Wespen in Dachau:Ungeliebte Plagegeister

Frühstücken im Freien kann schnell zur Qual werden: Überall im Landkreis stören heuer Wespen, sobald etwas Süßes auf dem Tisch steht. Doch Wespe ist nicht gleich Wespe. Und nicht alle Arten sind angriffslustig.

Christine Heumann

Sie fallen über den Frühstückstisch im Freien her, machen mittags in Dachauer Biergärten vor dem Teller mit Schweinsbraten nicht Halt und belagern von früh bis spät das Kuchenbüfett: Wespen. Eine Invasion in Schwarz-Gelb? "Ich spreche aus eigener Erfahrung, heuer sans mehra", sagt Gerhard Weber auf gut Bairisch, bevor der Pressesprecher des Landratsamtes in Dachau das Gespräch an die Fachleute seiner Behörde weiterleitet.

Wespen in Dachau: Wegen des warmen Frühjahrs gibt es heuer mehr Wespen im Landkreis Dachau.

Wegen des warmen Frühjahrs gibt es heuer mehr Wespen im Landkreis Dachau.

(Foto: Toni Heigl)

Webers Eindruck teilen derzeit viele Menschen. "Es gibt in diesem Jahr tatsächlich mehr Wespen", bestätigt Siegfried Lex, Kreisfachberater für Gartenkultur und Landespflege. "Da spielt sicherlich die große Vorlaufzeit mit der Wärmesumme im Frühjahr eine große Rolle." Im April und Mai sei fast schon Sommer gewesen. "Insekten sind die Gewinner der Klimaveränderung", sagt Lex. "Aber auch Wespen gehören zur Natur, mal gibt es mehr, mal weniger, das ist witterungsabhängig."

Von einer regelrechten Wespenplage wollen in der Unteren Naturschutzbehörde des Landratsamts in Dachau trotz des vermehrten Aufkommens weder Lex noch seine Kollegen sprechen. Auch die Anrufe besorgter Bürger hielten sich in Grenzen. "Natürlich gehen bei uns Anfragen ein, wenn die Leute im Gartenhäusl ein Wespennest entdecken", sagt Günther Klug, Sachbearbeiter für Artenschutz. Aber diese Anrufe bekomme die Behörde jedes Jahr. Heuer mögen es durchaus ein paar mehr sein, was eben an der guten Entwicklung der Wespen im Anfangsstadium liege. "Aber nichts großartig Dramatisches."

Doch Wespe ist nicht gleich Wespe. "Nur die Deutsche und die Gemeine Wespe zählen zu den lästigen Arten - das sind zwei von acht", sagt Imker Walter Kraus von der Würmmühle in Dachau. Beide nisteten gerne unterirdisch. Folglich müsse nicht jeder gleich in Panik verfallen, wenn er ein Wespennest entdecke. Die Nester in Schuppen oder auf Dachböden seien meist von der kurzlebigen Sächsischen Wespe. "Sie wird immer wieder zu Unrecht mit den lästigen Arten verwechselt und vernichtet", schreibt Walter Kraus in einem Informationsblatt, das er mit Kollegen schon im August 1988 für die Regierung von Oberbayern erarbeitet hat. Im Freien nisten die Mittlere- und die Waldwespe.

Heute sitzt der 46-Jährige, der selbst auf die Stiche der Insekten allergisch reagiert, seelenruhig in seinem paradiesisch anmutenden Garten vor einem Nistkasten. Drei, vier Meter weit entfernt wohnt eines seiner insgesamt fünf Hornissenvölker. Die Hornisse ist die größte heimische Wespenart. Kraus erklärt die Geschichte eines Wespenvolkes, die immer mit einem einzelnen Tier, der Königin, beginnt. Sie muss den Winter überleben und im Frühling die Nestgründungsphase allein erledigen. Sie zerkaut Holz, und formt aus der Masse jeden Tag zwei Brutzellen, in die sie ein Ei legt. Drei bis fünf Tage später schlüpfen Larven, die mit Insektenbrei gefüttert werden. "Also mit tierischen Eiweiß", erklärt der Imker.

"Sie fangen Fliegen und Raupen, je nach Nestgröße mehrere Tausend pro Tag, und verfüttern ihre Beute portionsweise als Brei." Das sei richtiger Stress für die Königin. "Sie muss das Nest auf 28 Grad halten, damit sich die Brut entwickelt." Dazu klappe sie die Flügel aus der Brustmuskulatur aus und erzeuge sozusagen im Leerlauf Körperwärme. "Sobald die ersten Arbeiterinnen schlüpfen, hat es die Königin leichter." Sie zieht sich mehr und mehr aus der Alltagsarbeit zurück und legt dann nur noch Eier.

So ein superschönes Frühjahr wie heuer ist für Wespen ideal", sagt der 46-Jährige. Lieferten dann auch noch Ahornblattlaus und Weidenrindenlaus genügend Honigtau, sei das eine willkommen Alternative für die Wespen. "Das hat aber in diesem Jahr der viele Regen im Frühsommer verhindert." Die Lauspopulationen konnten sich nicht entwickeln, und auch die Linden waren früh verblüht. "Wenn die natürliche Versorgung der Wespen zusammenbricht, dann holen sie sich ihr Flugbenzin eben beim Menschen." Und es ist auch der Mensch, der jede Wiese und jedes Stück Land radikal abmäht und so den natürlichen Lebensraum der Hautflügler zerstört. "Dabei ist eine artenreiche Hochstaudenflur ein ideales Nektar- und Jagdrevier für Wespen."

Kraus macht es vor, wie das Zusammenleben von Mensch und Tier funktioniert. Das Gelände an der Würm ist ein Biotop. Im Kraus'schen Garten wachsen auch Springkraut und Goldrute - das mögen die Wespen - ebenso wie Hummeln und Bienen. Seine Hornissen jagen kleinere Artgenossen - und Fliegen, die von den freilaufenden Hühnern nebenan angezogen werden. Ein Hornissenvolk fängt täglich zwischen 10.000 und 20.000 Insekten. Nur Mücken nicht, die sind ihnen zu mickrig.

Leider stufen die meisten Menschen pauschal alle Wespen als aggressive und gefährliche Plagegeister ein", sagt Walter Kraus. Wüssten die Menschen mehr über die schwarz-gelben Hautflügler, würden sie das Nest auf ihrem Grundstück ganz anders einordnen. Und sie würden dann vielleicht auch das Nützliche erkennen: "Ist mir eine Wespe am Maßkrug lieber oder 1000 Fliegen?"

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