Zeitgeschichte:Die Märtyrer von Dachau

Im ehemaligen Konzentrationslager fanden auch viele Priester den Tod. Einige wurden von der katholischen Kirche selig gesprochen. Das Münchner Erzbistum erinnert jetzt erstmals mit einem Gedenktag an sie

Von Gregor Schiegl, Dachau

Titus Brandsma nahm kein Blatt vor den Mund. Schonungslos geißelte der katholische Professor die Verfolgung und Ermordung der Juden durch die Nazis. Im Januar 1942 wurde er in seinem Kloster in Nijmegen verhaftet. "Dieser Mann ist sehr gefährlich", vermerkte die Gestapo. Trotz schwerer Krankheit wurde Brandsma ins Konzentrationslager Dachau deportiert. Sechs Wochen später wurde er mit einer Giftspritze ermordet - als "lebensunwertes Leben". Der mutige Mann aus Holland gilt heute als einer von 56 Seligen, die im KZ Dachau als "Märtyrer" den "Blutzeugentod" erlitten haben, wie es in der Diktion der katholischen Kirche heißt; durch ihr Sterben hätten sie ein "Zeugnis für Christus" abgegeben. Im Erzbistum München und Freising wird am Montag, 12. Juni, erstmals der neu eingeführte Gedenktag für die "Seligen Märtyrer von Dachau" begangen. Damit will das Bistum die Erinnerung an diese Opfergruppe des Nationalsozialismus fördern.

Vor allem politische Gegner landeten im KZ Dachau. Von 1940 an waren aber auch zunehmend Priester der Verfolgung ausgesetzt, mehr als 2700 Kleriker aus ganz Europa sollen in Dachau inhaftiert gewesen sein, davon 1780 Geistliche aus Polen. Fast die Hälfte von ihnen überlebte das KZ nicht. Nach dem überarbeiteten liturgischen Kalender sind die Gemeinden in der Erzdiözese nun angehalten, in ihren Gottesdiensten an jedem 12. Juni Zeugnis von 56 Priestern, Ordensleuten und Laien zu geben, die in Dachau ermordet und später seliggesprochen wurden. "Damit würdigt die Kirche ihr Lebenszeugnis", sagt Ludwig Schmidinger.

Zeitgeschichte: Die Todesangst-Christi-Kapelle an der Gedenkstätte erinnert an das Leid und den Schrecken, dem zehntausende Häftlinge im KZ ausgesetzt waren.

Die Todesangst-Christi-Kapelle an der Gedenkstätte erinnert an das Leid und den Schrecken, dem zehntausende Häftlinge im KZ ausgesetzt waren.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Der bischöfliche Beauftragte für KZ-Gedenkstättenarbeit in Dachau gehört einem Beirat an, der sich für die Einführung des Gedenktags im Erzbistum eingesetzt hat. "Der Glaube soll auch in das Leben und in die Gesellschaft hineinwirken", sagt Schmidinger, die Kirche sei keineswegs "apolitisch." Dass der Gedenktag in eine Zeit fällt, in der Ausgrenzung, Diskriminierung und Rassismus wieder zunehmen, sei zwar Zufall, biete aber die Chance, die Botschaft der Dachauer Seligen weiterzutragen: "Hass führt zu nichts."

Bereits Papst Johannes Paul II. hatte den Ortskirchen aufgetragen, in besonderer Weise an die Märtyrer des 20. Jahrhunderts zu erinnern. In seinem Heimatland Polen wird am 12. Juni 108 der polnischen Seligen gedacht, die in den KZs ermordetet wurden, 44 davon kamen in Dachau um. An dieses Datum knüpft nun die Münchner Erzdiözese an. Zum ersten offiziellen Gedenktag an die "Seligen Märtyrer von Dachau" feiert Weihbischof Rupert Graf zu Stolberg am Montag um 17.30 Uhr einen Gottesdienst im Münchner Liebfrauendom, sozusagen der "Mutterkirche des Bistums." Dass der Tag nicht nur für die Kirchenoberen Bedeutung hat, zeigt die starke Präsenz aus Dachau: Neben Schwestern des Karmel-Klosters und den Stadtpfarrern Wolfgang Borm und Heinrich Denk wird auch der Dachauer Landtagsabgeordnete Bernhard Seidenath (CSU) erwartet sowie die stellvertretende Bürgermeisterin Gertrud Schmidt-Podolsky (CSU). Die Erinnerung an die Verbrechen der Nazis und das Gedenken an die Opfer gilt inzwischen als historische Verpflichtung für Dachaus politische Vertreter. Zumindest in Teilen der katholischen Kirche scheint es eine ähnliche Entwicklung zu geben, zumal, wie Pastoralreferent Schmidinger einräumt, "die Bischöfe früher nicht immer so mutig waren, wie sie es danach gerne hätten sein wollen".

Als bislang letzter Dachauer "Märtyrer" wurde im September 2016 Engelmar Unzeitig selig gesprochen. Der Priester hielt an seinen Idealen der Mitmenschlichkeit eisern fest. 1941 protestierte er gegen die Judenverfolgung, er wurde deshalb angezeigt und kam ins KZ Dachau. Dort teilte er sein Essen mit seinen Mithäftlingen und rettete sie vor dem Hungertod. Nach dem Ausbruch einer Typhus-Epidemie meldete er sich freiwillig zur Pflege der Kranken. Am 2. März 1945 starb er. Schon damals nannten ihn seine Mithäftlinge den "Engel von Dachau".

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