Weihnachtsgeschichte:Kollidierende Welten

Weihnachtsgeschichte: Maria (Angelika Mauersich) und Josef (Thomas Westermaier, vorne) suchen nach einer Herberge - so wie derzeit die Flüchtlinge aus aller Welt.

Maria (Angelika Mauersich) und Josef (Thomas Westermaier, vorne) suchen nach einer Herberge - so wie derzeit die Flüchtlinge aus aller Welt.

(Foto: Toni Heigl)

Der Paradeislabend bildet den Höhepunkt des Thoma-Jahres

Von Renate Zauscher, Dachau

Paradeisl, so heißen die kunstvoll aus Tannengrün, roten Äpfeln und Kerzen bestehenden Pyramidengestecke, die, als Vorläufer des Adventskranzes, bis ins 19. Jahrhundert hinein die Menschen auf Weihnachten eingestimmt haben.

Der gleichnamige Paradeislabend gehört zu Dachau wie Ludwig Thoma oder die Ludwig-Thoma-Gemeinde. Die Gemeinde lässt diesen Brauch jedes Jahr in der Adventszeit wieder aufleben, bei einem Abend mit Musik und einer Lesung aus jeweils unterschiedlichen Texten. Heuer bildete der Paradeislabend den Abschluss des Thoma-Jahres: Zum 150. Geburtstag des bayerischen Literaten hatte der Verein, der sich dem Erhalt des Thoma-Erbes verpflichtet hat, in einer ganzen Reihe von Veranstaltungen an den berühmten Juristen und Schriftsteller erinnert.

Höhepunkt des sogenannten Thoma-Jahres sei das Theaterstück "Thoma - eine Selbstzerstörung" gewesen,sagt der Vorsitzende der Ludwig-Thoma-Gemeinde, Edi Hörl, bei der Begrüßung der vielen Gäste im Thoma-Haus. Alle sechs Abende der von Norbert Göttler zusammengestellten Textcollage aus biografischen Beiträgen über Thoma und Auszügen aus dessen eigenem Werk seien, so Hörl, ausverkauft gewesen. Ein großer Erfolg für den Verein.

Eines der sicherlich bekanntesten Werke von Thoma ist dessen Schilderung der "Heiligen Nacht" in altbairischer Mundart. Zwar erlebt der Text laut Edi Hörl "eine wahre Inflation", da so gut wie keine Weihnachtsfeier ohne ihn auskomme. Wenn aber Claus Weber die "Heilige Nacht" liest, dann ist das nach wie vor ein Erlebnis: Mit klarer, tragender Stimme, ganz authentischer Sprache, nachdrücklicher Phrasierung und großem Ernst trägt der Dachauer Kulturreferent den Text vor. Gebannt lauschte das Publikum im nur durch das Kerzenlicht der Paradeisl erhellten Saal der Lesung, in der Weber, im Wechsel mit den anderen Hauptpersonen des weihnachtlichen Geschehens, den Weg von Maria und Josef bis zur Geburt des Kindes und der Ankunft der Hirten nachzeichnete. Die Eltern des Jesuskindes werden von Thomas Westermaier und Angelika Mauersich dargestellt: Ein sehr anrührender Josef in seiner Rolle als armer, überforderter Mann und seine Maria als ihn immer wieder aufmunternde junge Frau. Edi Hörl gab den Hausknecht Simei, der die Herberg-Suchenden barsch abweist, Ursula Kirchgässer und Andreas Wagner das "Basl" und deren wohlhabenden Mann Josias, die von der armen Verwandtschaft nichts wissen wollen. Erst ein Handwerksbursch (Markus Kurbanoglou) erbarmt sich der beiden. Die Lesung des Thoma-Textes, die die Weihnachtsgeschichte in ein alpenländisches Bayern verlegt, in dem Maria und Josef sich durch tiefen Schnee kämpfen und in Wirtshäuser einkehren wollen, wurde musikalisch vom Gitarrenduo Neumaier-Köhl und vom "SteiBay"-Dreigesang umrahmt.

In seinen Liedern nahm der Dreigesang das Thema der Herbergsuche musikalisch auf. Zwar fiel zu keinem Zeitpunkt des Paradeislabends das Wort "Flüchtling" - die Nähe der Weihnachtsgeschichte zur heutigen Zeit aber drängte sich dennoch immer wieder auf: Auf der einen Seite die dringend um Aufnahme bittenden Fremden dieser Welt - und auf der anderen diejenigen, die ihren Besitzstand wahren wollen und die Neuankömmlinge grob vor die Tür weisen. Ludwig Thoma schildert das Weihnachtsgeschehen hier sehr bewusst als das Aufeinanderprallen von der Welt der Armen mit der der satten, unsensiblen Reichen. Ohne den Blick auf diese Parallelen lässt sich die Weihnachtsgeschichte heute nicht mehr glaubhaft erzählen.

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