Vernissage am Drosselanger:Die Entdeckung des Lebens

Die Dachauer Malerin Christa Spencer widmet sich in ihrer Gastausstellung beim Kunstkreis Karlsfeld dem Thema Kindheit

Von Gregor Schiegl, Karlsfeld

Grazil steht es da, fast schwerelos wirkt das Mädchen vor dem hellblauen Hintergrund in seinem roten Kleid und ist ganz in sich versunken, als hätte es alles um sich herum vergessen. Wer dieses Kind ist, weiß man nicht, das Gesicht ist nicht ausgearbeitet, und die Erschafferin des Bildes, Christa Spencer, wüsste auch nicht so genau zu sagen, wen sie da eigentlich gemalt hat. Ein Foto aus der Zeitung hat sie dazu inspiriert, ein Mädchen, das durch das flache Wasser eines Stadtbrunnens tappte, behutsam einen Schritt vor den anderen setzend wie Kinder das so tun, wenn sie unbekanntes Terrain erkunden mit fiebrigem Forschergeist. Es ist ein Bild, das anrührt, wie eigentliche alle Bilder dieser Ausstellung in der Galerie Kunstwerkstatt, die Spencer mit dem bestürzend schnörkellosen Titel "Malerei" versehen hat. Als hätte sie Angst irgendwelche Erwartungen zu wecken, die sie nicht erfüllen kann.

Spencer hat sich der figürlichen Malerei verschrieben, einer Figürlichkeit, die fernab von einer naturalistischen oder gar fotorealistischen Darstellung ist: Details treten zugunsten der Form zurück, der dicke Pinselstrich sorgt für expressive Kraft. "Man kann mit Farbe auch modellieren", sagt Spencer. Kunstkreis-Chef Dieter Kleiber-Wurm war von Spencers Arbeiten so begeistert, dass er die Dachauerin kurzerhand für die Ausstellung "abgeworben" hat, und in der kleinen, aber hellen Karlsfelder Galerie kommen die zumeist sehr farbenfrohen Werke wunderbar zur Geltung. Eine Szene zeigt einen Jungen und ein Mädchen beim Einzug aufs Dachauer Volksfest. Erkennbare Gesichter haben sie nicht, die Farben der Kleidung lassen nur erkennen, dass sie Tracht tragen, doch diese Reduktion führt auch dazu, dass die Körperhaltung eine umso deutlichere Sprache spricht: "Die zwei sind so was von stolz."

Vernissage am Drosselanger: Bewusst lässt Christa Spencer Teile der Leinwand unbemalt.

Bewusst lässt Christa Spencer Teile der Leinwand unbemalt.

(Foto: Toni Heigl)

Ein anderes Bild zeigt ein Mädchen, das dem kleinen Bruder beschützend den Arm um die Schulter legt. Und dann gibt es auch noch die Bilder, deren Vorlagen aus der Nachkriegszeit stammen: Kinder, herausgeputzt wie Erwachsene, stramm stehend. Die sonst so leuchtenden Acrylfarben, hier sind sie grau, braun, schwarz, sepiafarben, aber ohne wohlige Nostalgie. Ein kleiner Junge, still und traurig wie ein Pierrot.

"Kindheit ist etwas wahnsinnig wichtiges", sagt Christa Spencer. "Man weiß nicht, was aus diesem Leben wird. Manche Kinder haben das Glück, behütet aufzuwachsen und Kind sein zu dürfen, und manche haben dieses Glück nicht." Und so leisten ihre Bilder keinem Heile-Welt-Kitsch Vorschub. Es geht um das Glück des Augenblicks, um die Zerbrechlichkeit der menschlichen Existenz, um das Unscharfwerden der Dinge in der Erinnerung, das macht die Bilder so berührend.

Christa Spencer kam 1946 in Meßkirch zur Welt und erlebte eine Kindheit in der baden-württembergischen Provinz der Nachkriegszeit. 1969 zog sie nach Dachau. Seit gut 20 Jahren malt Spencer, sie belegte Kurse an der Volkshochschule, lernte Aktzeichnen am Münchner Bildungswerk und studierte drei Jahre lang an der Europäischen Kunstakademie in Trier. Das war der Sprung in die professionelle Malerei. "Ich bin richtig in die Kunst eingetaucht." Die Souveränität zu malen, ohne jedes Detail auf der Leinwand mit der Vorlage abzugleichen, das musste Christa Spencer erst lernen.

Vernissage am Drosselanger: Mächtig stolz: Kinder beim Einzug aufs Dachauer Volksfest

Mächtig stolz: Kinder beim Einzug aufs Dachauer Volksfest

(Foto: Toni Heigl)

Aber die Mühen haben sich gelohnt. "Manchmal bin ich selbst baff, was dabei rauskommt."

Vernissage am Freitag, 16. Juni, 19 Uhr. Die Ausstellung geht bis 25. Juni. Öffnungszeiten Samstag und Sonntag, jeweils 14 bis 18 Uhr.

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