Wehrhafte Kinder:Lernen, laut zu werden

Der Jugendbeamte Thomas Slamanig von der Polizei Dachau übt mit Kindern, wie sie sich im Notfall gegen Übergriffe und Aufdringlichkeiten wehren können. Richtig um Hilfe zu rufen, ist gar nicht so einfach.

Von Pia Lehnfeld

Wehrhafte Kinder: Eigentlich ist Thomas Slamanig (zweiter von rechts) der Gute. Hier spielt er den Bösen, der die Schülerin in Verlegenheit bringt. Einen Täter selbstbewusst zurück zu weisen, muss sie noch lernen. Und die Jungs vor ihr sollten ihr eigentlich helfen.

Eigentlich ist Thomas Slamanig (zweiter von rechts) der Gute. Hier spielt er den Bösen, der die Schülerin in Verlegenheit bringt. Einen Täter selbstbewusst zurück zu weisen, muss sie noch lernen. Und die Jungs vor ihr sollten ihr eigentlich helfen.

(Foto: DAH)

Ein voller Bus. Die Passagiere unterhalten sich, lesen, haben Kopfhörer im Ohr oder gucken Löcher in die Luft. Es ist laut und eng. Die meisten sind mit sich selbst beschäftigt und nehmen keine Notiz vom Geschehen um sie herum. So merkt auch keiner, wie ganz hinten im Bus ein Mann ein Mädchen anspricht. Erst fragt er sie ganz unverbindlich nach ihrem Namen. "Ramona", antwortet das Mädchen. Doch schnell wird der Mann aufdringlich und rückt näher an es heran - viel zu nahe. Schließlich will er Ramona auf ein Eis einladen. Dem Mädchen ist die Situation sichtlich unangenehm. Keiner der Umsitzenden scheint jedoch ihre Not zu bemerken. Schon jetzt ist sie dem Mann ausgeliefert.

Glücklicherweise ist diese Situation nur eine Probe. Der Mann ist Thomas Slamanig, Jugendbeamter der Polizeiinspektion Dachau. Ramona ist Schülerin der Klasse 5B der Mittelschule in Markt Indersdorf. Thomas Slamanig besucht die Klasse an diesem Nachmittag um "richtiges Opfer- und Helferverhalten" zu üben, wie er das nennt.

Um den 25 Schülern die Situation richtig nahebringen zu können, lässt er eine Busfahrt von den Kindern nachspielen. Er selbst schlüpft in die Rolle des Täters und spricht Ramona, die in der letzen Reihe am Fenster sitzt, leise an. Später fragt er die Schüler: "Hat irgendwer mitbekommen, was ich mit Ramona besprochen habe?" "Sie haben Ramona auf ein Eis eingeladen", sagt ein Junge. "Sie haben sie belästigt!", ruft ein anderer. "War dir die Situation unangenehm?", fragt der Jugendbeamte Ramona. "Weiß nicht", sagt sie verlegen. Auch wenn es Ramona gegenüber dem Polizisten nicht zugibt: Es war zu spüren, dass sie sich in diesem Moment nicht wohl in ihrer Haut gefühlt hat.

Der 32-Jährige, der seit März bei der Polizeiinspektion Dachau arbeitet, geht immer wieder solche Situationen mit Schülern durch, um sie für den Ernstfall zu wappnen. Denn der Jugendbeamte weiß: Um in derartigen Situationen richtig reagieren zu können, muss das korrekte Verhalten immer wieder durch gespielt werden. Nur so kann das Gelernte in Stresssituationen auch abgerufen werden.

Slamanigs Aufgabengebiet ist vielfältig. Er arbeitet mit Kindern, Eltern, Lehrern. In der Arbeit mit Eltern geht es meist um sexuellen Missbrauch von Kindern, um die neuen Medien und die Gefahren für Kinder im Netz. Bei Lehrern ist Amoklauf das Hauptthema. In seiner Arbeit mit Kindern geht es um Diebstahl, Gewalt, Mobbing, Sucht und Internet. Gerade in punkto Internet seien die Schüler oft nur unzureichend informiert. "Aufklärung ist deshalb ganz wichtig", sagt er.

Thomas Slamanig ist gefragt, jeden Morgen warten gut 30 E-Mails von Eltern, Kindern oder Lehrern auf ihn. "Ich wollte schon immer was Soziales machen", sagt er. Zur Polizei kam er dennoch eher zufällig. Slamanig absolvierte zunächst die ganz normale Polizeiausbildung in Würzburg und war nach dem Dienst bei der Einsatzhundertschaft knapp zehn Jahre Jugendbeamter in München, ehe er vor einem Jahr nach Dachau wechselte. Hier will Slamanig eine gut funktionierende Polizeijugendarbeit aufbauen und dabei eng mit den Schulen und sozialen Stellen im Landkreis zusammenarbeiten.

Den Kindern an der Mittelschule in Indersdorf stellt sich Slamanig einfach als "Tom" vor und bietet das Du an. Das helfe, Vetrauen aufzubauen, sagt er. Das ist wichtig, denn er übt mit den Kindern das Verhalten in Situationen "die einem sehr unangenehm sind". "Wie verhalte ich mich nun als Opfer richtig?", fragt Slamanig die 25 Schüler. Ganz wichtig sei es zuallererst, niemals mit dem Täter zu reden: "Mit Ramona konnte ich super reden." Der Täter müsse jedoch unbedingt ignoriert werden, sonst habe er schon gewonnen. Um erst gar nicht in eine solche Situation zu kommen, sollten sich Kinder auf Fahrten im öffentlichen Bus ihren Platz gut auswählen und "Loser-Plätze" vermeiden. Das sind ausgerechnet jene, die bei Kindern besonders beliebt sind: am Fenster und weit hinten. Von ihnen kann man im Ernstfall jedoch nur schwer flüchten. "Setzt euch immer nach vorne zum Busfahrer und an den Gang", rät Slamanig deshalb den Kindern. Wer bedrängt werde, solle auf sich aufmerksam machen, laut werden und Menschen direkt um Hilfe bitten. "Sonst kann es passieren, dass sich niemand angesprochen fühlt." Dann übt der Polizist mit den Schülern, wie man richtig laut wird. "Lassen Sie mich in Ruhe!", brüllen die Schüler im Chor. "Zusammen klappt das ja schon mal ganz gut", lobt Slamanig. "Aber könnt ihr auch alleine schreien?" Darauf komme es im Ernstfall schließlich an.

Übrigens sei es Quatsch im Notfall "Feuer" zu rufen: "Ruft unbedingt um Hilfe!" Kinder sollten den Täter zudem niemals duzen, sondern immer siezen, damit sich keiner einbilden kann, beim Täter handle es sich um einen Verwandten oder Bekannten und beim Opfer um das bockende Kind. Niemals solle das Opfer den Täter angreifen oder beleidigen, um zusätzliche Provokationen zu vermeiden. "Nichts ist so wichtig wie eure Gesundheit", sagt Slamanig zu den Schülern. Man sollte sich das Aussehen des Täters nach Möglichkeit gut einprägen, vielleicht sogar ein Foto von ihm machen und immer die Polizei informieren. Ganz wichtig: "Seid selbstbewusst und blickt nicht weg, wenn euch der Täter anschaut," sagt Slamanig.

Auch wie man richtig hilft, will gelernt sein. So sollten gerade Kinder den Täter niemals körperlich angreifen. Die Gefahr als physisch Unterlegener selbst Opfer zu werden, sei viel zu groß. "Dann ist keinem geholfen." Stattdessen könne man das Opfer ansprechen, ihm die Hand schütteln und so tun, als ob man es kenne. Das raube dem Täter die notwendige Anonymität, weil so der Eindruck vermittelt werde, dass das Opfer im Bus gekannt wird, erklärt er. Außerdem sollten Kinder immer Erwachsene um Hilfe bitten.

Mit der Prävention an diesem Tag ist Slamanig zufrieden. "Die Kinder haben gut mitgemacht." Der Jugendbeamte liebt seinen Job. "Ich will nichts anderes machen", sagt er. Den Erfolg schätzt er jedoch realistisch ein: "Ich weiß, dass ich nicht die Welt verbessern kann. Aber wenn ich nur einen erreiche, dann macht mich das glücklich."

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