Vertrieben nach Cottbus:"Wer zurückkommt, wird erschossen"

Für die Grausamkeiten und Verbrechen der Nazi-Besatzung in Tschechien nahmen die Partisanen Rache an den Sudetendeutschen. Dem damals erst 16 Jahre alten Johann John gelang die Flucht. Jeden Tag musste er 40 Kilometer Fußmarsch zurücklegen

Protokoll: Manuel Kronenberg

Als der Krieg schon fast zu Ende war, wurde ich eingezogen, am 1. Januar 1945. 16 Jahre alt war ich damals, und ich musste nach Polen an die Front. Ich überlebte und kehrte im Mai in meinen Heimatort Böhmisch-Petersdorf zurück, ein Dorf im Sudetenland im Adlergebirge. Meine Familie besaß dort einen Hof. Ein Tag vor meiner Ankunft wurde mein Vater von Partisanen ermordet. Ich traf also nur noch meine Mutter und meine Schwester an. Etwa eine Woche nach meiner Ankunft kam es dann zu den schrecklichen Ereignissen.

Am 25. Mai um 8.30 Uhr kamen tschechische Soldaten und Partisanen in unser Dorf. Sie trieben alle Männer vor dem Gasthaus zusammen. Die Partisanen schlugen mit Latten und Stöcken, die mit Nagelspitzen gespickt waren, auf uns ein. Einige Frauen gingen ins Gasthaus, um vom Fenster aus dem schrecklichen Treiben zuzusehen. Als sie entdeckt wurden, peitschten die Partisanen eine von ihnen zur Abschreckung aus. Wir Männer wurden in zwei Gruppen aufgeteilt. Die Gruppe, zu der ich gehörte, musste sich in einer Reihe aufstellen, in der anderen waren die Todeskandidaten. Wir mussten zusehen, wie sie misshandelt und schließlich einer nach dem anderen aufgehängt wurden. Alle sieben wurden beschuldigt, die Nazis unterstützt oder den tschechischen Staat verraten zu haben. Schließlich begann das Martyrium für uns. Mit dem Ochsenziemer verpassten sie uns Schläge auf den nackten Hintern. Ich bekam 15, andere bekamen 50. Anschließend stieß ein Partisan uns der Reihe nach mit einem Pflock in den Bauch. Ich hatte Glück, ein tschechischer Soldat bewahrte mich vor dem Stoß. Sie ließen uns ein Massengrab schaufeln, die Aufgehängten wurden vom Baum geschnitten und wir mussten sie zum Graben bringen. Da wir nicht genug Kraft hatten, sie zu tragen, zogen wir sie an den Füßen. Nachdem das Grab zugeschaufelt war, durften wir nach Hause gehen.

Vertriebener

Johann John, 86, ehemaliger Raumausstatter hat Furchtbares erlebt.

(Foto: Niels P. Joergensen)

Dann - es war Juni - kam die Vertreibung. Wir wurden auf den Dorfplatz bestellt, wo sie uns drohten: "In zwei Stunden seid ihr weg. Wer zurückkommt, wird erschossen." Sie jagten uns über die Grenze nach Schlesien. Dabei hatten wir nur unsere Kleider am Leib und Unterwäsche zum Wechseln. Nach einigen Zwischenaufenthalten und Fahrten in Zügen mit offenen Waggons landeten wir in Cottbus. Dort war alles vom Krieg zerstört. Also zogen meine Mutter, meine Schwester und ich weiter nach Bayern. Wir kamen in Plauen an, von wo aus es keine Bahnverbindung mehr Richtung Westen gab. Also gingen wir zu Fuß weiter, jeden Tag 40 Kilometer. Es war eine harte Zeit. Wir waren bis nach Trockau zwischen Bayreuth und Nürnberg gekommen, als uns das Geld ausging.

Dort meinte es das Schicksal gut mit mir. Wir trafen einen jungen Mann, der sich um Flüchtlinge und Heimatvertriebene kümmerte. Ich sagte ihm, dass ich mich in der Landwirtschaft nützlich machen könne. Er fand Arbeit für mich bei einer Müllerfamilie - die freuten sich, dass sie jemanden für die Landwirtschaft hatten. Zwei Jahre lang arbeitete ich auf den Feldern. Nachts schlief ich bei ihnen im Treppenhaus, sie hatten kein Zimmer übrig.

Meine Mutter und meine Schwester zogen weiter, ohne Arbeit hielt sie nichts in Trockau. Schließlich besorgte mir meine Schwester eine Lehrstelle zum Raumausstatter in Burghausen an der Salzach. Beim Handwerksbetrieb Esterbauer machte ich die Gesellenprüfung. Von da an begann ein neues Kapitel in meinem Leben.

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Im Jahr 1952 heiratete ich und ging nach München, wo meine Frau arbeitete. Wir bauten ein Haus in Karlsfeld und zogen 1954 ein. Es fiel mir leicht, mich hier einzuleben. Ich machte mich selbständig und gründete eine Raumausstattungsfirma. Die Gemeinschaft und der Zusammenhalt in der Gemeinde waren sehr gut. War man tüchtig, war man sowieso überall willkommen. Und Karlsfeld war ja besonders, weil hierher so viele Flüchtlinge kamen; die wurden alle gut aufgenommen. Viele Leute haben ihnen geholfen, viele haben auch jemanden gesucht, der arbeiten konnte. Da kamen die Heimatvertriebenen wie gerufen.

Die aktuelle Flüchtlingssituation ist natürlich nicht mit damals vergleichbar. Heute haben wir das Glück, dass Deutschland wirtschaftlich gut da steht, nicht so wie damals nach dem Krieg. Jetzt müssen die ganzen Leute irgendwo untergebracht werden, aber das wird klappen, da habe ich überhaupt keine Bedenken.

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