Warten auf die nächtlichen Räuber:Wohnungsbau für Säugetiere

Lesezeit: 4 min

Vierkirchen eröffnet an diesem Sonntag einen Fledermausturm - ein Projekt, an dem sich die ganze Gemeinde beteiligt hat

Von Benjamin Emonts, Vierkirchen

Die Gemeinde Vierkirchen ist von diesem Sonntag an offiziell Fledermausland. In einem öffentlichen Festakt wird der Vierkirchener Bürgermeister Harald Dirlenbach (SPD) den Säugetieren die Schlüssel für ihren neuen, eingetragenen Wohnsitz überreichen: den Fledermausturm in der Sandbergstraße. Bislang sind die Tiere allerdings noch aus Plastik. "Der Turm ist erst vorbereitet worden", sagt Dirlenbach. "Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis die echten Fledermäuse ihn für sich entdecken."

Es ist aber nur eine Frage der Zeit, da sind sie sich in Vierkirchen sicher. Der Initiator des Turms, Helmut Größ, hat sie schließlich mit eigenen Augen gesehen. In der Kirche St. Nikolaus begegnete er einem "Großen Mausohr", wie eine Fledermaus-Art genannt wird. Und in einem Kasten an seinem Haus lässt sich jedes Jahr zuverlässig eine Zwergfledermaus nieder, die momentan wegen der Hitze aber ausgeflogen ist. Sie kommt immer mit Beginn des Frühjahrs und geht wieder Ende Herbst, um vermutlich in einer Höhle oder einem Keller zu überwintern. Dank eines Fledermausdetektors kann Größ exakt zuordnen, um welche Fledermaus-Art es sich handelt. Denn das Gerät misst die Ultraschallwellen, die von den Tieren ausgesendet werden. Und jede Art hat ihre eigene Frequenz.

Größ ist überzeugt, dass Vierkirchen eine freundliche Umgebung für Fledermäuse ist. Tiere und Natur sind der Gemeinde generell wichtig. In den nächsten zehn bis zwölf Jahren sollen 109 Biotope auf dem Gemeindegebiet auf Vordermann gebracht werden. Im Projekt "Vierkirchen summt" werden gezielt Blumenwiesen und blütenreiche Pflanzen angelegt, damit die Bienen mehr Nahrung finden. Der Ortsteil Rettenbach hat eine Natur-Erlebnisfläche. Und nicht umsonst hat die Gemeinde Vierkirchen als einzige im Landkreis Dachau ein eigens angelegtes und verwaltetes Naturbad, das eine Kombo von Rentnern wartet. Das Bad bringt naturverträgliche Lebensqualität für die Bürger. Und es ist ein bedeutender Anflugplatz für die Fledermäuse.

Das galt allerdings auch für den Turm der Kirche St. Nikolaus, die den Dorfbewohnern sehr heilig ist. Im Jahr 2015 hatten Bauarbeiter zum Entsetzen der Bürger festgestellt, dass Fledermäuse durch ihren Kot erhebliche Schäden im Kirchturm angerichtet hatten. Die Umsiedlung der Blutsauger war danach schnell beschlossen und wurde auch politisch unterstützt. Die Frage lautete lediglich: Wohin mit den Fledermäusen?

An dieser Stelle schaltete sich die umtriebige Vierkirchener Ortsgruppe des Bund Naturschutzes ein, die an diesem Sonntag am Fledermausturm ihr 25-jähriges Bestehen feiert. In der ausrangierten Trafostation in der Sandbergstraße sahen die Naturschützer sofort großes Potenzial. Seit ein Stromanbieter seine oberirdischen Versorgungsleitungen unter die Erde verlegte, hatte der Turm keine Verwendung mehr und dümpelte nutzlos vor sich hin. Die BN-Ortsgruppe brachte im Jahr 2015 innen und außen erste Nistmöglichkeiten für Fledermäuse und andere Vogelarten an. Im März 2016 folgte der richtungsweisende Ortstermin mit der Gemeinde und örtlichen Baufirmen.

Die Gemeinde engagierte die Unternehmen und investierte fast 9000 Euro in das Projekt. Im Juni 2016 war die ehemalige Trafostation dann bereits eingerüstet und das Dach wurde komplett saniert. Die BN-Ortsgruppe klopfte in ehrenamtlicher Arbeit den alten Außenputz ab, damit der Turm eine neue Fassade bekommen konnte. Die Kinder des Horts Wirbelwind bemalten Stofftaschen, die sie in einer Aktion gegen Plastiktüten vor einem Supermarkt für eine kleine Spende verteilten. Von dem Erlös kauften sie Pflanzen für den Fledermausturm und halfen auch gleich tatkräftig beim Gärtnern mit. Nach fast drei schweißtreibenden Stunden standen rund um den Fledermausturm Gehölze und Stauden, wie zum Beispiel Heckenkirschen, Ginster, Liguster, Seifenkraut und Lichtnelken. Die Pflanzen locken die Leibspeise der Fledermäuse, Nachtfalter und diverse andere Insekten, an. Echte Delikatessen.

In die Fassade wurden kleine runde Öffnungen als Einfluglöcher eingelassen. An Balken und Brettern im Innern können sich die Tiere kopfüber baumeln lassen. An zwei Seiten des Fledermausturmes brachten die Helfer eine Holzverschalung an. Zwischen der Verschalung und der Außenwand sollen sich die Fledermäuse irgendwann einnisten und eine "Wochenstube" eröffnen, wie es im Fachjargon heißt. Die Wochenstube ist das Quartier, in dem sich die trächtigen Weibchen der Fledermäuse im Sommer zusammenfinden, um ihre Jungtiere zur Welt zu bringen und gemeinsam aufzuziehen. Zusammen ist es wärmer und sicherer. Zum abendlichen Jagdflug der Weibchen verbleiben die Jungtiere im Quartier und hängen sich zu Trauben zusammen. Die Wochenstuben umfassen je nach Art meist zwischen 20 und 50 Muttertiere, es können aber auch deutlich mehr sein. Fledermausexperte Größ hat zwei solcher Mutterstuben im Landkreis bereits gesehen, eine im Schloss Unterweilheim, die andere im Kloster Altomünster. Gezählt wurden dort jeweils 100 bis 120 Tiere. Größ wagt deshalb die These: "Der Landkreis bietet gute Voraussetzungen für Fledermäuse."

Neuer Wohnsitz für Fledermäuse in der Sandbergstraße. (Foto: Toni Heigl)

Er ist der festen Überzeugung, dass der Vierkirchener Fledermausturm einst auch zu einer Wochenstube werden wird. "Das kann Wochen, Monate oder Jahre dauern. Aber irgendwann werden sie den Turm finden und akzeptieren", sagt Größ. Neben dem Holzverschlag weist der Turm an der Westseite auch drei normale Kästen für Fledermäuse auf. Sie sind, ebenso wie der Kasten an Größ' Haus, für männliche Fledermäuse gedacht. Sie führen ein Vagabundenleben und schlafen tagsüber. Zur Paarung suchen sie die Weibchen häufig in ihren Winterquartieren auf. An der Außenseite des Turmes sind zudem zwei Meisenkasten angebracht und ein Eingang für Vögel wie den Mauersegler. "Sie kommen sich mit den Fledermäusen nicht in die Quere", sagt Größ und verweist stolz darauf, wie vielseitig der Turm für Tiere sei. Wenn es nach ihm geht, könnte schon bald noch ein Insektenhotel integriert werden.

Aus der maroden Bauruine hat die Gemeinde Vierkirchen in nur zwei Jahren ein für das Ortsbild gewinnbringendes und ökologisch wertvolles Wahrzeichen gemacht. Über die große Faszination hinaus, die Fledermäuse auslösen, sind die Tiere sehr wichtig für die Umwelt. Indem sie große Mengen Insekten fangen, leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung des natürlichen Gleichgewichts.

Aber auch optisch kann sich der Fledermausturm dank der Jugendgruppe des Bund Naturschutz sehen lassen. Aus den bröckligen Außenwänden ist eine astreine, strahlend weiße Fassade geworden. Auf einem länglichen Metall an der Außenwand steht "Fledermausturm" geschrieben, damit auch der Letzte begreift, dass die alte Trafostation Geschichte ist. Womöglich als Lockreiz für die Flugakrobaten wurden einige Fledermäuse auf die Fassade gemalt. Ein Schaubild informiert über deren Lebensweise. Im Turminnern hängen Artgenossen aus Plastik.

Vierkirchens Bürgermeister Harald Dirlenbach (links) und Fledermausfreund Helmut Größ. (Foto: Toni Heigl)

Es ist ein würdiger Ort für die Vierkirchener Ortsgruppe des Bund Naturschutzes, um am Sonntag ihr 25-jähriges Bestehen zu feiern. Vertreter der Ortsgruppe sitzen nicht nur im Umweltbeirat der Gemeinde. Sie sind an fast allen Umweltprojekten in der Kommune maßgeblich beteiligt. Mit dem jetzigen Projekt haben sie "sozialen Wohnungsbau für Fledermäuse" betrieben", sagt Bürgermeister Dirlenbach. Jetzt müssen sie nur noch einziehen.

© SZ vom 08.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: