige von den Nationalsozialisten ermordet wurden. Die Helfer um die Sozialpädagogin Greta Fischer versorgten sie mit Lebensmitteln und Kleidung, richteten sie auf und gaben ihnen neuen Lebensmut. Akribisch erforschte Anna Andlauer die Geschichte des Kinderzentrums im Kloster und präsentierte ihre Ergebnisse in der Ausstellung "Zurück ins Leben". Damit schlug sie ein Kapitel der jüngsten deutschen Geschichte auf, das in dieser Form bislang kaum bearbeitet wurde: Wie ging es für diese jüngsten Holocaust-Opfer weiter, nachdem sie die Hölle überlebt hatten? Wie sahen die ersten tastenden Schritte nach dem Überleben zurück ins Leben aus?

Greta-Fischer-Papers

Greta Fischer, eine tschechische Jüdin, führte ein Tagebuch über ihre Arbeit als Erzieherin im Kinderzentrum. Anna Andlauer fand die "Greta-Fischer-Papers" zusammen mit Bildmaterial im Holocaust Memorial Museum in Washington und beschreibt diese Entdeckung als "Meilenstein in der Erkenntnis, was man bisher über dieses Kinderlager im Kloster Indersdorf weiß". Auch heute noch erfährt Anna Andlauer immer wieder Neues. Bewohner hatten ihr berichtet, dass sie eingesperrt wurden, nachdem sie angeblich gegen Greta Fischers Erziehungsstil protestiert hatten. Das passte nicht zu Andlauers Informationen über die modernen Ansätze der Sozialpädagogin, die bei Anna Freud in London Traumatherapie studierte. Von Manny Drukier erfuhr sie nun, dass damals ein paar Jugendliche wegen eines Diphtherie-Ausbruchs kurzzeitig unter Quarantäne gestellt werden mussten. Das hatten sie damals mit der legendären New Yorker Haftanstalt "Sing Sing" verglichen, berichtet Andlauer schmunzelnd.

Zeitzeugengespräch: Heimatforscherin Anna Andlauer

Heimatforscherin Anna Andlauer

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Das Zeitzeugengespräch am Donnerstag, 26. Oktober, im Barocksaal des Klosters Indersdorf beginnt um 19 Uhr. Der Abend ist eine Kooperationsveranstaltung des Heimatvereins Indersdorf und der Stiftung Bayerische Gedenkstätten. An dem Abend wird zudem der Alte Klostereingang unter den Arkaden geöffnet sein und noch einmal die Ausstellung "Zurück ins Leben" präsentiert, die vergangenes Jahr im Hauptquartier der Vereinten Nationen in New York große Aufmerksamkeit erhielt.

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