Vortrag am Petersberg:Angst als Chance

Poitischer Frühschoppen

Analysiert Formen und Hintergründe der Ängste, die die Gesellschaft bewegen: Notker Wolf.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Benediktinermönch Notker Wolf wirbt am Petersberg vor 200 Zuhörern für eine offene und menschliche Gesellschaft

Von Renate Zauscher, Erdweg

"Schluss mit der Angst": Das fordert Notker Wolf, langjähriger Abt des Klosters Sankt Ottilien und von 2000 bis 2016 Abtprimas der Benediktinischen Konföderation mit Sitz in Rom. Jetzt ist Notker Wolf zurück in Sankt Ottilien und überwiegend als Buchautor und Vortragsredner tätig, vor Kurzem bei der Katholischen Landvolkshochschule auf dem Petersberg. "Schluss mit der Angst - Deutschland schafft sich nicht ab" ist der Titel von Notker Wolfs jüngstem Buch. Er analysiert darin Formen und Hintergründe der Ängste, die unsere Gesellschaft bewegen. Es ist nicht so, dass diese Ängste Notker Wolf kalt lassen: Er mache sich durchaus Sorgen darüber, "was meine Mitmenschen denken", sagte er am Petersberg. Schließlich sei auch der Wahlerfolg der AfD im September im Lichte dieser Ängste zu sehen.

Für eine Form der Angst hat Notker Wolf allerdings wenig Verständnis: für die nämlich, "die uns bezüglich der Flüchtlinge eingejagt wird". Wenn man wie Alexander Dobrindt die Flüchtlingsfrage als Problem Nummer eins für die Koalitionsbildung in Berlin bezeichne, dann müsse man sich schon fragen, warum nicht über ganz andere, viel drängendere Themen gesprochen werde: über Europa etwa, die Globalisierung oder die Rolle Chinas in der Welt, sagt Wolf. Natürlich koste Deutschland die Aufnahme der Flüchtlinge einiges an Geld. Im Vergleich aber mit den "Milliarden", die nach Wolfs Wissen in den Bundeshaushalt zusätzlich "hineingespült" worden seien, spiele der finanzielle Aspekt wohl nur eine untergeordnete Rolle.

Als Abtprimas der Benediktiner ist Notker Wolf viele Jahre überall in der Welt unterwegs gewesen. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen und der Tatsache, dass heute 66 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht sind, davon allein 30 Millionen innerhalb Afrikas, blickt der heute 77-Jährige sehr gelassen auf das "Flüchtlingsproblem" in Deutschland. Ohnehin ist Wolf niemand, der polemisiert oder einseitige Schlüsse zieht. Er betrachtet die Dinge vielmehr differenziert und immer wieder auch mit viel Humor. In seinen Antworten und Lösungsvorschlägen wägt er Pro und Kontra sorgfältig ab - lässt aber gleichzeitig seine persönliche Position immer klar erkennen. Was etwa den Streit um den Familiennachzug angeht, so hält er es für ein "Gebot der Menschlichkeit", dass Minderjährige ihre Eltern nachholen können. Er wundere sich, dass gerade diese Frage so sehr in den Mittelpunkt gerückt worden sei.

Die heutigen Probleme und Kriege, gerade auch die im Nahen Osten, sieht Notker Wolf im geschichtlichen Zusammenhang. An vielen Problemen in den Entwicklungsländern trügen die ehemaligen Kolonialmächte des Westens erhebliche Schuld. Das gelte auch heute noch: "Wir brauchen die armen Länder für unsere Exporte, ohne sie würde unsere Wirtschaft nicht so boomen." Einen "Skandal" stellten deutsche Waffenexporte dar. "Warum müssen wir die Kriege noch mit anheizen?"

Angst jedenfalls führt laut Notker Wolf nicht weiter. Nötig sei der Dialog auf Augenhöhe, gerade auch der mit den Muslimen. In Italien etwa gebe es gute Ansätze bei der Zusammenarbeit mit muslimischen Verbänden. Als Ursache von Angst und vielen, oft diffusen, Ängsten sieht Notker Wolf die Ungewissheit, was die Zukunft angeht. Diese Ungewissheit sei integraler Bestand des menschlichen Lebens "seit der Vertreibung aus dem Paradies". Seit damals sei der Mensch "auf der Flucht" und somit Flüchtling. Im Grunde stecke in der Ungewissheit aber auch eine große Chance: die Herausforderung nämlich, "Veränderung zu wagen".

Das gelte für den Einzelnen wie für die Gesellschaft und auch die Kirche. Hier wird Notker Wolf sehr explizit: Ein "denkerischer Wandel" sei in der gesamten Kirche nötig. Als wichtigen Wegbereiter des kirchlichen Dialogs mit der modernen Welt sieht Wolf Papst Franziskus: Dieser gehe "von unerschütterlicher Hoffnung" aus und akzeptiere das Verlangen nach individueller Freiheit.

Fast eine Stunde lang diskutierte Notker Wolf mit den gut 200 Zuhörern am Petersberg. In den Fragen des Publikums wurden sehr unterschiedliche Haltungen gerade zur Flüchtlingsfrage deutlich. So forderte eine Frau die Rückkehr der Geflüchteten, damit diese ihre Länder mit aufbauen, eine andere äußerte Angst vor "sozialem Unfrieden". Ein anderer Besucher zeigte dagegen keinerlei Verständnis dafür, dass Lehrlinge plötzlich mitten in der Ausbildung von der Polizei geholt würden: "Das ist es, was Angst schürt - die Abschiebungen produzieren Ängste, bei den Betroffenen und auch bei uns Ausbildern."

Eine der Referentinnen am Petersberg, Katharina Balle-Dörr, riet allen: "Suchen Sie den Kontakt zu Flüchtlingen und Asylhelfern." Der eröffne neue Ausblicke. Ähnlich lautet der Ratschlag von Notker Wolf: "Schauen Sie über Ihren Gartenzaun." In Offenheit und Dialog sieht er die besten Möglichkeiten, um mit der Angst umzugehen.

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