Zeitzeuge:Sein Name ist die Botschaft

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Nick Hope, geboren als Nikolai Choprenko erinnert sich. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Nick Hope durchlitt und überlebte die Konzentrationslager und fand zu Gott. Der 93-Jährige erzählt

Von WALTER GIERLICH, Dachau

Viele Überlebende von Konzentrationslagern haben angesichts dessen, was sie durchgemacht hatten, ihren Glauben an Gott verloren. Nicht so Nick Hope, der einige Jahre nach der Befreiung "Gott fand", wie der 93-Jährige am Mittwoch bei einem Zeitzeugengespräch im Besucherzentrum der Dachauer KZ-Gedenkstätte sagt, und sich zum christlichen Glauben bekehrte. Das war in seinem Lebenslauf nicht vorauszusehen gewesen. Hope, der seinen Namen änderte, als er 1961 in die USA auswanderte, wurde 1924 als Nikolai Choprenko in der Ukraine geboren und wuchs unter Stalins Diktatur in der Sowjetunion auf. Er erlebte Anfang der Dreißigerjahre die große Hungersnot in der Ukraine, der Millionen Menschen zum Opfer fielen, darunter auch die beiden jüngsten seiner sieben Geschwister.

"Ich war 17 Jahre alt, als Hitler kam", sagt er. Die deutschen Truppen begannen am 22. Juni 1941 mit dem Überfall auf die Sowjetunion und besetzten große Teile des Landes. Sie verschleppten zwischen 2,9 und 3,1 Millionen Zwangsarbeiter aus der UdSSR nach Deutschland, davon etwa 55 Prozent aus der Ukraine. Unter denen war im April 1942 auch der junge Nikolai, der dann in einer Sprengstofffabrik in Wolfratshausen für die NS-Rüstungsindustrie arbeiten musste. Nachdem es in der Fabrik nach einigen Monaten eine Explosion gegeben hatte, fand die Gestapo unter seiner Matratze Dynamit und bezichtigte ihn der Sabotage. "Ich wusste nichts davon. Ich wurde geschlagen und nach Dachau gebracht." Danach, so sagt er, sei er kein Mensch, sondern nur noch eine Nummer gewesen und zwar die 44.249.

Er erinnert sich heute, dass er dachte, es wäre der Weg in den Tod, als er durch das Tor mit der Aufschrift "Arbeit macht frei" ging. Doch er habe zu denen gehört, die das Tor auch in der anderen Richtung durchschreiten konnten. "Das Tor, durch das man ohne Hoffnung hineinging, hat sich doch geöffnet." Denn mit etwa 100 Leidensgenossen wurde er in das Außenlager Allach gebracht. In diesem riesigen Lagerkomplex wurden mehr als 9000 Häftlinge gezwungen, für die Firma BMW Flugzeugmotoren zu bauen. Es war kalt, es gab zu wenig zu essen, doch die Häftlinge mussten zwölf Stunden unter strengster Aufsicht schuften. Beim Schrauben, habe er manchmal gedacht, "noch zwei, drei Umdrehungen, dann falle ich tot um".

Als er dann wieder als Saboteur verdächtigt wurde, sollte er mit 25 Stockhieben bestraft werden. Etwa 1000 Häftlinge mussten sich aufstellen, umgeben von SS-Leuten mit Hunden. Vor ihnen wurde der Prügelbock aufgestellt und Häftling Nummer 44.249 musste sich drauflegen. Der Lagerälteste Karl Wagner sollte die Prügelstrafe vornehmen, doch er weigerte sich: "Ich kann nicht schlagen", habe er gesagt. Dafür büßte Wagner später selbst mit 25 Hieben und sechs Wochen Dunkelhaft im Bunker, wie das Lagergefängnis genannt wurde. Als Nikolai Choprenko dann doch geschlagen wurde, zwang man die 1000 zum Zuschauen beorderten Häftlinge, laut mitzuzählen. "Vier, fünf, sechs, sieben Schläge habe ich gespürt, dann fiel ich in Ohnmacht." Am nächsten Morgen hieß es für ihn, wieder zu arbeiten. Später wurde er noch einmal zu 25 Hieben verdonnert, weil er angeblich einen SS-Mann belogen hatte.

Kurz vor Kriegsende wurde Nick Hope mit 2000 Mitgefangen aus Allach und fast 7000 aus Dachau auf den Todesmarsch in Richtung Alpen geschickt. "Wenn ich hinfalle, bin ich tot", habe er unterwegs bei Eiseskälte und strömendem Regen gedacht, denn ständig seien Schüsse zu hören gewesen, mit denen die SS-Bewacher entkräftete Häftlinge ermordeten. Die Drohung, schließlich alle zu erschießen, konnten sie nicht mehr wahrmachen - am 1. Mai 1945 kamen die US-Truppen: "Wir waren frei."

Er wollte nach Hause, denn er hatte seit Jahren nichts mehr von seiner Familie gehört. Doch er wurde krank und konnte - zu seinem Glück, wie er bald erfuhr - nicht reisen, als die ersten Zwangsarbeiter in die Sowjetunion zurückkehrten, wo es ihnen schlecht erging, weil sie als Verräter betrachtet wurden. Er wog nur noch 40 Kilo und lag monatelang todkrank darnieder, erholte sich wieder, aber nur um sich eine schwere Lungenkrankheit zuzuziehen. Drei Jahre lang blieb er in Gauting im Lungensanatorium. Danach machte er eine Berufsausbildung, heiratete 1950 und begann 1951 für die US-Army als Kraftfahrer zu arbeiten.

Allerdings begann er nun schwer zu trinken, wurde zum Alkoholiker. Versuche, abstinent zu leben, endeten immer wieder in Rückfällen. Erst als ihm jemand 1952 das "Rezept Gott" genannt habe, habe er es geschafft, berichtet er: "Die Bekehrung hat mich gerettet." Seit 65 Jahren ist er trocken und auch Vegetarier. Als er später Peinigern aus dem Lager wieder begegnete, habe er es "dank Gott geschafft, ihnen zu vergeben". Bis 1961 lebte die Familie mit drei Kindern in Ludwigsfeld bei Dachau, ehe sie nach Amerika auswanderte und den Namen in Hope änderte, was auf Deutsch Hoffnung heißt.

© SZ vom 28.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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